6794602-1971_04_12.jpg
Digital In Arbeit

Wozu ein Kunstsenat?

19451960198020002020

Über den österreichischen Kunstsenat erfährt die Öffentlichkeit etwa bei der Verleihung der Großen Staatspreise für Künstler, bei Protesten gegen die Verwüstung unserer Städte, bei der Berufung neuer Mitglieder oder in den letzten Monaten bei der im Modus fragwürdigen Wahl des Vertreters für Kunst in den Aufsichtsrat des ORF. Mehr als daß dieser Senat existiert und ein paar mit dem Großen Staatspreis, also für ein Lebenswerk ausgezeichnete Künstler umfaßt, wissen die wenigsten, nicht einmal, wenn sie selbst für die Freiheit und Anerkennung der Künste eintreten und mit Problemen der Kunst in Österreich befaßt sind.

19451960198020002020

Über den österreichischen Kunstsenat erfährt die Öffentlichkeit etwa bei der Verleihung der Großen Staatspreise für Künstler, bei Protesten gegen die Verwüstung unserer Städte, bei der Berufung neuer Mitglieder oder in den letzten Monaten bei der im Modus fragwürdigen Wahl des Vertreters für Kunst in den Aufsichtsrat des ORF. Mehr als daß dieser Senat existiert und ein paar mit dem Großen Staatspreis, also für ein Lebenswerk ausgezeichnete Künstler umfaßt, wissen die wenigsten, nicht einmal, wenn sie selbst für die Freiheit und Anerkennung der Künste eintreten und mit Problemen der Kunst in Österreich befaßt sind.

Werbung
Werbung
Werbung

Auf den an sich mageren Kulturseiten unserer Zeitungen scheint er kaum auf. Er erzeugt weder Schlagzeilen noch produziert er avantgardistische oder unappetitliche Extravaganzen, was ja auch mit dem Begriff „Senat“ unvereinbar wäre, und, eben als Senat, bekommt er natürlich die allgemeine Minderbewertung des Alters in einer Zeit, in der — gewiß auch erfreulich — längst das Vaterrecht durch das Jugendrecht abgelöst wurde, zu spüren. Doch allein schon, daß es diesen Senat gibt, ist wichtig. Denn zum erstenmal wurden in Österreich schöpferische Künstler, Autoren, Komponisten, Maler, Architekten in einem kleinen Gremium zusammengefaßt Kein Verein Gleichstrebender, keine Schule, keine Clique, nicht einmal ein Stammtisch in irgendeinem Café, sondern eine Gesellschaft wesentlicher Künstler verschiedener Jahrgänge und verschiedener Kunst- und Weltanschauung, die, gäbe es diesen Senat nicht, einander kaum begegnen und noch weniger gemeinsam verschiedene Probleme, die dem künstlerischen Schaffen in Österreich gestellt werden, angehen würden.

Primat des Schöpferischen

In Österreich, vor allem in Wien, stellt ja das kunstbeflissene Publikum seit jeher den Dirigenten und Sänger über den Komponisten, den Regisseur eines Theaterstücks über den Autor. Mit guten Akteuren kann man dem Publikum alles vorsetzen, und was sich jenseits von Burg und Oper und Abonnementkonzerten abspielt, ist auch dem kunstbeflissenen Publikum völlig egal. Der Kunstsenat ist nun nicht etwa dazu da, den Gegensatz zwischen schöpferischen und nachschaffenden Künstlern zu verschärfen, beide sind ja aufeinander angewiesen, er kann auch nicht jenes Klima verbessern, das die Avantgardisten zu jener Emigration zwingt, die ja nicht in jedem einzelnen Fall mit dem Klima oder mit ihrer besonderen Qualität zusammenhängt. Doch ist es etwa im heutigen Konzertbetrieb nicht gleichgültig, ob ein Orchester von Weltruf auf einer vom Staat subventionierten Auslandsreise auch wenigstens ein zeitgenössisches österreichisches Werk in seinem Programm hat (auch bei den Salzburger Festspielen) oder die neue, die zeitgenössische österreichische Produktion konsequent schneidet. Das hat nichts mit einer für die Kunst etwa gefährlichen und engstirnigen Autarkie zu tun. In anderen Ländern ist man international nicht weniger aufgeschlossen, aber dabei sehr bedacht, das eigene Schaffen zu fördern oder wenigstens nicht derart konsequent und reisenden Dirigenten zuliebe zu verschweigen. Es ist aber auch für das künstlerische Leben in Österreich nicht egal, ob man mit ähnlicher Konsequenz österreichische Autoren von den Spielplänen der großen Bühnen fernhält, eine Zusammenarbeit mit den Autoren nicht sucht oder doch nur, wenn einer bereits irgendeine, wenn auch Eintagssensation, verspricht. Der Kunstsenat begrüßt dabei jeden Versuch, die Jugend auch in neuen Formen zu aktivieren, solange es tatsächlich um Qualität und echte Avantgarde und nicht um Snobismus oder irgendeine profunde Schweinerei geht. Daß die meisten neuen Richtungen, wenigstens im deutschen Sprachraum, von Österreich ausgehen, ist ebenso erfreulich, wie, daß nicht jeder von Modezaren diktierte Schmarren in Wien volle Häuser findet.

