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Zahlenspiele

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44 Prozent aller Erstsemestrigen kommen nicht bis zum Ziel. Fast jeder zweite, der in diesen Jahren ein Studium an einer österreichischen Universität beginnt, bricht es noch vor dem Abschlußzeugnis wieder ab. 44 Prozent „drop outs“, gescheiterte Existenzen?

Der Sprecher der Hochschülerschaftgab dieser Tage solche Zahlen bekannt - Zahlen, die zweifellos der Wirklichkeit entsprechen. Wer ist schuld daran? Die „dummen, unfähigen“ Studenten? Die „boshaften, elitären“ Professoren? Das Ministerium, das System? Oder ganz einfach die Statistik, die ein schiefes Bild entwickelt?

„Schuld“ an diesem Bild ist allein die unreflektierte Wiedergabe von Zahlen, die keine Auskunft über die Frage geben, in welchem Zeitpunkt des Studiums das Scheitern eingetreten ist. Soweit bisher Detailuntersuchungen vorliegen, geben sie klare Antwort, daß der überwiegende Teil der Ausfälle in das erste Studienjahr fällt. Denn das erste Jahr dient in so vielen Fällen überhaupt erst der Information, der Meinungsbildung, dem Umsehen. (Wobei wir gar nicht von der wohl auch nicht unerheblichen Zahl jener „Studenten“ reden wollen, die nur durch Freifahrt und Stipendium an die Hochschule gelockt werden, ohne die Absicht zu haben, zu studieren.)

Es ist wohl einer der wenigen Punkte der Hochschulpolitik, in dem sich alle einig sind: das österreichische System, jedem die Möglichkeit des Umschauens zu geben, statt den Eintritt zur Universität durch Aufnahmsprüfungen oder Numerus clausus zu blockieren, scheint angesichts des überdimensionierten Zustroms noch immer das günstigste zu sein. Es hat aber seinen Preis - eben die „hohen“ Drop- out-Raten (und natürlich materiell die Überbelastung der Hochschulen durch jene Studenten, die Professoren und Assistenten und Räume in dieser Eingangsphase in Anspruch nehmen). Auch darüber, daß dieser Preis gezahlt werden muß, besteht Einigkeit. Aber gesagt muß es auch werden.

Nur sollte klar zu erkennen sein, wie hoch jene Quote der Suchenden ohne (Abschluß-)Ergebnis ist, um dann auch belegen zu können, wie hoch der Anteil jener ist, die unter „Drop out“ einzureihen sind. Vielleicht käme man dann darauf, daß Österreichs Hochschulen trotz aller Uberfüllung, trotz aller Überbelastung durch Verbürokratisie- rung (zum mindesten quantitativ) gar nicht so schlecht abschneiden.

Klare Zahlen wären aber auch sonst vonnöten. Mehr als 100.000 Inskriptionen? Steigerung der Gesamtzahl der Studenten an der Universität Wien um 13,3 Prozent? Aber der Erstsemestrigen nur um 2,3 Prozent? Damit steht bei den nächsten Hochschulwahlen wieder der Streit um Karteileichen und Mandatszahlen ins Haus. Wird die Studiendauer trotz der Studienreform - die ja verkürzen sollte - länger? Wegen der Überfüllung oder wegen anderer Belastungen? Wie viele Absolventen inskribieren weiter für ein zweites Studium? Nur weil sie keine ihnen zusagende Beschäftigung finden? Oder weil sie glauben, mit einem zweiten Diplom größere Aussichten zu haben? Oder deshalb weil sie noch keine Lust verspüren, sich in den Existenzkampf zu stürzen?

Genau vor zehn Jahren protestierte die Hochschülerschaft gegen den „Schnüffelerlaß“, als unter Minister Piffl die ersten Fragebogen für die EDV-gesteuerte Verlaufsstatistik ausgeteilt wurden. Seither gehören die Fragen nach deren Ergebnissen schon zum Stehsatz - aber meist ohne eine Antwort zu finden. Ja, die ausgedruckte Hochschulstatistik, die in den ersten Jahren nach der Umstellung auf Computer zeitlich merkbar aufholte, hängt nun wieder zwei Jahre zurück-wie aber soll man mit den Zahlen von 1974/75 im Winter 1977178 für den Beginn der achtziger Jahre vorplanen? Und mit Zahlen, die gerade für jene Fragen keine Antwort wissen!

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