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Wunder der Architektur am Fuß des Ätna

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„Wenn auch die Vielheit der Völker, die unter Unserer Herrschaft beseligt im Friedensstand atmen, Uns ohne Unterlaß drund zum Nachdenken gibt, so werden Wir dennoch durch ein gewisses Vorrecht der Liebe veranlaßt, Unsere besondere Sorge dem Lande Sizilien, dessen Erbe uns glanzvoller ist als aller Besitz, immer wieder zuzuwenden.“ Dies ist nur eine der vielen Liebeserklärungen, die der Hohenstaufenkaiser Friedrich II. in normannischem Französisch niederschrieb oder diktierte. — Und in der Tat ist diese große Insel zwischen Morgen- und Abendland eine Welt für sich, auf relativ engem Raum ungeheure historische Spannungen und geographische Gegensätze darbietend: ein „Spielfeld der Natur“ und eine Schatzkammer, die jahrtausendealte Monumente von höchstem Wert und Reiz birgt.

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„Wenn auch die Vielheit der Völker, die unter Unserer Herrschaft beseligt im Friedensstand atmen, Uns ohne Unterlaß drund zum Nachdenken gibt, so werden Wir dennoch durch ein gewisses Vorrecht der Liebe veranlaßt, Unsere besondere Sorge dem Lande Sizilien, dessen Erbe uns glanzvoller ist als aller Besitz, immer wieder zuzuwenden.“ Dies ist nur eine der vielen Liebeserklärungen, die der Hohenstaufenkaiser Friedrich II. in normannischem Französisch niederschrieb oder diktierte. — Und in der Tat ist diese große Insel zwischen Morgen- und Abendland eine Welt für sich, auf relativ engem Raum ungeheure historische Spannungen und geographische Gegensätze darbietend: ein „Spielfeld der Natur“ und eine Schatzkammer, die jahrtausendealte Monumente von höchstem Wert und Reiz birgt.

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Bisher hatten wir — die sechs-bis siebentägige Autobus-Touristenrundfahrt rings um die Insel herum meidend — nur den von Palermo beherrschten nördlichen und westlichen Teil Siziliens kennenzulernen Gelegenheit (Monreale und Cefalü, die Tempelbezirke von Agrigent, Selinunt und Segesta sowie das Land dazwischen. Hierüber haben wir seinerzeit ausführlich in der 3. und 6. Folge 1969 der FURCHE berichtet). — Diesmal war die verlok-kende Opernsaison von Catania der Vorwand, uns auch im Osten und Süden der Trinacria ein wenig umzusehen. Man ist zunächst überrascht von der Verschiedenheit zum Nordwesten, vom südlicheren Charakter, dem Tropisch-Wuchernden dieser Küste, die zu den schönsten des Kontinents gehört. (Bei diesem Urteil verlassen wir uns lieber auf Federico di Suevia als auf zeitgenössische Reiseführer und Fremdenverkehrsprospekte.) 1 '

Da war also zunächst Taormina mit seiner in Haarnadelkurven nach Castel Mola führenden Straße und einem Panorama, dessen perfekte Komposition fast schon ans Kitschige grenzt. — Steigt man zu dem im 3. Jahrhundert v. Chr. von Griechen erbauten, im 2. Jahrhundert n. Chr. von den Römern restaurierten Theater herunter und dessen Stufen hinauf — und das freundliche Touristenlächeln vergeht. Von ihm sagt Goethe, daß seine Zuschauer einen Ausblick, „solche Gegenstände“, vor sich gehabt haben, wie kein anderes Publikum der Welt: „Rechts zur Seite, auf höheren Felsen, erheben sich Kastelle, weiter unten liegt die Stadt, und obschon diese Baulichkeiten aus neueren Zeiten sind, so standen doch vor alters wohl eben dergleichen auf eben derselben Stelle. Nun sieht man an dem ganzen langen Gebirgsrücken des Ätna hin, links das Meerufer bis nach Catania, ja Syrakus; dann schließt der ungeheuer dampfende Feuerberg das weite breite Bild, aber nicht schrecklich, denn die mildernde Atmosphäre zeigt ihn entfernter und sanfter, als er ist.“

Hierauf weiter nach Syrakus, im Altertum mit seinen eineinhalb Millionen Einwohnern die nach Rom und Alexandrien drittgrößte Stadt der Welt, während des Mittelalters zusammengeschmolzen, entmachtet und heute mit einer Einwohnerzahl von nur noch etwa 110.000. — Aber mit dem besterhaltenen und größten griechischen Theater der Alten Welt. Hier sah Aischylos die erste Aufführung seiner „Perser“, und noch viele andere Premieren von ähnlicher Bedeutung haben in dem 15.000 .Sitzplätze umfassenden Theater von Syrakus stattgefunden. Dicht daneben, etwas tiefer gelegen, Im „archäologischen Park“, die auf die reizvollste Weise von Grün und Frühlingsblumen überwucherten Ruinen eines kleinen römischen Amphitheaters, gewissermaßen die „Kammerspiele“ der monumentalen griechischen Anlage. Und man erinnert sich , auch daran, daß hier Archimedes von einem ahnungslosen römischen Soldaten niedergemacht wurde. (Ähnlich wie Anton von Webern von einem jungen Amerikaner: ein Unschuldiger von einem Unwissenden ...)

Und dann: Catania mit seinem kleinen, merkwürdig provinziell wirkenden Flughafen. Schon bei der ersten Fahrt durch die Stadt und bei späteren Besuchen sieht auch der in solchen Dingen wenig Bewanderte: Es ist nicht nur eine große Stadt (laut Fremdenführer 410.000 Einwohner, nach Palermo die zweitgrößte Siziliens, gefolgt von Messina), sondern auch eine reiche, ein Industrie- und Handelszentrum mit großem und kleinem Hafen, mit erzbischöflichem Sitz und Universität, mächtigem Dom — und einem Theater, das kaum in einem Reiseführer verzeichnet ist, jedenfalls nicht als die Sehenswürdigkeit hervorgehoben wird, wie sie's verdient. Ihr barockes Gepräge, wie es sich heute darbietet, erhielt die Stadt im 18. Jahrhundert. In einer schmalen, unauffälligen Gasse: das Teatro Massimo Bellini, benannt nach dem in Catania 1801 geborenen und verehrten Komponisten, dessen Werke im Repertoire einen bevorzugten Platz einnehmen. (Dafür und für vieles andere sorgt der derzeitige künstlerische Leiter Maestro Mario Belardinelli.)

Es war für die Architekten keine leichte Aufgabe, neben dem aus dem 13. Jahrhundert stammenden — natürlich gleichfalls einmal zerstörten und wiederaufgebauten Dom —, dem römischen Theater und den mächtigen Normannenbauten, etwa dem Castello Urbino des Federico di Suevia, etwas Ähnliches, womöglich Gleichwertiges hinzustellen. („Weh dir, daß du ein Enkel bist!“) Aber das Wunder ist gelungen. Der in den Jahren 1880 bis 1890 errichtete Prachtbau stammt von Andrea Scala und Carlo Sada in Zusammenarbeit mit den damals besten Malern und Stukkateuren Bellenti, Moschetti und Moretti. — Wollte man einen Vergleich wagen, so könnte man an die Pariser Oper erinnern, und in der Tat waren die italienischen Künstler, die dieses Wunderwerk schufen — denn um ein solches handelt es sich — große Bewunderer Garniers und seines Pariser Opernpalais'.

Es gibt intime und imposant-repräsentative Räume. Das Opernhaus von Catania vereinigt auf fast geheimnisvolle Weise beide Eigenschaften: Man fühlt sich in diesem Raum gleichermaßen erhoben und geborgen, was ein ganz seltsames glückliches Empfinden bewirkt.

Konstatiert man noch die unwahrscheinlich gute und feine Akustik, so ist man geneigt, dem unvergeßlichen Benjamino Gigli rechtzugeben, der in seinen Memoiren schrieb: das Teatro Bellini in Catania sei das schönste und akustisch beste der Welt. An Wohlgestalt und Schönheit übertreffe es sogar La Fenice, und was die Akustik anlangt, so sei diese besser als die von San Carlo. Hier zu singen habe ihm immer die reinste Freude bedeutet. — Für den Autor dieses Berichts gehört es zu den Merkwürdigkeiten in dieser komischen Welt, daß man — obwohl seit mehr als 20 Jahren auf dem Kontinent umherreisend, mit immer wieder dem gleichen Endziel: Konzertsäle und Opernhäuser, neue und altehrwürdige — noch von niemand auf dieses Juwel, dieses klangliche Mirakel, aufmerksam gemacht worden ist; auch von Freunden in Palermo nicht, von wo es bis Catania schließlich nicht mehr als ein größerer Katzensprung gewesen wäre... *

Wie also sieht nun eine solche „Stagione“ aus? Es wird keinesfalls, wie uns die Fama zutrug und was auch einmal als Schreckgespenst über der Wiener Oper schwebte, das gleiche Werk acht- bis zehnmal hintereinander abgespult, um dann einem neuen Stück zu weichen. Im Teatro Massimo Bellini dauert die Stagione Urica vier Monate, und zwar vom 14. Jänner bis 17. Mai. In dieser Zeit hat das Teatro Beliini zwölf Werke auf dem Programm, und zwar elf Opern und ein Ballett („Giselle“ von Adam). Dabei ist es so eingerichtet, daß man in jeder Woche mehrere Werke hören kann. Unmöglich, an dieser Stelle alle Besetzungen anzugeben, alle Regisseure und Dirigenten zu nennen. Daher zunächst eine Aufzählung der in dieser Saison gespielten Werke: „Beatrice di Tenda“ von Bellini, „Manon Lesoaut“, „II Tabarro“, „Suor Ange-lica“ und „Gianni Schicchi“ von Puc-cini, „L'Elisir d' amore“ von Doni-zetti, „Lutea Miller“ und „Rigoletto“ von Verdi, „Carmen“ von Bizet und schließlich „Im Capello di paglia di Firenze“ von Ndno Rota, Jahrgang 1911, Schüler von Pizzetti und Ca-sella, nach Labiehes auch auf deutschen Bühnen viel gespieltem Lustspiel „Der Strohhut“, als Oper 1955 in Palermo uraufgeführt. — Am Pult standen: Danilo Belardinelli, Nino Bonovolontä, Olivero de Fabritiis, Enrico de Morl, Aniaitole Fistou-lari, Ettore Gracis, Nino Sanzogno und Mainno Wolf-Ferrari. — Die Regisseure, gleichfalls in alphabetischer Reihenfolge: Attilio Colonello, Fiflippo Crivelli, Dario della Corte, Vassallo, Vittorio Pantane, Carlo Pic-cinato, Petro Pattino und Francesca Beppe Menegatti, Aldo Mirabella-Siciliani. — Aber sie sind keineswegs nur als Siciliani bemerkenswert. Das gleiche gilt von den vielen Sängerinnen und Sängern, von denen wir nur einige bekanntere aufzählen. (Eine vollständige Namensliste steht inter“ essierten Operndirektoren und Intendanten gerne zur Verfügung, sie könnten sich durch einen Besuch einer Spielzeit in Catania um Neuerwerbungen bemühen und — vielleicht — einige hunderttausend Schilling sparen, indem sie engagieren, was zwar jung und gut, aber noch nicht so teuer äst wie unsere Stars.) Hier also nur eine Auswahl: Raffaele Arie, Carlo Bini, Ruggero Bondino, Sesto Bruscantini, Boris Christoph, Viorica Cortez, Mario Guggia, Lydia Marimpietri, Rolando Panerai, Salvatore Puma, Renata Scotto, Elena Suliotis, Giuseppe Tad-dei, Giorgio Tadeo, Amedeo Zam-bon und, als Clou, obwohl kein Sänger: Paolo Bortoluzzi in „Giselle“.

Wir wählten als „Test“ und besprechen hier in gebotener Kürze eine Aufführung von „Luiso Miller“, in der Reihe von Verdis 30 Opern die dreizehnte — und unmittelbar vor der Erfolgstrias „Rigoletto“, „II Trovatore“ und „La Triviata“ entstanden. Wieder war man (wie bei der Wiener Premiere Ende Jänner 1974) gefangen, beeindruckt und charmiert von der jugendlich unverbrauchten Tonsprache, der Feinheit der Instrumentation, der meisterlichen Balance von Soli, Orchester und Chor — der hier reichlich beschäftigt ist und auch viel zu agieren hat. (Wir berichteten über Werk und Wiedergabe ausführlich in der 5. Folge der FURCHE des vergangenen Jahres.) — Hier in Catania erlebten und genossen wir ein ungewönhlich homogenes Ensemble, das ausschließlich aus italienischen Sängern bestand: Renata Scotto in der Titelpartie, Renata Cioni — Ro-dolfo, Raffaele Arie — Graf Walter, Rosa Laghezza — Gräfin Ostheim, Sesto Bruscantini — Vater Miller, Vita Maria BrunetU — Wurm, in Nebenrollen Rosetta Arena und Nini Valori. Besonders sind die Leistungen des Chores hervorzuheben( Einstudierung: Rolando Maselli); Primo loco aber die fein nuancierende Gesamtleitung durch Maestro Oliviero de Fabritiis. Der Regisseur Beppe de Tomasi waltete unauffällig (und daher angenehm, gut und zweckmäßig) seines Amtes; der Bühnenbildner Giancarlo Padovani — das Unsinnige der Verlegnung von Schillers „Kabale und Liebe“ nach Tirol erkennend — schien ein wenig unsicher, stattete aber sowohl Bühnenbild wie Kostüme mit gutem Geschmack und beträchtlichem Aufwand aus (von dem man hier übrigens weiß, daß er nicht viel kosten darf). Dem Gast von auswärts fiel der häufige, gleich nach den ersten Arien einsetzende Szenenapplaus auf, der die Sänger sichtlich und hörbar animierte. Kein Protest von irgendeiner Seite war während des ganzen Abends zu hören, eine wahre Wohltat. Hier sangen und spielten Italiener, Meister ihres Faches, für ihre Landsleute, die jede einzelne Leistung nicht nur zu würdigen wußten, sondern auch sehr nuanciert bedankten. So mag denn auch unser Bericht mit einem Dank schließen: an das freundliche und gut funktionierende Pressebüro unter der Leitung des Dottore Zambonelli sowie an das Wiener ENIT, das uns alle erbetenen Informationen prompt und genau lieferte.

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