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Zahn um Zahn
Wieder einmal hat der nordirische Konflikt neue, grimmigere Dimensionen angenommen, wieder ist auch der Terror über die Grenzen Nordirlands hinaus bis ins Herz Großbritanniens, nach London, vorgedrungen und hat dort, bittere Reaktionen ausgelöst. Aus dem üblichen Schreckensregister, aus den alltäglichen Terrorakten, gegen die man hierzulande schon abgestumpft ist, ragen zwei jüngste Zwischenfälle besonders hervor — die planmäßige Umzingelung und Vernichtung einer vierköpfigen britischen Militärpatrouille in Südarmagh, Nordirland (drei Tote, ein Schwerverletzter) und in London die Ermordung des britischen Journalisten und Schriftstellers Ross McWhirter vor seiner Haustür und vor den Augen seiner Frau.
Wieder einmal hat der nordirische Konflikt neue, grimmigere Dimensionen angenommen, wieder ist auch der Terror über die Grenzen Nordirlands hinaus bis ins Herz Großbritanniens, nach London, vorgedrungen und hat dort, bittere Reaktionen ausgelöst. Aus dem üblichen Schreckensregister, aus den alltäglichen Terrorakten, gegen die man hierzulande schon abgestumpft ist, ragen zwei jüngste Zwischenfälle besonders hervor — die planmäßige Umzingelung und Vernichtung einer vierköpfigen britischen Militärpatrouille in Südarmagh, Nordirland (drei Tote, ein Schwerverletzter) und in London die Ermordung des britischen Journalisten und Schriftstellers Ross McWhirter vor seiner Haustür und vor den Augen seiner Frau.
Die Ermordung von drei jungen englischen Soldaten — ein vierter kämpft zur Zeit noch mit dem Tode — stellt insofern eine neue Dimension dar, als hier erstmalig eine komplette, wenn auch kleine militärische Einheit der britischen Armee aufgerieben wurde,, und zwar mit einer durchaus „kriegsmäßigen“, genau geplanten Taktik. Die Patrouille hatte einen ihrer üblichen — und daher den IRA-Terroristen bekannten ~r Kontrollgänge in der Nähe der republikanischen Grenze unternonv-men, als sie in den Hinterhalt, in ein tödliches Kreuzfeuer geriet, gegen das die Soldaten keine Chance hatten — in fünf Minuten war alles vorüber. Südarmagh, der Schauplatz dieser Schlächterei, ist seit langem einer der Hauptstützpunkte derlRA, beziehungsweise deren radikaler Elemente, auf dem Rathaus von Crossmagien, der Hauptstadt der Grafschaft, weht die Fahne der irischen Republik, und neun der zwölf in. diesem jahr in Nordirland ums Leben gekommenen britischen Soldaten wurden in Südarmägh ermordet
Was den Terror in England selbst betrifft, so sind die Bombenanschläge, so unglaublich das auch klingen mag, auch schon irgendwie zum Alltag geworden. Das Leben — soweit es nicht unter den Trümmern eines Hauses begraben wird — geht weiter, die eleganten Restaurants in Londons Westend sind weiterhin voll, obwohl in den letzten Wochen drei von ihnen Opfer von durch die Scheiben geworfenen Bomben geworden sind. Nur etwas hatte es hier bisher noch nicht gegeben — die in der nordirischen Provinz zur Tagesordnung gehörenden sektiererischen Morde, das Auftauchen von Revolvermännern vor den friedlichen Haustüren mißliebiger oder nur einfach dem anderen Lager angehörender Personen, die tödlichen, aus nächster Nähe abgefeuerten Schüsse, die blitzschnelle Flucht der Mörder. Nun hat auch diese Spielart des Terrors in London Einzug gehalten, und ihr erstes Opfer wurde der 50jährige Ross McWhirter, der uniter anderem Mitherausgeber des bekannten „Guiness Book of Records“ war, in dem Rekorde aller Art zusammengefaßt werden. Darüber hinaus aber war McWhirter einer der privaten
Vorkämpfer für Freiheit, Bürgerrechte, Gesetz und Ordnung gewesen, hatte zu diesem Zweck einen einflußreichen Verband ins Leben gerufen und mitreißende Aufrufe in Presse, Rundfunk und Femsehen veröffentlicht Die beiden jungen, unmaskierten Mörder, die ihn in seiner Garageneinfahrt vor den Augen seiner gerade heimkommenden Frau niederschossen, konnten in deren Wagen entkommen.
