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„… würde ich ins Gebiet der Rechtsnhilosonhie einordnen..

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Mit seinen utopischen Äußerungen, in einer besseren Zukunft könnte unsere Gesellschaft auf Gefängnisse verzichten, hat Justizminister Christian Broda die Öffentlichkeit geschockt. Nicht immer in Übereinstimmung mit seiner Partei. Auch nicht in Übereinstimmung mit den Männern seiner Praxis. Ein solcher Mann der Praxis ist Hofrat Dr. Karl Schreiner, Leiter der Strafvollzugsanstalt Stein an der Donau.

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Mit seinen utopischen Äußerungen, in einer besseren Zukunft könnte unsere Gesellschaft auf Gefängnisse verzichten, hat Justizminister Christian Broda die Öffentlichkeit geschockt. Nicht immer in Übereinstimmung mit seiner Partei. Auch nicht in Übereinstimmung mit den Männern seiner Praxis. Ein solcher Mann der Praxis ist Hofrat Dr. Karl Schreiner, Leiter der Strafvollzugsanstalt Stein an der Donau.

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SCHREINER: Eine Gesellschaft ohne Gefängnis würde ich in das Gebiet der Rechtsphilosophie einordnen. Man muß diese Meinung natürlich respektieren; das ganze ist ja auch präsentiert worden als ein mehr als langfristiges Vorhaben.

FURCHE: Können Sie sich eine Gesellschaft ohne Kriminalität vorstellen?

SCHREINER: In den nächsten 100 Jahren auf gar keinen Fall!… Richtig ist folgendes: Daß wir in Österreich zuviel Leute einsperren. In Österreich kommen auf etwa 100.000 Einwohner über 100 Inhaftierte. In der Bundesrepublik sind es 84, in anderen Ländern 16 bis 18. Das ist ein reines Faktum, ohne daß man sagen könnte, die Verhältnisse seien bei uns viel sicherer.

FURCHE: Abschaffen, wie Justizminister Broda es meint, wird man Ihrer Meinung nach das Gefängnis also nicht können?

SCHREINER: In dem Bereich, wo eine konkrete Gefährdung der Gesellschaft durch kriminelle Menschen vorliegt, wird es immer notwendig sein. Ich glaube, überall dort, wo das Gefängnis der Vergeltung oder Abschreckung dient, wird man wahrscheinlich in einer entwickelteren Gesellschaft andere Sanktionsformen finden. Aber noch einmal: Wir werden für bestimmte Leute immer das Gefängnis brauchen, ob man das Maßnahmevollzug oder sonstwie nennt… das ist ja dasselbe.

FURCHE: Wie hoch ist der Prozentsatz der hier Inhaftierten, für den es nach Ihrer Ansicht keine Alternative zum Freiheitsentzug gibt?

SCHREINER: Wir haben hier einen Sonderblock für erhöhte Sicherheit.

Seit fünf Jahren beträgt dort der Belag etwa 10 bis 15 Prozent vom Gesamtbelag der Anstalt. In diesem Bereich könnten wir auf das Gefängnis nicht verzichten. Dazu kommen andere Delinquenten: Sittlichkeitstäter, Drogenabhängige, auch professionelle Betrügertypen. Also: Bei einem Viertel meiner Belegschaft würde ich das Gefängnis zum Schutz der Gesellschaft für notwendig bezeichnen. Für die genannten Inhaftierten wird die Haft auch in entwickelteren Gesellschaften sinnvoll und notwendig sein.

FURCHE: Warum wollen Sie in den Fällen, wo eine Isolation der Rechtsbrecher nicht unbedingt erforderlich ist, den Freiheitsentzug durch andere Maßnahmen ersetzen?

SCHREINER: Das Problem der Freiheitsstrafe ist, daß sie ein sozial derart unterschiedliches Gewicht hat. Die Freiheitsstrafe an sich-ist nicht das Schlimmste, aber ihre sozialen Nebenwirkungen. Durch das System der Tagessätze ist ja die Geldstrafe seit einigen Jahren sozial differenziert anwendbar. Bei der Haft ist das nicht so: Je niedriger der soziale Standard, um so weniger trifft die Freiheitsstrafe. Je höher der soziale Status, desto unangenehmer die Nebenwirkungen. Die Freiheitsstrafe kann den Menschen in seiner Existenz vernichten. Von ihr werden meist auch die privaten Verhältnisse schwerstens betroffen. Die Familienbande werden häufig - je höher das soziale Niveau; desto wahrscheinlicher - zerstört. Das wäre mit ein Grund, die Freiheitsstrafe, überall, wo dies möglich ist, durch andere Maßnahmen zu ersetzen.

FURCHE: Welche Alternativen zur Haft gibt es für die leichteren Fälle?

SCHREINER: Ich denke an die Bewährungshilfe im Sinne einer Schutzaufsicht, an die Erteilung von konkreten Weisungen etwa hinsichtlich des Arbeitsplatzes oder des Umganges, sowie eben an die Geldstrafe. Auch wäre es denkbar, nicht nur ins Vermögen einzugreifen, sondern auch die erreichte soziale Stellung zu beschneiden. Etwa, daß jemand von einer leitenden in eine untergeordnete Position zurücktritt.

FURCHE: Wie sind Sie mit den Erfolgen im Strafvollzug zufrieden?

SCHREINER: Im Erstvollzug haben wir eine Rückfallsquote von 18 Prozent. Man darf net sagen: Das nützt eh nix! Man darf net sagen: Er is scho’ wieder da! Man muß fragen: Wie ist er wieder da? Das ist hier oft wie beim Arzt, der auch oft nicht völlig Geheilte heimschickt. Wir können aus den Rechtsbrechern ja keine Sängerknaben machen, sondern ihnen nur das Aggressionspotential nehmen. Wenn wir aus einem Mörder einen Dieb machen, ist für die Gesellschaft viel erreicht. Wir haben aber hier in Stein noch keinen Mörder entlassen, der noch einmal gemordet hätte.

FURCHE: Was sagen Sie zum Häftlingsurlaub, um den es ja wieder still geworden ist?

SCHREINER: Den sogenannten Häftlingsurlaub gibt’s in allen vergleichbaren westlichen Staaten. Ich glaube, hier liegt ein unerhörter Fehlschluß vor. Die Leute sagen: Einsperren, bis die Schwarte kracht! Die Gesellschaft muß aber zur Kenntnis nehmen, daß sie mit der Kriminalität als notwendigem Übel der Gesellschaft leben muß. Genauso wie mit den Verkehrsunfallen. Die Frage lautet: Wie wird der kriminelle Teil in die Gesellschaft integriert? Ich will keine Verwöhnung oder Verhätschelung der Verbrecher. Man muß sie als verantwortliche Menschen behandeln, ihnen in dosierter Form Verantwortung auferlegen, sie zu Selbstengäge- ment zwingen.

Das Gespräch mit Hofrat Dr. Karl Schreiner führte Alfred Grinschgl.

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