Dem Senat geht es bei seiner Tätigkeit ja nicht um irgendwelche besondere Stilrichtungen, Schulen oder Moden, schon gar nicht um „etablierte“ oder avantgardistische Kunst, um Echtheit und künstliche Sauberkeit geht es. Ein gewiß meist aussichtsloser Kampf gegen einen starren Konservativismus bei den Kunstbeflissenen, wie gegen Engstirnigkeit, Besitzdünkel, Bürokratismus, Feigheit bei den hochmütigen Verächtern jeder echten Kunst.

Wie es begann

Der österreichische Kunstsenat wurde von Bundesminister für Unterricht, Dr. Ernst Kolb, aus den Trägem der Großen Staatspreise nach 1945 berufen und unter dem Vorsitz von Clemens Holzmeister konstituiert Unter den Gründungsmitgliedern waren auch die seither verstört, benen Josef Hoffmann, Joseph Marx, Egon Komauth, Rudolf Kassner und Alfred Kubin. Heute zählt der Senat 17 ordentliche Mitglieder unter meinem und meines Stellvertreters Alfred Vhl Vorsitze, die Komponisten Hans Erich Apostel, Theodor

Berger, Johann Nepomuk David, Gottfried von Einem, Anton Heiller und Otto Siegl, die Dichter Felix Braun, Christine Busta, Alexander Lernet-Holenia, die bildenden Künstler Erich von Boltenstern, Kurt Moldovan, Roland Rainer, Max Weiler, Alfred Graf Wickenburg und Fritz Wotruba. Neben den zur internen Mitarbeit verpflichteten ordentlichen Mitgliedern zählen zum Senat noch Ehrenpräsident Clemens Holzmeister und die Ehrenmitglieder Albert Paris Gütersloh, Max Mell und

Franz Nabl und die im Ausland lebenden korrespondierenden Mitglieder Elias Canetti, Fritz Hochwälder, Ernst Krenek, Egon Wellesz und Carl Zuckmayer.

Die Liste der Mitglieder (die Zahl der ordentlichen ist mit 21 begrenzt) beweist wohl, daß man diesen Senat nicht, wie unlängst im Zuge der ORF-Debatte öffentlich ein hoher Funktionär, als ein Häuflein alter ehrenwerter Herren bezeichnen kann. Ein Häuflein gewiß, doch nur für den, der auch im Bereich der Kunst bloß gewerkschaftlich oder nach Wählerzahlen zu denken und zu rechnen gewohnt ist.

Der Kunstsenat hat heute nicht nur das Bundesministerium für Unterricht zu beraten und jährlich die Kandidaten für die Großen Staatspreise vorzuschlagen, sondern nach dem Statut überhaupt die Anliegen der Kunst in der Öffentlichkeit zu vertreten und vor jeder Gefährdung und Zerstörung der kulturellen Substanz zu warnen. Der Senat kann auch auf eigene Initiative in allen Fragen des künstlerischen Lebens in Österreich mit allen Stellen Kontakt aufnehmen, Anregungen geben, fordern und Kritik üben. Natürlich kann er mehr aufzeigen als verhindern.

Kulturschutz

Die ebenso exakte wie konsequente Verwüstung unserer Stadt- und Ortsbilder allein, bedürfte aber schon eines eigenen Protestbüros und eines voll ausgebauten Sekretariats. Wir können uns auch nicht als ein Art Ombudsman in Sachen Kunst etablieren und mehr auf uns nehmen als ein Kollegium ypp seįr. beschäftigten Künstlern ohne irgendeinen ausgebauten Apparat leisten kann, also auch nicht die Initiativen anderer Verbände und der Träger der öffentlichen Meinung ersetzen, sondern nur, wo es geht, ermuntern. Die Kunstverwaltung ist nicht unsere Sache. Sparsame Initiativen daher, doch mit Nachdruck! Dennoch kannten wir, schon im ersten Jahrzehnt unter Clemens Holzmeister, einiges erreichen.

Ich erwähne bloß die Rettung Dürnsteins vor einer die Landschaft zerstörenden Uferstraße, gegen den damals mächtigsten Mann von Niederösterreich, oder den Antrag zur Schaffung einer Galerie des 20. Jahrhunderts schon im Jahr 1957; Rettung des Stromhauses von Otto Wagner, den erweiterten Kunst-

und Musikunterricht an Mittelschulen, unseren Kampf um die Hall- statt-Straße und die Rettung des Trautson-Palais; gegen einen Neubau des Bundesministeriums für Unterricht in der Öberen Donaustraße. Festgehalten sei aber auch, daß wir die sinnlose Zerstörung der Rauchfangkehrerkirche so wenig verhindern konnten wie die Verschandelung des Doms durch Kioskanbauten, die U-Bahn-Kreuzung unter dem Stephansplatz oder gar die Aufstellung verschiedener Denkmäler im Frack. Seither wurde und wird lustig drauflos demoliert und gebaut. Einzelne Banken, Sparkassen, die Postverwaltung, Versicherungen, Krankenkassen. vereinigen sich zu einem Demolierklub und verunstalten nicht nur alte Städte, sondern auch Ortsbilder. Finanzielle Interessen, eine um ein halbes Jahrhundert nachhinkende Modernisierungswut, dazu reines Ingenieurdenken, dies alles in einem Land, das immerhin, meint man, auch aus seinem kulturellen und künstlerischen Erbe lebt.

Nur rettungslos optimistische Patrioten können immer wieder gegen diese Mischkulanz von Engstirnigkeit und Egoismus anrennen. Der Kunstsenat hat daher auch in seiner Eingabe vom Juli dieses Jahres an das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung folgende wiederholt öffentlich gestellte, doch bis jetzt nur in Ansätzen erfüllte Forderungen erhoben:

• Eine verschärfte Handhabung des geltenden (unvollkommenen) Denk- malschu tagesetzes;

• Ausbau der Schutzgesetze, vor allem des in Entwürfen bereits vorhandenen Zonenschutzgesetzes über die Bemühungen einzelner Städte hinaus, für ganz Österreich;

• Erweiterung des Schutzes auch für typische Profanbauten, Bürgerund Bauernhäuser vom Biedermeier an bis zu charakteristischen Bauten moderner international führender Architekten, wie Hoffmann, Frank, Lichtblau usw. (in den letzten Jahren wurden zahlreiche dieser Bauten abgerissen oder verunstaltet, ohne daß irgend jemand eingegriffen hätte und aingreifien konnte);

• da oit in aller Stille ein geschütztes Baudenkmal- nach’=dem anderen für den Abbruch freigegeben wurde, dies aus verschiedenen Gründen, fordert der Kunstsenat, daß künftig über jeden einzelnen Fall öffentlich Rechenschaft gegeben werde;

• jede weitere Föderalisierung des Denkmalschutzes würde die Handhabung der betreffenden Gesetze in vielen Fällen zum Spielball örtlicher, persönlicher, finanzieller und parteipolitischer Interessen machen;

• Wer weiß schon, welche Werke wirklich geschützt sind? Hier müßte ein Weg gefunden werden, interessierten Menschen Informationen in die Hand zu geben, ohne damit freilich den Kreis der zu schützenden Objekte zu begrenzen;

• da viele verantwortliche Eigen tümer oder Funktionäre über die Notwendigkeit und die Möglichkeit eines Schutzes nicht oder falsch oder nur sehr unzulänglich orientiert sind und Unwissenheit auf diesem Gebiet mehr zerstört als böser Wille, wäre eine umfassende Aufklärung durch die Massenmedien, vor allem durch das Fernsehen dringend. Ebenso notwendig wäre ein leicht verständlicher, knapp gefaßter Leitfaden für Ortsbürgermeister usw. Eine Enquete über diese brennenden Fragen wurde von Frau Bundesminister Dr. Firn- berg in Aussicht gestellt.

Wir wollen dabei keine Zweifel aufkommen lassen, daß diese Forderung nach einem verbesserten Denkmalschutz nicht genügt, daß es wenig Sinn hat, das Erbe zu bewahren, wenn heute von vielen und vor allem von den öffentlichen Bauherren, neue Bauten gewünscht und hingesetzt werden, die den modernen künstlerischen und funktionellen Anforderungen in keiner Weise entsprechen. Diese Bauten erreichen meistens nur künstlerisches Mittelmaß oder landen in modernem Kitsch. Ob Wien Weltstadt bleibt, oder, wie andere wünschen, wieder wird, hängt bestimmt nicht an der Anzahl von Beatkellern, zertrümmerter Stühle, Fensterscheiben und Klaviere, auch nicht daran, ob mehr und mehr Hochhäuser und Schornsteine das Stadtbild zerreißen, auch nicht an der Bilanz abgerissener Barockbauten und demolierter Ringstraßenpaläste, sondern daß das Alte bewahrt und ein Bemühen um künstlerische neue Profanbauten sichtbar wird, daß vor allem bei Großprojekten sachlich und nach Weltmaßstäben und nicht nach politischen oder rein kapitalistischen Grundsätzen entschieden werde.

Der Kampf gegen Mittelmaß und Kitsch auf allen Linien ist eine Aufgabe des Kunstsenats, der ihn aber nur führen kann, wenn ihm auch die rechtlichen Grundlagen gegeben werden.

Ziel: eine Akademie der Künste

Wir wissen sehr ‘gut, daß der gegenwärtige Kunstsenat sich nicht mehr zumuten darf, als er tatsächlich leisten kann, und daß er vor allem die notwendige Durchschlagskraft nicht erreichen kann, Solange die gesetzlichen Voraussetzungen fehlen. Schon 1957 haben wir daher angeregt, daß man den Senat als Keimzelle für eine künftige Akademie der Künste nehmen möge. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde auch ausgear- beitet. Nun nennt man Österreich gerne ein Land der Künste. Man nimmt jedoch die Kunst, sobald es über die Bundestheater oder die Salzburger Festspiele hinausgeht, noch immer nicht ganz ernst. Erst jetzt besitzen wir ein „Bundesministerium für Unterricht und Kunst“, ein Ministerium also, das sich nicht schämt, die Kunst auch im Titel zu führen. Eine Akademie der Künste aber, die die Kunst in Österreich auch in der Verfassung verankern und ihren Bestrebungen und Forderungen etwa auch den nötigen Rückhalt geben und den Verkehr mit ausländischen Akademien fordern würde, scheiterte bisher vor allem am Föderalismus. Nun ist der Föderalismus eine sehr fruchtbare und kulturell sehr wichtige Sache, sinnlos wäre es jedoch, in jedem Bundesland etwa eine eigene Akademie der Künste aufzuziehen, nicht nur sinnlos, sondern surreal. Freilich, auch wenn wir dieses Hindernis überwinden könnten, müßte sich der Kunstsenat vorerst zu einer Akademie kleineren Umfanges mit ordentlichen, außerordentlichen und korrespondierenden Mitgliedern entwik- keln. Worauf es ankommt, ist nicht der Umfang oder wiederum der Apparat, gar der Name, sondern die gesetzlich gesicherte Durchschlagskraft. Wer seit mehr als 40 Jahren in der Ersten und Zweiten Republik für eine bessere Koordination, eine entschiedenere Kunstpolitik sich herumrauft und ein paar Dutzend Memoranden verfaßt hat, wird über Fehlschläge nicht so leicht verzweifeln. Er weiß es aber auch bereits als Fortschritt zu schätzen, daß endlich auch die schöpferischen Künstler, diese geborenen Individualisten, Tuchfühlung miteinander nehmen und sich um die Künste in Österreich, um die Kunstpolitik in Österreich über das eigene Werk, über die eigenen Erfolge hinaus kümmern. Das Gespräch dieser Künstler untereinander aber ist meiner Meinung nach allein heute bereits unersetzbar.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung