6910279-1981_06_16.jpg
Digital In Arbeit

Zahlt Freudensteuer

Werbung
Werbung
Werbung

„Seit sieben Stunden“, berichtete atemlos der Reporter des Abendjour­nals des österreichischen Rundfunks, „tagt nun das Parteipräsidium hinter verschlossenen Türen. Die Luft hier aul dem Gang ist rauch- und erwartungsge­schwängert, die wartenden Korrespon­denten der internationalen Presse un­terhalten sich mit gedämpfter Stimme, gewisse Mutmaßungen werden geäu­ßert, über die jedoch keine offizielle Be­stätigung zu erhalten ist, die Spannung wächst von Stunde zu Stunde.“

Die arbeitsamen, parkplatzbeengten und daher frühaufstehenden Österrei­cherinnen und Österreicher hatten sich eher arglos zu gewohnt früher Stunde zur Ruhe begeben, im Zweierkanal des Fernsehens lief bei stark abnehmender Zuschauerzahl noch eine Diskussion über die Aufstiegsfrustration von Jung­akademikern, die internationale Presse auf dem Gang vor dem Partei­präsidium hatte sich ziemlich verdünnt, da öffneten sich die Türen und heraus trat der ernst, aber triumphal ge­stimmte Finanzminister, flankiert vom Bundeskanzler und dem Präsidenten des Gewerkschaftsbundes. Dahinter kamen die übrigen Kabinettsmitglie­der, ihre Sekretäre, hohe Funktionäre und selbstverständlich auch einige Da­men.

Das Mikrophon des ORF schnellte dem Finanzminister entgegen. Eine Frage erübrigte sich, der oberste Säk- kelwart des Staates setzte sofort zu ei­ner Erklärung an:

„Unsere Beratungen waren wegen der Kompliziertheit der Materie zwar langwierig, aber erfolgreich und einmü­tig. Die Sanierung des Budgets ist unumgänglich. Wir haben die Einfüh­rung der Freudensteuer in Österreich beschlossen.“

Reporterfrage: Sie haben, Herr Fi­nanzminister, doch erst kürzlich versi­chert, keine neuen Steuern zu erfinden und die Belastungen in Grenzen zu hal­ten?

Finanzminister: Selbstverständlich handelt es sich hier um keine neue Steuer, sondern nur um die Ausschöp­fung einer bereits bestehenden Steuer­quelle. Wir haben in Österreich, wie ja alle wissen, einen erhöhten Mehrwert­steuersatz auf Luxusgüter, der jedoch von den betroffenen Schichten zuneh­mend in raffinierter Weise umgangen wird. Beispielsweise werden statt Pelz­mäntel teure Abendroben gekauft oder statt Goldschmuck irgendwelche künst­lerische Kreationen. Es ist natürlich schwierig, diesen Luxus in den Griff zu bekommen. In der gegenwärtigen Zeit muß die Regierung die Frage in den

Raum stellen, ob nicht eigentlich jede Freude, die sich der Bürger leistet, ein Luxus ist. Wir alle müssen den Gürtel enger schnallen, um die Anzeichen ei­ner Krise, die leider auch an uns nicht vorbeigehen wird, entschlossen zu mei­stern.

Reporter: Befürchten Sie bei der Ein­hebung dieser neuen Freudensteuer keine Schwierigkeiten? Wie stellen Sie sich das Ganze überhaupt vor?

Bundeskanzler (mischt sich ein): Der Herr Finanzminister hat bereits er­klärt, daß es sich um keine neue Steuer handelt. Interpretier’n Sie mich nicht falsch, sondern ich möchte mit aller ge­botenen Deutlichkeit, nicht wahr, jetzt ein- für allemal sagen, das ist eine sozia­

le Form der Luxussteuer, man muß sich das anschauen, man muß mit den Leu­ten eben reden, und sie werden das ein­sehen, nicht wahr ...

