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Wunderdoktor Bruno K. und die bürgerliche Medizin

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Das Krankheitsspektrum der „bürgerlichen Medizin” ist nach Ansicht der Autoren des SPÖ- Problemkatalogs für das neue Parteiprogramm gekennzeichnet durch einen Rückgang der Infektionskrankheiten bei einer Zunahme der Volkskrankheiten, die da sind: bösartige Geschwülste, chronisch-degenerative Erkrankungen und psychosomatische Erkrankungen.

Man möchte meinen, die zitierte Passage des SPÖ-Problemkatalogs sei nicht als Zustandsschilderung der bürgerlichen Medizin, sondern der sozialistischen Gesundheitspolitik geschrieben worden. Letztere ist nämlich noch viel deutlicher von obzitierten Volkskrankheiten befallen.

Wären die Sozialisten keine utopischen Träumer, brauchten sie’ keine Volkspartei zur Lösung der leidigen Spitalsfrage; dann könnten sie nämlich ihren Problemkatalog zur Hand nehmen und wie folgt Vorgehen: Ein Teil der von der bürgerlichen und selbstverständlich etablierten Medizin in Besitz genommenen Spitäler wird kurzerhand zugesperrt, die leichteren Pflegefälle werden an die jweils nächstgelegenen SPÖ-Sektionen verwiesen, wo es tägliche Vorträge zu den Themen „Soziale Ursachen der Krankheit”, „Mitbestimmung im Gesundheitsbereich” und „klassenlose Medizin” gibt.

Da dem aber nicht so ist, brauchen sie die Volkspartei.

Das Versprechen, Österreichs Gesundheitssystem auf Vordermann zu bringen, ist mindestens genauso alt wie die sozialistische Regierung:

• In der Regierungserklärung 1970 sprach Bruno Kreisky von der Erstellung eines Gesamtkonzeptes verbun den mit einem längerfristigen Finanzierungsplan für alle Zweige der Sozialversicherung. Ein gesamtösterreichischer Krankenanstaltenplan einschließlich Finanzierungskonzept sollte folgen.

• In den folgenden Regierungserklärungen wurde ähnliches verheißen.

• Auf einer Regierungsklausur des Jahres 1973 kam es zu einem Altema- tiworschlag: Entweder sollten die Zigaretten um einen Schilling je Pak- kung teurer oder die Kfz-Steuer um 50 Prozent erhöht werden. Mittlerweile sind die Zigarettenpreise viermal erhöht worden; die Autosteuer hat die

Regierung gleich bis zu300 Prozent hinaufgeschnalzt. Und von all dem haben Österreichs Spitäler keinen Groschen gesehen.

Im abgelaufenen politischen Arbeitsjahr, das will Kreisky hoch angerechnet sein, hat es an ernstgemeinten Initiativen nicht gefehlt. Zuerst hat der Bundeskanzler seiner Gesundheitsministerin das Heft aus der Hand genommen und sich selbst gemeinsam mit Vielfach-Funktionär Sekanina an die Spitze der Spitalsreformer gestellt. Anfang Juni waren fasteinhalbesDutzend sogenannter „Spitalsgipfel” über die Bühne und eine Lösung in Sicht. Die Rede war von einer zweckgebundenen Bundesabgabe, die direkt den Spitälern zufließen sollte. Zuvor waren schon neun Länderfonds und ein zentraler Bundesfonds im Gespräch, die für die Aufteilung der Gelder zuständig sein sollten. Die Ländervertreter hatten wiederum vo,n allem Anfang verlangt, der Bundeszuschuß für den

Spitalsabgang sollte auf 28 Prozent angehoben, die Sozialversicherung zur Übernahme von 80 Prozent der Pflege-, kosten verdonnert werden.

Nun steht der Kanzler doch allein auf weiter Flur: Die in Aussicht genommene neue Steuer, gegen die insbesondere die schwarzen Ländervertreter gar nicht so viel einzuwenden hätten, da sie mit panischem Entsetzen der drohenden Kostenlawine entgegenblicken, kann Kreisky nun - und wenn ihm danach ist - im Alleingang beschließen. Es besteht kein Zweifel, daß die Parteispitze der ÖVP einige ihrer besteuerungswilligen Landesfürsten aus dem westlichen Eck Österreichs zurückpfeifen mußte, um ihr vorläufiges, aber unbeugsames ,iNjet” in der Partei durchzubringen.

Auch der letzte Versuch Kreiskys, einen Keil in die ÖVP zu treiben, ist schiefgegangen. Sein „Freund” Wall- nöfer, den Kreisky am Wochenende für sich zu gewinnen hoffte, hat ihm vermutlich auch nichts anderes gesagt als Josef Taus. Bruno Kreisky wird über die Spitalsmillionen nun mit seinem Wiener Parteifreund Gratz beraten müssen, die Stadt Wien ist nämlich mit rund zwei Drittel am gesamtösterreichischen Spitalsdefizit beteiligt.

Das Verhältnis Länder-Bund scheint in Österreich ohnehin einen kleinen Knacks zu haben. In Straßenangelegenheiten, auch im Schulbau, versucht der Bund schon seit einigen Jahren die Länder (trotz eindeutiger Kompetenzlage) zur Kasse zu treiben. Einen Landeshauptmann soll, so Taus, der Kanzler gar schon um die Mitfinanzierung des Kasemenbaus angebettelt haben.

Wenn man zusätzlich noch bedenkt, daß Taus und Lanner seit der wenig glückhaften Zustimmung zur Wehrgesetznovelle von der Basis her zugunsten eines härteren Oppositionskurses unter Druck gesetzt werden, dann erscheint das ÖVP-Nein, in der Svitalsfrage mitzumachen und einer n%uen Steuer zuzustimmen, nicht außergewöhnlich.

Außergewöhnlich ist höchstens Kreiskys Reaktion, der im Parlament zu ÖVP-Gesundheitssprecher Günther Wiesinger gesagt haben soll: „Wenn die ÖVP der Spitalssteuer nicht zustimmt, wird es keine weiteren Verhandlungen geben.”

An der Spitalsfront wird zur Zeit also stillgestanden. Nach Bruno Kreiskys launenhaften Regungen hat wieder einmal eine Eiszeit die politische Landschaft geküßt.

Ob es nicht überhaupt am besten wäre, bürgerliche Medizin, etablierte Ärzte und klassenfeindliche Spitäler einfach einzufrieren?

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