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Wozu Latein?

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Es muß etwas geschehen. Darüber waren sich die Teilnehmer der Enquete „Latein im Computerzeitalter“ einig, die die Wiener Humanistische Gesellschaft, die österreichische Studienkommission für klassische Philologie und die Arbeitsgemeinschaft der Latein- und Griechischlehrer veranstaltete. Angesichts der bevorstehenden AHS-Oberstufenre-form ist zu befürchten, daß der Lateinunterricht — im humanistischen Zweig auch der Griechisch-

Unterricht — um ein bis zwei Wochenstunden reduziert und damit an seinem Lebensnerv getroffen wird. Denn die klassischen Fächer verlieren ihren Sinn, wenn sie aus Zeitmangel auf den elementaren Sprachunterricht beschränkt bleiben müssen.

Den Sinn der klassischen Sprachen unter den veränderten Voraussetzungen der Gegenwart ins Bewußtsein zu bringen und ihnen erneut ihre Legitimation zu geben, war das Grundanliegen der Altphilologen. Mit der Enquete wurde ein erster Schritt in die Öffentlichkeit getan, um Latein und Griechisch von den gängigen Vorurteilen der Realitätsferne und Nutzlosigkeit zu befreien.

Persönlichkeiten verschiedener Fachrichtungen und Lebensbereiche nahmen bei der Enquete zum Thema Latein aus persönlicher Sicht Stellung. Sie brachten verschiedene Facetten zutage, vor allem wurde die unumstrittene Funktion als Denk- und Konzentrationstraining hervorgehoben. Daß die persönliche Ausdrucksfähigkeit durch Latein und Griechisch geschult, ganz allgemein der Zugang zur Sprache erleichtert wird, sei es zur eigenen Muttersprache, sei es zur modernen Fremdsprache, wurde besonders hervorgehoben. In der Mühsal des Lateinunterrichtes können diese positiven Aspekte sowohl beim Lehrer wie auch beim Schüler (und seinen Eltern) leicht in Verlust geraten. Möglicherweise erschwerend für die Motivation kommt allerdings dazu, daß Latein seine Bedeutung in der Kirche und in der Wissenschaft, besonders in der Medizin, nach und nach abgeben mußte.

Ein Großteil der Forderungen, die bei der Enquete gestellt wurden, ging an die Adresse der Lehrer. An ihnen liegt es, die Verbindung zwischen den klassi-

schen Sprachen und der damit vermittelten Kultur zur Realität von heute herzustellen. Sie allein können die Schüler auf die Allgemeingültigkeit menschlicher Situationen in den klassischen Textenhinweisen und ihnen die Möglichkeit eröffnen, im Bild der Antike zugleich Grundmodelle sozialen Verhaltens zu erkennen: Diese/ Aufgabe findet zwar durch die Lehrpläne immer größere Unterstützung, stellt aber an den Pädagogen große Ansprüche.

Auch Gesichtspunkte aus dem Wirtschaftsleben wurden angeschnitten. Gerade für den Gedanken der Europareife unseres Landes ist es von Bedeutung, sich der gemeinsamen Wurzeln zu besinnen, eine gemeinsame Bildungstradition zu pflegen. Darüber hinaus hegt aber in der Spannweite zwischen den unveränderlichen Leistungen der griechischen und römischen Antike und der rasanten Entwicklung der modernen Elektronik noch eine andere Qualität. Die Polarität zwischen diesen gegensätzlichen Disziplinen zu überbrücken, könnte nämlich erweisen, daß eine fruchtbare gegenseitige Ergänzung möglich ist. Nicht nur könnte der Computer — wie es teüweise ja bereits geschieht- für den Lateinunterricht nutzbar gemacht werden, sondern man wird sich mehr und mehr darauf besinnen, wie wertvoll die Verankerung in einer soliden Bildung für die Verarbeitung neuer Lerninhalte geistig und auch menschlich ist.

Nur die Verankerung in den sprachlichen Wurzeln kann einer drohenden Verarmung der Sprache mit allen ihren Nebenerscheinungen entgegenwirken. Nicht zuletzt durch die Beschäftigung mit den sprachlichen und kulturellen Werten der klassischen Antike könnte zwischen den Gegenwelten der Ratio und der Phantasie, die sich immer weiter voneinander zu entfernen scheinen, eine Brücke geschlagen werden.

Bei der Enquete wurden auch konkrete Vorschläge gemacht. Neben verstärkter Öffentlichkeitsarbeit und Imagepflege, deren Notwendigkeit außer Frage steht, wurde eine wissenschaftliche Studie in Aussicht gestellt, bei der der Effekt des Lateinunterrichtes bei Dreizehn- bis Neunzehnjährigen untersucht werden soll.

Der praktischen Frage, wie diese unverzichtbaren Lerninhalte mit dem im Gefolge des Computerzeitalters rasant zunehmenden Wissensstoff vom Umfang her vereinbar sind, hat man sich leider nicht gewidmet.

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