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Digital In Arbeit

Wundersame Vermehrung

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Die elektronischen Medien haben - für viele überraschend - die Medienvielfalt gestärkt. Jetzt liegt es an der Wirtschaft, die neue Situation zu nutzen.

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Die elektronischen Medien haben - für viele überraschend - die Medienvielfalt gestärkt. Jetzt liegt es an der Wirtschaft, die neue Situation zu nutzen.

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Wer vor zehn Jahren die Behauptung wagte, es werde keinen „Medien-Kannibalismus“ geben, mußte riskieren, als Träumer angesehen zu werden.

Oder schlicht als Narr.

1974 hatten 82 Prozent aller Haushalte bereits ein Fernsehgerät, man wußte, daß Videorecorder bereits ihren Siegeszug antraten, und man nahm mit der Gelassenheit des informierten Insiders Begriffe wie „Kabelfernsehen“, „Bildschirmtext“, „Glasfaserkabel für Zweiweg-Kommunikation“ und anderes in den Mund.

Kassandras jeglicher Ideologie und jeglicher Profession prophezeiten den unvermeidbaren Niedergang aller anderen Medien. Dennoch: Der angesagte Medien-„Kannibalismus“ hat nicht stattgefunden. Kein Medium hat das andere aufgefressen, im Gegenteil: Die Medien scheinen sich gegenseitig zu vermehren.

Das Fernsehen hat die Entwicklung vieler Printmedien gefördert.

Das Vordringen der Kronenzeitung hat die regionale Konkurrenz nicht ruiniert, sondern stimuliert: die Entwicklung der 00 Nachrichten, der Kleinen Zeitung und der Kärntner Tageszeitung beweisen das.

Die Expansion dieser regionalen Tageszeitungen hat kräftige Impulse auf die Entwicklung vieler regionaler Wochenzeitungen gehabt. Keines dieser Medien hat ein anderes — wohlgemerkt gesundes! - Medium „umgebracht“— ganz im Gegenteil: Auch in Österreich blüht ein junger kräftiger Markt sogenannter „special interesf'-Medien: wie „Basta“, „Wiener“, „Trend“, „Gewinn“, „Yacht Revue“, „Auto Revue“, „Die Bühne“, „Falstaff“, „Gusto“, „dr. Gesundheitsmagazin“ sind nur einige Beispiele dafür. „Regal“, „Cash“, die „A3 Berufsmagazine“, die Touristikzeitschriften, die Computerzeitschriften, Zeitschriften für Geld, Bau, Technik, Sport und, und, und...

Die österreichische Medienvielfalt ist für so einen kleinen Markt — der noch dazu dem „Overflow“ des reichlichst ausgestatteten deutschen Print-Medien-Marktes ausgesetzt ist — imponierend.

Eine interessante Erscheinung —und Bereicherung—des Medienmarktes sind auch die Gratis-Zei-tungen und -Zeitschriften. Erwähnenswert —weil meist völlig unbekannt — ist außerdem die Tatsache, daß es in Österreich rund 30 Jugendzeitschriften gibt Von Medien-Kannibalismus kann also keine Rede sein.

Auch das Radio erlebt eine beeindruckende Renaissance... und auch das Kino wird neben dem Fernsehen auch noch neben dem Video existieren können — wenn... ja wenn man sich darüber im klaren ist, was überhaupt Medien am Leben erhält und gesund sein läßt.

Die Antwort ist einfach — für manchen vielleicht zu einfach: Auch Medien verdanken ihre Gesundheit ihren Konsumenten.

So wie jede andere Ware sind Medien lebendig und gesund, wenn sie Interessen befriedigen und wenn sie Wünsche erfüllen. Dann sind im Markt der Medien die Grenzen ebenso weitgesteckt wie im Markt der Nahrungsmittel, im Markt der Mode oder der Kosmetik — wie in jedem anderen

Markt individueller Bedürfnisse.

Markt-, Meinungs- und Mediaforschung können sicherlich im modernen Medienmarketing viel dazu beitragen, den Spielraum für Media-Angebote auszutesten, bestehende Grenzen zu erkennen und neue Möglichkeiten zu suchen.

Viel wichtiger scheint aber nach wie vor etwas zu sein, was in unserem voll-computerisierten Zeitalter mit seinen absolut „schlagfesten“, „feuerfesten“, absolut sicheren Management-Entscheidungssystemen oft übersehen oder vergessen wird: die Liebe des Produzenten für den Konsumenten, das Verständnis des Anbieters für seine Zielgruppen.