Im Morgenjournal des ORF erfuhr die Nation von der Reformidee. Im Mittagsjournal erklärte die Opposi­tion, daß die Wirtschaft keine weiteren Belastungen ertragen könne.

Im Abendjournal konterte der Ge­werkschaftspräsident, daß die Arbeits­plätze durch die Freudensteuer nicht gefährdet seien.

Die Einführung erwies sich als außer­ordentlich praktisch. In Trafiken und sogenannten „Verschleißstellen“ konnte der Staatsbürger einen oder mehrere Freudenstreifen zu S 100,-er­stehen. Ähnlich wie die Parkgebühren­scheine in Wien war er in Felder - in diesem Falle zehn - eingeteilt. Für „kleine Freuden“ war jeweils ein Feld zu entwerten. Für „große Freuden“ je­doch der ganze Streifen auf einmal. Die entwerteten Freudenstreifen waren je­doch nicht wertlos. Auf ihrer Rückseite war ein Preisausschreiben, bei dem die Frage nachher Höhe des Budgetdefi­zits zu beantworten war.

Der Streifen war beim zuständigen Finanzamt abzugeben. Auch die „Ver­schleißstellen“ erklärten sich zur Wei­terleitung bereit. Unter den richtigen Lösungen wurde jedes Monat eine von der Creditanstalt ausgegebene Gedenk­münze mit dem Bild des Finanzmini­sters verlost.

Trifft einer seinen Bekannten an der Straßenbahnhaltestelle am Monatser­sten. „Du, ich weiß einen herrlichen Witz!"

„Momenteri“, sagt der Angespro­chene, zückt seinen .Freudenstreifen und entwertet ein Feld.

Zufrieden nickt der zufällig in der Nähe wachende Freudenkontrollor.

Trifft einer seinen Bekannten an der Straßenbahnhaltestelle gegen Monats­ende. „Du, ich weiß einen herrli­chen ...“ „Pssst!“ Der Angesprochene schaut sich ängstlich um und zieht sei­nen Bekannten unters nächste Haustdr, wo die beiden konspirativ tuscheln.

Nicht immer blieben solche Fälle von Freudensteuerhinterziehung unent­deckt.

Es wäre an dieser Stelle lustvoll, aber sehr raumfüllend, die verschiedensten praktischen Erfahrungen mit der Freu­densteuer, die sich natürlich bis tief in

die Privat- und Intimsphäre der Öster­reicherinnen und Österreicher erstreck­ten, zu schildern.

Das Gesetz mußte auch mehrfach novelliert werden, weil es gar nicht auf Anhieb gelang, den Begriff Freude so eindeutig zu definieren, daß ein Umge­hen der Steuerpflicht nicht mehr mög­lich war. Aber nach einiger Zeit konnte der Finanzminister, der zwar zugeben mußte, daß er 30.000 neue Arbeits­plätze für Freudenkontrollore geschaf­fen hatte, stolz vermelden, daß er die Probleme fest im Griff habe. Das Bud­getdefizit sank so rapid, daß er sich so­gar die Gedenkmünze bei dem Preis­ausschreiben ersparte, weil niemand den Betrag erriet.

Wer aber jetzt glaubt, Österreich sei damals ein trauriges Land geworden, der irrt sich gewaltig.

Es trat vielmehr ein, was sich manche Mitbürger, die die Nachkriegszeit er­lebt hatten, mitunter lebhaft gewünscht hatten. Die Österreicher redeten wieder mehr miteinander. Und sie taten einan­der „zu Fleiß“ eine Freude an.

Freilich, als einmal im Fernsehen ei­nem Spitzenpolitiker zu irgend etwas gratuliert wurde und dieser sagte „Das freut mich“ und auch noch lächelte und dabei keinen Freudenstreifen entwer­tete, da liefen die Protesttelefone heiß und die Zeitungen hatten einen neuen Korruptionsfall.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung