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Wortsträuße aus Vergißmeinnicht

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Respekt vor dem politisch Andersdenkenden wird, so scheint es, im Alltag’so wenig geübt, daß höfliche Worte zum Abschied wie ein außergewöhnliches Ereignis gefeiert werden.

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Respekt vor dem politisch Andersdenkenden wird, so scheint es, im Alltag’so wenig geübt, daß höfliche Worte zum Abschied wie ein außergewöhnliches Ereignis gefeiert werden.

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Der „brillante Parlamentarier“, als den ihn ein Hörfunk-Moderator in der Stunde des Abschiedes taxfrei hochlobte, war Bruno Kreisky nie. Wohl gehörte er dem Nationalrat seit 1956 über 27 Jahre hindurch an, doch nur die vier Jahre zwischen 1966 und 1970 saß er dort nicht auf der Regierungsbank.

Mehr noch: Bruno Kreisky war auch, nimmt man die parlamentarische Arbeit zum Maßstab, kein sehr guter Abgeordneter. Die mühsame Kleinarbeit im Nationalrat und seinen Ausschüssen lag ihm nicht.

Selbst als Oppositionsführer stand er im Schatten Bruno Pit- termanns, der Geschäftsordnung und Ritual meisterlich beherrschte. Auch Pittermann war es, der im Parlament Kreiskys Experiment einer Minderheitsregierung die Rückendeckung geben mußte.

Und sucht man eine große Kreisky-Rede, man wird danach, nüchtern festgestellt, in den stenographischen Protokollen des Nationalrates vergeblich stöbern. Das Rednerpult im Plenum war eben nicht seine bevorzugte Bühne.

Auch seine Abschiedsrede als Abgeordneter am 28. September war keine große Rede, dennoch aber ein beachtenswertes Dokument zur Zeitgeschichte: persönliche Erinnerungen, ein Hauch von erlebter bis mitgestalteter Geschichte.

Indem Kreisky seinen Vorgängern als Kanzler und Vizekanzler (siehe untenstehende Zitate) Wortblumensträuße der Erinnerung band, steckte er sich selbst ein Bukett aus Vergißmeinnicht. Bescheidene, aber wohlverdiente Blumen für den Altkanzler.

Kreisky-Resümee: „Ich bin sehr froh, daß ich so lange an dem großen Aufbauwerk mitwirken durfte und daß die Entwicklung dazu geführt hat, daß heute alle Gruppen unseres Volkes zu unserer Fahne stehen, ihr Haupt entblößen, wenn unsere Hymne erklingt, daß es heute keine relevante politische Gruppe gibt, die den Mut hat, die Lebensfähigkeit unseres Landes in Zweifel zu ziehen. Kurz: Daß ein neuer österreichischer, sehr ruhiger und stiller Patriotismus entstanden ist… “

Minutenlanger Beifall aller Fraktionen: Er galt weniger dem Abgeordneten, er galt in erster Linie dem Altkanzler, was auch der stellvertretende ÖVP-Klubob- mann Robert Graf („Vor der Person Kreisky verneige ich mich in Respekt“, aber „wo viel Licht ist, fällt auch Schatten.“) anerkennend kritisch und FPÖ-Klubob- mann Friedrich Peter, der seine persönliche Wertschätzung weder verbergen wollte noch konnte, dankbar zum Ausdruck brachten.

Die Außergewöhnlichkeit dieser Augenblicke (und auch die Berichterstattung darüber) stimmt freilich nachdenklich: Würden nämlich in der tagespolitischen Auseinandersetzung nur Spurenelemente dieses Respekts vor der Persönlichkeit des Gegenübers spürbar — Politiker brauchten nicht um ihre Wertschätzung fürchten. So aber demolieren sie zu oft gegenseitig ihren Ruf — bis zum Nachruf. Glücklich der, der ihn — wie Bruno Kreisky — noch zu Lebzeiten erfahren darf, dem aber auch selbst noch Möglichkeit gegeben ist, versöhnliche Gesten zu setzen.

Das war auch, nimmt man Kreiskys Absicht selbst zum Maßstab, der wunde Punkt seiner Abschiedsrede: der Handschlag mit den Kontrahenten der letzten Wahlkampfzeit blieb aus. Dabei wollte er (noch am 1. August) „net Weggehen, mich wegschleichen, ohne daß ich ihnen sage, daß ich sie geschätzt habe“.

Und noch etwas hatte sich Kreisky im Sommer vorgenommen, wozu er aber leider nicht gekommen ist: Denn außerdem wollte er „die September-Sitzung des Nationalrates dazu benützen, um zu sagen, wie die Zukunft Österreichs sein müßte, wohin der Weg zu gehen hat“.

Doch auch dies ist nun Geschichte.

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