Im Unterhaus, wo gerade über verschärfte Maßnahmen gegen Terroristen beraten wird, kam es zu stürmischen Szenen, als diese neueste Untat bekannt wurde. In einer leidenschaftlichen Rede erklärte sich Oppositionsführerin Margaret Thatcher voll mit all denen einverstanden, die die Todesstrafe für Terroristenmörder fordern. „Es ist meine feste Überzeugung“, sagte sie, „daß unmenschliche Verbrecher dieser Art ihr eigenes Lebensrecht verwirkt haben“. Labour-Innenminister Roy Jenkins, obwohl nach wie vor Gegner der Todesstrafe, ließ sich doch immerhin zu der Bemerkimg hinreißen, daß er kein Bedauern dafür aufbringen könnte, wenn man diese Killer bei einer Verfolgungsjagd erschossen hätte; er sagte später, daß „zutiefst barbarische Verbrechen“ dieser Art jetzt sehr wohl auch Bestandteil der Terrorkampagne in England werden könnten.
Entwicklungen dieser Art, durch die der sogenannte Waffenstillstand mit der - IRA nun wohl auch den letzten Anschein der Glaubwürdigkeit verloren hat, machen die weitere Politik des britischen Nordirlandministers Mervyn Rees äußerst schwierig, um einmal ein echt englisches „Understatement“ zu gebrauchen. Er entläßt weiterhin laufend Männer aus den Internierungslagern in, Nordirland, und hat kürzlich die Absicht bekanntgegeben, bis Weihnachten sämtliche Internierte freizulassen — eine Maßnahme, die ihn der schärfsten Kritik seitens aller^ Gegner der als zu „weich“ bezeichneten Nordirlandpolitik der Regierung aussetzte. Diese Regierung aber ist der Auffassung — oder war es doch bisher —, mit der Auflassung der Irrtemierungslager viel Sympathien bei der nordirischen Bevölkerung gefunden zu haben, was wiederum den dortigen Rückhalt der IRA-Terroristen geschwächt habe; außerdem will man durch eine verschärfte Haltung nicht die mühsam erworbene Unterstützung der Behörden in der Irischen Republik aufs Spiel setzen, wo durch ein gerade vor der Verabschiedung stehendes Gesetz den Terroristen ihre bisherige sichere Zuflucht in der Republik genommen werden soll, eine Zuflucht, die stets eine der größten Stützen der IRA bei ihren Operationen in Nordirland war.
Eine Beurteilung, eine Analyse des Nordirlandproblems im allgemeinen und des Terrorismus im besondern ist nach wie vor eine Sysiphusarbeit. Wer will entscheiden, was ärger oder verabscheuungs-würdiger ist — eine ziellos geworfene Bombe, die in einer anonymen Menschenmenge explodiert, oder politische Morde an Einzelpersonen? Ist das „Aug um Aug, Zahn um Zahn“ die Antwort auf den Terror, oder eine maßvolle, aber langwierige, mühsame Politik der Aufklärung? Wer den blutigen Verlauf des Konflikts innerhalb und außerhalb der nordirischen Provinz in den letzten Jahren verfolgt hat, dem muß zumindest die Frage verziehen werden, ob maßvolle Vernunft eine Sprache ist, die man in Kreisen berufsmäßiger politischer Mörder auch wirklich versteht.
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