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Zahlt Europa fiir das US-Wachstum ?

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Kein blutleerer Theoretiker ist der neue Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Franco Modigliani. Er übt massive Kritik an Ronald Reagans Wirtschaftspolitik.

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Kein blutleerer Theoretiker ist der neue Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Franco Modigliani. Er übt massive Kritik an Ronald Reagans Wirtschaftspolitik.

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Der diesjährige Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften wurde, wie das Preiskomitee am 15. Oktober bekanntgab, dem am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston (USA) als Professor lehrenden Franco Modigliani verliehen. Modigliani hat zu sehr vielen Bereichen der ökonomischen Wissenschaft wichtige Beiträge geleistet; vom Preiskomitee wurden besonders seine grundlegenden Studien über das Sparverhalten der Wirtschaftssubjekte und über die Finanzmärkte gewürdigt.

Franco Modigliani ist, wie der Name erraten läßt, italienischer Abstammung. Er wurde 1918 in Rom geboren und erwarb daselbst ein Doktorat in Rechtswissenschaften. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wanderte er in die Vereinigten Staaten aus und promovierte 1941 in New York aus Sozialwissenschaften; im gleichen Jahr noch konnte er seinen ersten bedeutenderen wissenschaftlichen Artikel über die Liquiditätspräferenz in der Geldtheorie in der angesehenen Zeitschrift „Econometrica“ unterbringen. Die Forschungstätigkeit der folgenden Jahrzehnte deckte ein breites Spektrum ab.

Die durch die Preisverleihung besonders gewürdigte Leistung im Bereich des Sparverhaltens bezieht sich auf das Lebenszyklusmodell Modiglianis, mit dem es ihm gelang, eine dynamische Theorie des komplizierten Zusammenhangs zwischen Sparen und Konsum zu schaffen. Dabei wird nicht wie sonst üblich die Relation zwischen Einkommen und Konsum (beziehungsweise Sparen) in der nur relativ kurzen Periode eines Jahres (oder gar nur eines Quartals) betrachtet, sondern über das gesamte Leben eines Wirtschaftssubjekts hinweg analysiert.

Die Idee dahinter ist, daß die Haushalte ihren Konsum über die gesamte Lebensdauer hinweg optimieren. Bestimmend für die Konsumausgaben in einer Teilperiode ist dann nicht das gerade verfügbare Einkommen, sondern das während der gesamten Lebensdauer erwartete Einkommen. Die Konsumtätigkeit verläuft demnach über den Lebenszyklus hinweg ziemlich stabil, weil sich die Erwartungen bezüglich der Einkommen nur wenig und nur auf mittlere Sicht ändern.

Anders die Entwicklung der tatsächlichen Einkommen: Sie steigen nach dem Eintritt in das Berufsleben stark an, um spätestens mit der Pensionierung, häufig aber auch schon früher, wieder zu sinken. So ergibt sich für die frühen Lebensjahre eine sehr hohe Konsumneigung, weil bei relativ geringen Einkommen hohe Ausgaben in Bildung, Hausstandsgründung und dergleichen getätigt werden müssen. In der Lebensmitte ist die Konsumneigung aus dem laufenden Einkommen verhältnismäßig gering; in dieser Phase können Ersparnisse angelegt werden. Rückläufige Einkommen gegen Ende des Berufslebens oder zumindest nach Austritt aus demselben implizieren eine wieder ansteigende Konsumneigung. Junge und alte Haushalte entsparen somit, Haushalte mittleren Alters sparen an.

Diese eher theoretischen Uber-legungen haben starke wirt-schaftspolitische Konsequenzen.

Denn wenn aus Gründen der Konjunkturstabilisierung nun expansive oder restriktive Geld- und/ oder Fiskalpolitik betrieben wird, so beeinflußt das zwar die laufenden Einkommen, aber weniger den Einkommensstrom, der aufgrund langfristiger Erwartungen verplant wird.

Im Bereich der Theorie der Finanzmärkte hat Modigliani mit einem Theorem, das er 1958 gemeinsam mit Merton H. Miller veröffentlichte, Staub aufgewirbelt (Modigliani-Miller-Theorem). Dieses Theorem, das weitreichende Implikationen für die Finanzmärkte hat, wirkte provokant, besagt es doch nichts anderes, als daß der Verschuldungsgrad irrelevant ist (daher auch Irrelevanz-Theorem). Die alte Frage nach der optimalen Finanzierungsstruktur wird damit zum Scheinproblem erklärt. Trotz zahlreicher Versuche ist es bis heute nicht gelungen, dieses Theorem zu widerlegen.

All das zeigt, daß Modigliani nie ein blutleerer Theoretiker blieb. Und auch beim wirtschaftspolitischen Tagesgeschäft ist er nicht abstinent. Seine Publizität anläßlich der Nobelpreisverleihung nützte er dazu, seinem offenbar lange aufgestauten Ärger über die Wirtschaftspolitik der Reagan-Administration Luft zu machen. Lob hatte er zwar für die Erfolge bei der Inflationsbekämpfung, ansonsten aber sieht Modigliani die derzeitige Lage der US-Wirtschaft sehr kritisch. Besonders in den Budgetdefiziten sieht er große Probleme für die Zukunft, über deren Tragweite sich die Regierung offenbar gar nicht im klaren sei.

USA-Schuldenberg

Um die Investitionstätigkeit durch den Finanzbedarf des Staates nicht zu behindern, haben die USA einen Schuldenberg aufhäufen müssen, der alles bisher Dagewesene überträfe. Das alles werde nur durch massive Steuererhöhungen überwunden werden können. Leidtragende an der fiskalischen Mißwirtschaft seien aber die Europäer, die mit Stagnation bezahlen, und die Entwicklungsländer, die sich am Schuldendienst ausbluten.

Alles in allem scheint die Auszeichnung Modiglianis mit dem Nobelpreis längst überfällig gewesen zu sein.

Der Autor ist Referent der Volkswirtschaftlichen Abteilung der Osterreichischen Nationalbank.

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