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Zahlt Freudensteuer
„Seit sieben Stunden“, berichtete atemlos der Reporter des Abendjournals des österreichischen Rundfunks, „tagt nun das Parteipräsidium hinter verschlossenen Türen. Die Luft hier aul dem Gang ist rauch- und erwartungsgeschwängert, die wartenden Korrespondenten der internationalen Presse unterhalten sich mit gedämpfter Stimme, gewisse Mutmaßungen werden geäußert, über die jedoch keine offizielle Bestätigung zu erhalten ist, die Spannung wächst von Stunde zu Stunde.“
Die arbeitsamen, parkplatzbeengten und daher frühaufstehenden Österreicherinnen und Österreicher hatten sich eher arglos zu gewohnt früher Stunde zur Ruhe begeben, im Zweierkanal des Fernsehens lief bei stark abnehmender Zuschauerzahl noch eine Diskussion über die Aufstiegsfrustration von Jungakademikern, die internationale Presse auf dem Gang vor dem Parteipräsidium hatte sich ziemlich verdünnt, da öffneten sich die Türen und heraus trat der ernst, aber triumphal gestimmte Finanzminister, flankiert vom Bundeskanzler und dem Präsidenten des Gewerkschaftsbundes. Dahinter kamen die übrigen Kabinettsmitglieder, ihre Sekretäre, hohe Funktionäre und selbstverständlich auch einige Damen.
Das Mikrophon des ORF schnellte dem Finanzminister entgegen. Eine Frage erübrigte sich, der oberste Säk- kelwart des Staates setzte sofort zu einer Erklärung an:
„Unsere Beratungen waren wegen der Kompliziertheit der Materie zwar langwierig, aber erfolgreich und einmütig. Die Sanierung des Budgets ist unumgänglich. Wir haben die Einführung der Freudensteuer in Österreich beschlossen.“
Reporterfrage: Sie haben, Herr Finanzminister, doch erst kürzlich versichert, keine neuen Steuern zu erfinden und die Belastungen in Grenzen zu halten?
Finanzminister: Selbstverständlich handelt es sich hier um keine neue Steuer, sondern nur um die Ausschöpfung einer bereits bestehenden Steuerquelle. Wir haben in Österreich, wie ja alle wissen, einen erhöhten Mehrwertsteuersatz auf Luxusgüter, der jedoch von den betroffenen Schichten zunehmend in raffinierter Weise umgangen wird. Beispielsweise werden statt Pelzmäntel teure Abendroben gekauft oder statt Goldschmuck irgendwelche künstlerische Kreationen. Es ist natürlich schwierig, diesen Luxus in den Griff zu bekommen. In der gegenwärtigen Zeit muß die Regierung die Frage in den
Raum stellen, ob nicht eigentlich jede Freude, die sich der Bürger leistet, ein Luxus ist. Wir alle müssen den Gürtel enger schnallen, um die Anzeichen einer Krise, die leider auch an uns nicht vorbeigehen wird, entschlossen zu meistern.
Reporter: Befürchten Sie bei der Einhebung dieser neuen Freudensteuer keine Schwierigkeiten? Wie stellen Sie sich das Ganze überhaupt vor?
Bundeskanzler (mischt sich ein): Der Herr Finanzminister hat bereits erklärt, daß es sich um keine neue Steuer handelt. Interpretier’n Sie mich nicht falsch, sondern ich möchte mit aller gebotenen Deutlichkeit, nicht wahr, jetzt ein- für allemal sagen, das ist eine sozia
le Form der Luxussteuer, man muß sich das anschauen, man muß mit den Leuten eben reden, und sie werden das einsehen, nicht wahr ...
Im Morgenjournal des ORF erfuhr die Nation von der Reformidee. Im Mittagsjournal erklärte die Opposition, daß die Wirtschaft keine weiteren Belastungen ertragen könne.
Im Abendjournal konterte der Gewerkschaftspräsident, daß die Arbeitsplätze durch die Freudensteuer nicht gefährdet seien.
Die Einführung erwies sich als außerordentlich praktisch. In Trafiken und sogenannten „Verschleißstellen“ konnte der Staatsbürger einen oder mehrere Freudenstreifen zu S 100,-erstehen. Ähnlich wie die Parkgebührenscheine in Wien war er in Felder - in diesem Falle zehn - eingeteilt. Für „kleine Freuden“ war jeweils ein Feld zu entwerten. Für „große Freuden“ jedoch der ganze Streifen auf einmal. Die entwerteten Freudenstreifen waren jedoch nicht wertlos. Auf ihrer Rückseite war ein Preisausschreiben, bei dem die Frage nachher Höhe des Budgetdefizits zu beantworten war.
Der Streifen war beim zuständigen Finanzamt abzugeben. Auch die „Verschleißstellen“ erklärten sich zur Weiterleitung bereit. Unter den richtigen Lösungen wurde jedes Monat eine von der Creditanstalt ausgegebene Gedenkmünze mit dem Bild des Finanzministers verlost.
Trifft einer seinen Bekannten an der Straßenbahnhaltestelle am Monatsersten. „Du, ich weiß einen herrlichen Witz!"
„Momenteri“, sagt der Angesprochene, zückt seinen .Freudenstreifen und entwertet ein Feld.
Zufrieden nickt der zufällig in der Nähe wachende Freudenkontrollor.
Trifft einer seinen Bekannten an der Straßenbahnhaltestelle gegen Monatsende. „Du, ich weiß einen herrlichen ...“ „Pssst!“ Der Angesprochene schaut sich ängstlich um und zieht seinen Bekannten unters nächste Haustdr, wo die beiden konspirativ tuscheln.
Nicht immer blieben solche Fälle von Freudensteuerhinterziehung unentdeckt.
Es wäre an dieser Stelle lustvoll, aber sehr raumfüllend, die verschiedensten praktischen Erfahrungen mit der Freudensteuer, die sich natürlich bis tief in
die Privat- und Intimsphäre der Österreicherinnen und Österreicher erstreckten, zu schildern.
Das Gesetz mußte auch mehrfach novelliert werden, weil es gar nicht auf Anhieb gelang, den Begriff Freude so eindeutig zu definieren, daß ein Umgehen der Steuerpflicht nicht mehr möglich war. Aber nach einiger Zeit konnte der Finanzminister, der zwar zugeben mußte, daß er 30.000 neue Arbeitsplätze für Freudenkontrollore geschaffen hatte, stolz vermelden, daß er die Probleme fest im Griff habe. Das Budgetdefizit sank so rapid, daß er sich sogar die Gedenkmünze bei dem Preisausschreiben ersparte, weil niemand den Betrag erriet.
Wer aber jetzt glaubt, Österreich sei damals ein trauriges Land geworden, der irrt sich gewaltig.
Es trat vielmehr ein, was sich manche Mitbürger, die die Nachkriegszeit erlebt hatten, mitunter lebhaft gewünscht hatten. Die Österreicher redeten wieder mehr miteinander. Und sie taten einander „zu Fleiß“ eine Freude an.
Freilich, als einmal im Fernsehen einem Spitzenpolitiker zu irgend etwas gratuliert wurde und dieser sagte „Das freut mich“ und auch noch lächelte und dabei keinen Freudenstreifen entwertete, da liefen die Protesttelefone heiß und die Zeitungen hatten einen neuen Korruptionsfall.
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