Als die Brüder Artur und Erwin Braun von ihrem Vater eine Fabrik für Radio und Elektrorasierer erbten, wollten sie — damals Mitte der zwanzig Jahre alt — alles andere als Kapitalisten sein: Sie wollten eigentlich in Afrika Kranke pflegen, sich für Wahrheit und Gerechtigkeit in der Welt einsetzen.

Als sie sich dann letzten Endes entschlossen, ihr Erbe doch anzutreten, schrieb ein Bruder an den anderen: „... wir sollten uns aber bemühen, Produkte zu machen, für Menschen, von denen wir hoffen, daß sie so sind, wie wir gern sein wollen...“

Längst haben die Brüder Braun ihr Unternehmen verkaufen müssen, längst hat die Konkurrenz Braun in Technologie und Design eingeholt... die Marke existiert aber immer noch, weil in der Persönlichkeit der Marke die Einstellung der Brüder Braun noch immer lebt.

Sieht man sich die Revue der Erfolge — und der Mißerfolge — (der kleinen und der großen, der spektakulären und der stillen) in der Mediaszene der letzten Jahre an, dann ergibt sich fast zwingend die Vermutung, daß besonders im Mediamarkt die Einstellung, „Produkte zu machen für Menschen, von denen man hofft, daß sie so sind, wie man gern sein möchte...“, eine besondere Bedeutung haben dürfte.

Der spektakuläre Erfolg des Boulevardblattes, die tiefe (und oft von außen gar nicht zu bemerkende) Bindung zwischen einem Zielgruppen-Magazin und seinen „Freaks“, zwischen einer Gesinnungsgemeinschaft und ihrem Medium, zwischen einem Radio-Moderator und seinen Fans, zwischen einem Lebenshelfer und seinen Anhängern ... alle Media-Erfolge lassen sich wahrscheinlich darauf zurückführen, daß der „Absender“ hofft, daß seine „Empfänger“ so sind, wie er gern sein möchte.

Nun gibt es ja im Media-Konsum nicht nur den „Hunger“ der Leser, Seher oder Hörer..., sondern auch die Bedürfnisse der Interessenten. Denn auch sie sind ja Media-JKonsumenten“, und gerade sie entscheiden sehr oft über Leben oder Tod eines Mediums.

Wenn es also tatsächlich so etwas wie einen Medien-„Kanniba-lismus“ gibt, dann sind die Ursachen dafür oft in der Kurzsichtigkeit der werbungtreibenden Wirtschaft zu finden.

Natürlich hat die werbungtreibende Wirtschaft nichts zu verschenken — und deshalb hat man sich ein System geschaffen, um den Wert der Medien als Werbeträger bestimmen und verrechnen zu können: die Media-Analyse.

Das Unverständnis für „die Zielgruppe“ (vielleicht auch die mangelnde Liebe zum Konsumenten, zum Leser, Seher oder Hörer) hat aber auch auf diesem Gebiet zu einer Perversion geführt, die man „Infratestismus“ nennen könnte.

Damit soll nicht das gleichnamige, hochverdiente und angesehene Meinungsforschungsinstitut verunglimpft werden..., sondern diejenigen, die Mediaforschung so dilettantisch handhaben, daß nur die Quantität als Synonym für Erfolg gehandelt wird und die Qualität der Medien auf der Strecke bleibt.

Mit dem wachsenden Mediaangebot, mit den immer individuelleren Kommunikations-Bedürfnissen und mit dem immer selektiver werdenden Media-Konsum erkennt aber auch die werbungtreibende Wirtschaft, daß die herkömmlichen Media-Analysen lediglich die Kontakt-Chance „vermessen“, jedoch nichts über den Wirkungsbeitrag eines Mediums, über die Wirkungs-Chance für das Werbemittel aussagen.

In Ländern mit einer reich ausgestatteten Medien-Vielfalt hat man sich schon seit langem mit der Erforschung der Medien-Qualität beschäftigt - und auch in Österreich zeichnet sich jetzt ein Umdenken auf breiterer Basis ab.

Sobald die werbungtreibende Wirtschaft erkannt haben wird, daß eine freie Wirtschaft Medienvielfalt braucht, daß Medienvielfalt nichts anderes ist als die Befriedigung individueller Bedürfnisse der Media-Konsumenten und daß es Aufgabe der Mediaforschung sein sollte, Erkenntnisse darüber zu liefern, wie die Bedürfnisse der Media-Konsumenten wirklich befriedigt werden, wird das Märchen vom Medien-„Kannibalismus“ endgültig der Vergangenheit angehören.

Der Autor ist Geschäftsführer der „Media 1. Gesellschaft für creative Mediaplanung“.

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