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Worte der Angst gezeichnet

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Wenn man in Wien von der Wo-truba-Nachfolge an der Akademie der bildenden Künste spricht, ist er der erste Mann im Rennen: Alfred Hrdlicka, ein Vierziger, international Erfolgreichster der jüngeren österreichischen Bildhauergeneration, ein vielgefragter Zeichner, Radierer... In Stuttgart leitet er bereits eine Klasse für „figuratives Gestalten“, in Hamburg eine für Malerei, die er gerade in ein Seminar für Steinbildhauerei umwandelt. Und er ist so in das Alter gekommen, wo man heutzutage mit Prominenten Werkverzeichnisse anlegt: Also arbeitet bereits der junge Wiener Dichter Manfred Chobot an einem solchen Graphikenkatalog Hrdlickas für den Berliner Propyläen-Verlag und einem Register der Hrdlicka-Plasti-ken für eine Monographie bei Jugend & Volk, Wien.

Soeben brachte Hrdlicka selbst im Residenz-Verlag, Salzburg, seine Illustrationen zu Elias Canettis Drama „Die Hochzeit“ heraus. Als erste Zusammenarbeit mit dem Dichter. Hrdlicka erzählt dazu: „Zu seinem Roman ,Die Blendung' hatte ich schon 1969 Skizzen gemacht... Bei den Vorstudien zu meinem ,Rando-lectil'-Zyklus in einer Londoner Klinik lernte ich ihn dann kennen. Wir entdeckten so viele Gemeinsamkeiten — etwa die ,Samson'-Vorstellung —, die seine Texte und meine Plastiken verbanden ... Canetti wollte schließlich die Eröffnungsrede anläßlich meiner Albertina-Ausstellung halten... Aber erst jetzt, bei der .Hochzeit' ist diese Zusammenarbeit zustandegekommen. Hauptproblem war für mich, daß ich keine Illustration einer Theaterinszenierung liefern wollte. Also stellte ich dar, was zwar in Canettis Text vorkommt, aber auf der Bühne nicht gezeigt wird: Ängste, Wunschdenken, Zwänge ... die Atmosphäre der Kellerstiege, Totenschädel... also eigentlich Wortillustrationen, Bilder, für die mir Wörter und Wortbezüge Canettis Assoziationsanlaß waren!“

„Hochzeit“ ist in mancher Hinsicht Hrdlickas „Randolectil“-Zyklus vergleichbar: Sie ist wie dieser aus einem Guß, ohne so linear, so „dürr“ und reflektierend zu sein wie etwa „Masse und Macht“.

Fragt man Hrdlicka, ob er selbst seine stilistische Wandlung der letzten Jahre charakterisieren könne, weist er vor allem auf die Gegensätze von „Randolectil“ und „Harmann“: Hier aggressiv-pathetisches Hell-Dunkel, dort eine dünne, lineare Manier, die an Silberstiftarbeiten erinnert. „Randolectil“ ist überall impulsiver — „eine Arbeit zum Zeitvertreib!“ Hrdlicka zeigt aber auch auf anderen die Gegensätze: etwa auf eine Periode, in der die Zeichnungen dominierten, oder dann auf eine andere, wo die Radierungen im Vordergrund standen, weil da die Konzentration am stärksten wirkt, weil Radierungen „keine Kosmetik mit dem Zeichenstift“ erlauben, weil sie außerdem seinen plastischen Reliefvorstellungen am nächsten sind. So Hrdlicka: „Ich sehe immer den Menschen als Zentralgestalt im Bildraum, meine Figuren brauchen den Umraum. Und daher sind eigentlich alle meine Zeichnungen typische Bildhauerzeichnungen!“

Aber das ist wieder nur ein Aspekt seiner Figurenbehandlung: Anatomisches, Religiöses, Ideologisches spielt in fast allen Arbeiten ebenfalls mit: im „Harmann“-Zyklus, diesem geistvollen Beitrag zur Kunsttheorie des Realismus (ausgehend von Winckelmann), in der radierten „Martha Beck“, im „Tod des Demonstranten“, einem zehn Meter langen Riesenrelief, das Hrdlickas Einstellung zur ideologisch orientierten Auftragskunst, zur Staatskunst spiegelt... „Ich schätze die Schwierigkeiten mit einem Auftraggeber“, meint er selbst, „die Auseinandersetzung; Kunst ohne Themen an einem Bau ... Das ist sinnloser Dekor, leere Schmuckkunst. Erst die Auseinandersetzung des Staates mit seinen agitierenden Künstlern zeitigt künstlerische Ergebnisse“. Und natürlich spielen da auch Unterschiede zwischen Bronze und Stein mit: „Bewegte Themen lassen sich in Bronze besser gestalten. Steinskulpturen setzen Riesenblöcke voraus, wenn man nicht beim Briefbeschwerer landen will!“

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