7170222-1982_42_17.jpg
Digital In Arbeit

Zahl der Ärzte vor Verdoppelung ?

19451960198020002020

Nach neuesten Meldungen (ibf) ist die Zahl der Medizin-Studienanfänger heuer erstmals nicht gestiegen. Dennoch ist das Thema „Ärzteschwemme" noch lange nicht fertig diskutiert.

19451960198020002020

Nach neuesten Meldungen (ibf) ist die Zahl der Medizin-Studienanfänger heuer erstmals nicht gestiegen. Dennoch ist das Thema „Ärzteschwemme" noch lange nicht fertig diskutiert.

Werbung
Werbung
Werbung

Arztliche Kunstfehler — wie die Einsetzung eines Herzschrittmachers bei einem Beinbruch-Patienten jüngst in Wien - oder Rezeptbetrügereien sind glücklicherweise noch kein Dauerbrennerthema; wohl aber die sogenannte Medizinerschwemme. Immer wieder melden sich dazu Gesundheitsministerium, Ärztekammer und Hochschülerschaft zu Wort.

Die Fakten sehen so aus: Derzeit entfallen auf einen praktischen Arzt in Österreich zwischen 2001 (Wien) und 2951 (Vorarlberg) Patienten. Rund 19.500 Ärzten insgesamt stehen ungefähr gleich viele Studenten gegenüber. Im Studienjahr 1981/82 haben in Österreich 1.014 Medizinstudenten das Doktorat erworben (1970/71 waren es noch nur 547), und jedes Jahr werden es mehr. 1985 erwartet man eine Jahresrate von 1.650 fertigen Medizinern.

Die Zahlen liegen auf jeden Fall über dem geschätzten Bedarf. Dieser beträgt laut Ärztekammer 450 Jungärzte pro Jahr, laut GeSundheitsministerium 5200 Jungärzte in den kommenden acht Jahren (das wären 650 pro Jahr).

Vertreter der Hochschülerschaft wittern in den Warnungen der Ärztekammer das Bestreben von Großverdienern, ihre Privilegien zu sichern. Tatsächlich antWorten auch etliche Medizinstudenten auf die Frage, warum sie gerade dieses Fach studieren, mit dem Satz: „Als Arzt verdient man so gut."

Aber mindestens genau so viele junge Menschen studieren aus Idealismus und erklären: „Man hat mich zwar gewarnt, aber Arzt ist der schönste Beruf, den man haben kann. Wenn es sein muß, gehe ich nach dem Studium in ein unterentwickeltes Land, um praktizieren zu können." Einige sollen diesen Vorsatz auch schon in die Praxis umgesetzt haben (müssen)."

Denn sofort nach dem Doktorat beginnen die Schwierigkeiten — Plätze für die Turnusausbildung im Spital (drei Jahre zum praktischen Arzt, sechs Jahre zum Facharzt) sind knapp. Im Juli gab es in Österreich 4410 Turnusärzte. Der Bettenschlüssel, der pro 30 Patienten einen Ausbildungsplatz vorsieht, ist derzeit zu 160 Prozente!) ausgelastet.

So bleibt vielen jungen Doktoren der Medizin nichts anderes übrig, als sich auf Wartelisten setzen zu lassen und eines Turnusplatzes zu harren. Nach einer Untersuchung der Hochschülerschaft an der Wiener Medizinisehen Fakultät stehen die Absolventen durchschnittlich auf den Wartelisten von vier, in Einzelfällen von 30 Spitälern. In Wien und Niederösterreich sind das Hunderte Jungmediziner, als arbeitslos waren beim Sozialministerium im März dieses Jahres freilich nur 74 Ärzte registriert.

Wie reformbedürftig die Verteilung der Turnusposten ist, geht aus Zitaten von — teilweise arbeitslosen — Jungmedizinern hervor: Etliche geben zu, ihren Platz nur durch Protektion bekommen zu haben. In den Wartelisten werden oft Studenten, die noch zwei bis drei Jahre Studium vor sich haben, vor schon fertige Ärzte gereiht.

Viele Ärzte auf Stellungsuche sagen, daß nie nach Leistungen während des Studiums gefragt wird, das Parteibuch dafür umso wichtiger ist. Wer in kürzestmög-licher Zeit studiert hat, hat sogar Nachteile und wird mit der Feststellung „Schaun S', Sie san ja noch so jung" auf später vertröstet

Gesundheitsminister Dr. Kurt Steyrer will die Turnusregelung neu organisieren und somit Engpässe in der Ausbüdung vermeiden. So soll zum Beispiel eine zentrale objektive Warteliste für Jungarzte geschaffen werden. Frei praktizierende Ärzte sollen Jungmediziner ausbilden dürfen, und das Pensionsalter für Ärzte soll gesenkt werden.

Daß nach der Turnusausbildung der junge Arzt noch die Probleme hat, zu einer Praxis zu kommen und einen Krankenkassenvertrag zu ergattern, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Ungeachtet all dieser Probleme rechnet man im Gesundheitsministerium 1990 mit 28.000 und im Jahr 2000 mit 37.000 Ärzten, also etwa der doppelten Zahl von heute.

Den Patienten interessieren vermutlich weniger diese Zahlenspielereien, sondern, ob sich die Wartezeiten in den Arztpraxen verringern werden, ob bestimmte Fachärzte auch in entlegenen Regionen anzutreffen sein werden und ob die Ärzte mehr Zeit für den einzelnen Patienten haben werden. Natürlich muß er auch die Frage stellen, ob im gegenwärtig überlasteten System die Mediziner noch eine genügend fundierte Ausbüdung bekommen.

Einige werden jedenfalls umdenken müssen - sowohl der Arzt mit Spitzenverdienst als auch der Medizinstudent, der glaubt, als Arzt eine gewisse Exklusivität in Anspruch nehmen zu können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung