6849309-1976_39_08.jpg
Digital In Arbeit

Wunsche am Bodensee

19451960198020002020

In Vorarlberg ist man realistisch genug, keine eigene Universität anzustreben“, betonte Landeshauptmann Herbert Kessler vor Jahresfrist vor Wissenschaftsjournalisten. Er hatte dies auch vorher bereits jedem erklärt, der ihn um die Wünsche des Ländle an akademischen Einrichtungen gefragt hatte. Das bedeutet aber nicht, daß man zwischen Bodensee und Arlberg keinerlei Wünsche in dieser Richtung hätte. Ein Ausschuß der Osterreichischen Rektorenkonferenz recherchierte und konferierte daher in diesen Tagen zwischen Bregenz und Feldkirch, was an Vorstellungen vorhanden und was an Lösungsmöglichkeiten geraten erschiene.

19451960198020002020

In Vorarlberg ist man realistisch genug, keine eigene Universität anzustreben“, betonte Landeshauptmann Herbert Kessler vor Jahresfrist vor Wissenschaftsjournalisten. Er hatte dies auch vorher bereits jedem erklärt, der ihn um die Wünsche des Ländle an akademischen Einrichtungen gefragt hatte. Das bedeutet aber nicht, daß man zwischen Bodensee und Arlberg keinerlei Wünsche in dieser Richtung hätte. Ein Ausschuß der Osterreichischen Rektorenkonferenz recherchierte und konferierte daher in diesen Tagen zwischen Bregenz und Feldkirch, was an Vorstellungen vorhanden und was an Lösungsmöglichkeiten geraten erschiene.

Werbung
Werbung
Werbung

Die alemannische Genügsamkeit, die die Größe des Landes und die mögliche Zahl seiner Studenten in Relation setzt zu den in unmittelbarer Nachbarschaft gegebenen Bildungsmöglichkeiten, konnte nicht verhindern, daß die föderalistisch verständlichen Länderaspirationen auf eigene Hochschuleinrichtungen auch nach Vorarlberg vordrangen. Der Ruf kam aus der SPÖ, er traf bei der zuständigen Ministerin auf „zwei Seelen“. Ein Entgegenkommen für die Parteifreunde mußte auf Kosten der bestehenden Hochschulen gehen, um so mehr, als die Finanzansätze der Wissenschaft eher von Schrumpfung als von spürbarer Ausweitung bedroht scheinen.

Nun ist aber die österreichische Rektorenkonferenz laut Universi-tätsorganisationsgesetz aufgerufen, der Regierung beratend zur Seite zu stehen, wenn es um Universitätsbelange geht. So soll sie die heikle Frage in die Hand nehmen. Sie hat nun den Schwarzen Peter. Damit ist aber zum erstenmal in der österreichischen Universitätsgeschichte die Gesamtheit der Universitäten aufgerufen, mitzureden, ja mitzugestalten und alle Aspekte des Problems mit ins Spiel zu bringen.

Daß am Ufer des Bodensees nicht die sechste Volluniversität der Alpenrepublik . — nach Wien, Graz, Innsbruck, Salzburg und Linz — entstehe dürfte, aber auch nicht die; achte fachlich orientierte Universität, darüber scheinen doch alle einig zu sein. Nicht nur daß man in Vorarlberg Innsbruck ebenso als Lari-desuniversität betrachtet wie in Tirol — man gibt Forschungsaufträge, Zuschüsse, finanziert ein Studentenheim, berät jährlich zwischen Politikern und akademischen Funktionären die beiderseitigen Anliegen —, auch die im benachbarten Ausland gelegenen Bildungseinrichtungen (Konstanz, St. Gallen, das Technikum in Buchs) gelten als „fast einheimisch“. Es wäre wohl nicht ganz einfach, einen Themenbereich zu finden, der noch eine eigene Hochschule rechtfertigen würde — und dies in dieser geographischen Lage. So werden die Möglichkeiten wohl mehr in der Fortbildung, in der Forschungsförderung, in der Hebung der Mobilität liegen.

Die Rektorenkonferenz hat daher einen Ausschuß .eingesetzt. Er sollte zunächst alle bisher bekannten Aussagen zur Frage „Hochschulische Einrichtungen für Vorarlberg“ sammeln, durch die einschlägigen Statistiken ergänzen. An Ort und Stelle fanden nun in diesen Tagen die Gespräche mit Politikern, Wirtschaftern, Kulturschaffenden, mit den Vertretern der Nachbaruniversitäten sowie der sonstigen Bildungseinrichtungen der umliegenden Zonen — Schweiz, Liechtenstein, Baden-Württemberg — statt. Die Ergebnisse werden nun Aufnahme in einem Papier finden, das Unterlage für die Beratungen der Politiker sein soll.

Fast 20 Jahre nach Kriegsende vergingen, bis man wagte, den noch aus der Kaiserzeit herübergeretteten Stand an wissenschaftlichen Einrichtungen zu erweitern. Salzburg und Linz — die Wiedererweckung der alten Benediktineruniversität des Barock und die Neugründung einer Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Hochschule — machten den Anfang, Innsbruck folgte mit der bautechnischen Fakultät, Klagenfurts Bildungswissenschaftliche Universität setzte den vorläufigen Schlußstein. Immer stand der Druck der Landespolitiker — meist aller drei Parteien — dahinter, die die Ausbildungsinteressen der Landeskinder, die Kulturinteressen, die Bildung von geistigen Schwerpunkten ins Spiel brachten. Immer auch gegen den Widerstand der bestehenden Hochschulen, die — nicht zu Unrecht — fürchteten, daß die Gesamtdotationen nicht im selben Umfang steigen würden wie die Wünsche und vor allem die Bedürfnisse einer erst im Aufbau befindlichen Einrichtung und daß daher für sie — und ihren teilweise auch heute noch vorhandenen Nachholbedarf — zuwenig übrig bliebe.

Vorarlberg hat selbst vorgearbeitet, um den Beratungen entgegenzukommen. 1973 verabschiedete der Landtag ein Kulturförderungsgesetz, durch welches Land und Gemeinden zur Kulturförderung verpflichtet werden — in dieser Form einzig in Österreich. Eine Wissenschaftskommission wurde daraufhin im Vorjahi eingesetzt. Ihre 15 Mitglieder sind zum Großteil Hochschullehrer oder besonders qualifizierte Gymnasialdirektoren, dann gehört ihr der Zisterzienserabt von Mehrerau und der Stiftsbibliothekar von St. Gallen (als einziger Ausländer) an.

Möglichkeiten, „akademisch“ zu arbeiten, lassen sich viele denken, auch ohne eine eigene Universität aufzustellen. Man könnte etwa Forschungsinstitute, die es schon anderswo gibt, hierher verlagern, wenn die besonderen Voraussetzungen dafür gegeben sind, oder neue hier einrichten, die dem speziellen Vorarlberger Aspekt entsprächen.

Die Universität Innsbruck etwa hat sich — wohl als einzige im deutschen Sprachraum — besonders mit der Erforschung des Ladinischen in den Dolomiten befaßt — wer aber erforscht das Alemannische in Sprache und Volkstum? Bieten die Alpen

jenseits des Arlbergs nicht auch geographische, geologische, klimatologi-sche, landwirtschaftliche, bautechnische Aspekte, die einer besonderen Befassung — in einem neuen Institut — würdig wären? Sollte nicht auch der hohe Anteil an Gastarbeitern in der Vorarlberger Wirtschaft Anlaß zu besonderer Befassung geben? Können Sozial- und Präventivmedizin in der Industriestruktur des „Ländle“ nicht auch Forschungsaufgaben bringen? Nicht zuletzt die Frage, wo die Vorarlberger Studenten während der Ferien zur Vorbereitung auf ihre Prüfungen arbeiten können, wo sich die heimgekehrten Absolventen „innerösterreichischer“ Hochschulen in der Heimat weiterbilden können. (Hierfür ist die Studienbibliothek schon im Aufbau).

Verlagerung von Instituten bestehender Universitäten, Gründung neuer, aber auch Kooperationsverträge mit den Nachbarn wären denkbar. Die Weiterbildung im Medienverbund ist zwar keine speziell alemannische Aufgabe, müßte aber in das Gesamtkonzept einbezogen werden. Da es aber nie möglich sein wird, alle potentiellen Vorarlberger Studenten zu Hause auszubilden — was wohl auch kaum wünschenswert wäre —, sollte die Mobilität gefördert werden: die staatlichen Studienbeihilfen sind längst zu eng geworden, um Leben und Studium zu finanzieren. Hier muß das Land ergänzen, durch direkte Zuschüsse, durch Subventionen oder eigene Führung von Studentenheimen und Mensen in allen Universitätsstädten.

Eines dürfte sicher sein: die Bei-ziehung der unmittelbar betroffenen Experten, die Abführung einer intensiven Diskussion aller Beteiligten gibt die größtmögliche Wahrscheinlichkeit, einen Nenner zu finden, der für alle tragbar scheint. Einen Nenner, der phantastischen Vorstellungen keinen Raum läßt, aber doch einen Weg zur Erfüllung berechtigter Wünsche — gemeinsam — möglich macht. Und noch eines: Auch diese Wünsche werden nur unter der aktiven und kräftigen Mithilfe des Landes1 und seiner Wirtschaft erfüllt werden können, wie Oberösterreich und Linz, Stadt und Land Salzburg, Tirol und Innsbruck, Kärnten und Klagenfurt und die jeweils dort situierte Wirtschaft zur Errichtung ihrer Hochschulen beigetragen haben. Aber dazu dürften die Vorarlberger auch bereit sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung