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Wut auf das Ungewohnte

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Braucht die Kunst die Kirche? Braucht die Kirche die Kunst? Die Frage, in Bonn vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken vor zwei Jahren mit aller Schärfe gestellt, von Künstlern und Kulturpolitikern mit nicht weniger Schärfe beantwortet, ist seither wieder Gegenstand lebhafter Diskussion. Die Vision eines deutschen Bischofs, der sich ohne Kunst wie nackt vor seiner Gemeinde zu fühlen bekannte, die Vision von betonierten Horrorkirchen, in deren Mehrzweckraum der Supermarkt-Stereoeffekt schallt, der Priester in Bluejeans, der Kelch eine Cola-Flasche, der liturgische Text im Stil der Fernseh-Abend- schau … Da faßt denn doch die Katholiken vom Rhein bis zur Donau ein kaltes Grauen.

Die Kunst hingegen in Galerien und auf Biennalen, in unzähligen Ismen, gesellschaftspolitisch engagiert, ein geistvoller bis versnobter, medienumtanzter Kulturbetrieb mit dem Menschen als Maß aller Dinge, bestenfalls.

Kunst und Kirche, Kirche und Kunst, im nicht bloß religiösen Aufblick zum Sinn des Lebens zwei Seiten derselben Medaille, aufeinander angewiesen wie merkantil Angebot und Nachfrage, finden kaum mehr zueinander.

Der Alarmruf blieb nicht ungehört. Bei seinem Besuch in Deutschland wandte sich der Papst in einem großen Empfang in der Münchner Residenz an die Künstler, vermied sehr geschickt kirchliche Ängstlichkeit oder Naivität, blieb nicht im Unverbindlichen, sondern sprach das vordiskutierte Problem hart aber freundlich aus.

Österreich, schon bisher an der Diskussion wesentlich beteiligt, gab eine erste Antwort. In der Neuen Galerie der Stadt Linz wurde eine repräsentative internationale Ausstellung „Chri- stusbild im 20. Jahrhundert“ eröffnet. Mehr noch: Die Eucharistiefeier des heurigen „Künstlersonntags“ der Diözese Linz fand in der Galerie statt. Otto Mauer, schau obi!

Es wird von nun an richtig und notwendig sein, über das, was hier Günter Rombold und Peter Baum an modernen Christus-Darstellungen zusammengetragen haben - und auch über das, was sie bewußt oder unbewußt unterschlagen haben - ausführlich zu diskutieren. Die Kunst-Experten werden sich hoffentlich klar darüber sein, daß sie mit der üblichen Argumentation nicht auslangen werden. UndauchTheo- logen werden ziemlich gefordert sein, wenn sie - möglichst ohne Latein - diese Bilder aufklären sollen.

Selbstverständlich wird es in der Zukunft auch ein großes gegenseitiges Schulterklopfen geben. Von viel „Mut“ wird die Rede sein, der da bewiesen wurde, von Künstlern, von Kirchenmännern.

Bis hierher ist all das mit Freude, auch mit Humor zu erwarten. Wilder Fortschritt, gemildert durch österreichische Skepsis, ist ebenso zu begrüßen wie die Chance, daß Katholiken und Künstler ihre gegenseitigen Vorurteile abbauen.

Aber leider droht da noch anderes. Nichts versetzt die Volksseele des österreichischen Christen so in Wut wie der Anblick des völlig Ungewohnten im religiösen Bereich. Aus ist es da mit Toleranz und Brüderlichkeit, da kann der Papst gesagt haben was er will, da wird der auf bestimmte körperliche Attribute festgelegte Christus zum absoluten Herrgott, den zu verteidigen, den vor der Frechheit gottloser Künstler zv beschützen, die Zornesader schwill Solange dies noch auf Leserbriefseiti mit verbalen Kraftausdrücken ge schieht, hat wenigstens die Presse wieder ein Thema. Daß dabei innerhalb derselben Zeitung mitunter die Kultur- und die Lokalredaktionen in Fehde liegen, war schon da. Theologisch aufgipfelnder Eifer bringt schnell den Teufel, die Freimaurer, die Juden und die Kommunisten ins Spiel. Das Echo wird grauslich. Daß am Ende das „gesunde Volksempfinden“ auch noch tätlich zuschlägt, möge der Schutzengel der modernen Musen verhindern!

Was bleibt? Publicity für die Neue Galerie, fürs moderne Linz, für kirchliche Toleranz?

Das wäre zu wenig. Was bleiben und was werden sollte, das ist mehr als eine Art religiöse Bildwolke zur Linzer Klangwolke. Was bleiben und werden sollte, das wäre eine Neubesinnung auf den Sinn der Kunst. Dazu gehört, daß wir das Kriterium, ob dieses oder jenes Christusbild ins häusliche Schlafzimmer paßt, endlich nicht mehr zum Maßstab nehmen.

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