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Zank im Episkopat, Unmut an der Basis

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Polens katholischer Kirche sind unter dem Kriegsrecht noch mehr Aufgaben und Bürden zugewachsen. Sie versucht diesen Pflichten nachzukommen und ihre Chancen wahrzunehmen. Ihre Lage ist dennoch schwieriger geworden. Im Episkopat gibt es Meinungsverschiedenheiten, die Basis ist unzufrieden mit der Hierarchie

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Polens katholischer Kirche sind unter dem Kriegsrecht noch mehr Aufgaben und Bürden zugewachsen. Sie versucht diesen Pflichten nachzukommen und ihre Chancen wahrzunehmen. Ihre Lage ist dennoch schwieriger geworden. Im Episkopat gibt es Meinungsverschiedenheiten, die Basis ist unzufrieden mit der Hierarchie

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An einem Baum ist mit einer simplen Schnur ein Karton gebunden, auf dem mit verwaschener Schrift zu lesen ist: Dary dla internowanych quot; („Spenden für die Internierten"). Ein Pfeil weist die Richtung im Garten des Dominikanerklosters in der sogenannten Warschauer Neustadt.

Hinter einer einfachen Holztür ist dann das Lager — mehrere hohe Räume, bis an die Decke vollgestopft mit Hilfsgütern für die Internierten: Von der Waschpulvertrommel aus der BRD, über Schokolade aus der Schweiz und Einweg-Rasierern aus Österreich ist hier alles zu finden.

Bei vielen Kirchen im Lande haben sich solche Hilfsstellen etabliert, seit vergangener Woche wurde diese spontane und oft un-koordinierte Hilfe zusammengefaßt - in Krakau amtiert nun ein

„Erzbischöfliches Hilfskomitee für die Gefangenen und Internierten quot;.

Da die Hilfe des staatlichen Roten Kreuzes entweder nicht ausreicht (oder an falschen Stellen, zum Teil bei Miliz und Militär landet, wie viele Polen vermuten), muß sich die Kirche auch um die Rentner und kinderreichen Familien kümmern.

In den Großstädten und auch in Südpolen klappt die Versorgung der Ärmsten der Armen mit „Ca-ritas"-Hilfsgütern, verteilt durch die Pfarreien, ziemlich gut.

Aber in einem kleinen Dorf zwischen Warschau und Radom fallen die Menschen auf die Knie und weinen vor Freude und Dankbarkeit: Zum ersten Mal seit Verhängung des Kriegsrechtes haben katholische Laien Hilfsgüter aus einer kirchlichen Sammelstelle in Warschau bringen können: öl, Margarine, Seife und Waschpulver, Schokolade.

Die Eltern, die in einem strohbedeckten Bauernhaus mit gestampftem Lehmfußboden mit ihren acht Kindern hausen, schlagen Kreuzzeichen über die Menschen, die die Spenden brachten, wagen — obwohl man sie anspricht — um nichts mehr zu bitten ...

Eine weitere Aufgabe der Kirche unter „den neuen und schwierigen Bedingungen des täglichen Lebens" (so in einem Rundschreiben des Warschauer Pastoralamtes) ist es, jenen Menschen zu helfen, die im Zuge der Säuberungen ihren Arbeitsplatz verloren haben oder verlieren werden.

In der St. Anna-Kirche wird etwa für jene 706 Journalisten gesammelt, die bisher ihren Job verloren haben. Bald werden es an die 2000 sein, schätzt man.

Neben der materiellen Hilfe für diese Arbeitslosen (wenn die Wirtschaftsreform verwirklicht wird und die Säuberungen anhalten, muß man mit 600.000 bis 1,5 Millionen rechnen!), bietet die Kirche nun auch Rechtshilfe an:

Für jene, die ein Gerichtsverfahren vor sich haben oder die ge raquo; gen ihre Entlassung aus der Arbeit rechtliche Schritte unternehmen wollen. Priester legen derzeit lange Listen mit Adressen von Anwälten an, die bereit und geeignet sind, kostenlos für Internierte, Entlassene oder Angeklagte zu arbeiten.

Weihbischof Miziolek von Warschau sieht trotz der Bürden dieser neuen Aufgaben auch eine Chance für die katholische Kirche in Polen:

„Die Pfarre wird damit für Hunderttausende Menschen zu einem Ort, wo sie konkrete Hilfe und christliche Nächstenliebe erfahren. Wir haben keine Scheu unse-en Priestern zu empfehlen, bei der Vermittlung von Arbeitsplätzen behilflich zu sein, Informationen über freie Stellen im Privatgewerbe zu sammeln und den Menschen klar zu machen, daß sie dem Gesinnungsdruck nicht weichen und mit legalen Mitteln dagegen ankämpfen sollen."

Eine sehr wichtige Funktion hat nun auch der 28köpfige, aus prominenten katholischen Laien und Intellektuellen zusammengesetzte „gesellschaftliche Rat" des Primas. Vorsitzender ist der ehemalige ZNAK-Abgeordnete Professor Stomma.

Der Rat trifft sich etwa einmal im Monat und erstellt für Erzbi-schof Glemp Analysen. Die letzte befaßte sich mit den „Möglichkeiten für den inneren Frieden". Grundaussage ist, daß der im August 1980 abgeschlossene „Gesellschaftsvertrag" zwischen Staatsmacht und Volk in Form des Dan-ziger Abkommens in seinen Grundzügen erhalten bleiben müsse und eine nach wie vor tragfähige Basis für eine innenpolitische Befriedung darstelle.

In der Analyse des Laienrates fehlt eine klare Aussage über die Zukunft der Gewerkschaften, doch scheint man den Vorstellungen der Regierungen insoweit entgegenzukommen, als daß man sich durchaus branchenmäßig gegliederte Gewerkschaften, die rein gewerkschaftliche Aktivitäten entfalten, vorstellen könnte.Inwieweit der Laienrat, der nun „Bemerkungen zur Wirtschaftsreform" unter Beiziehung von Experten erarbeiten will, Einfluß auf die Stellungnahmen von Primas Glemp oder der Bischofskonferenz hat, läßt sich schwer abschätzen. Es scheint aber, daß insbesondere der Primas dem Laienrat sein Ohr schenkt.

Andrzej Micewski, ein katholischer Publizist und einflußreiches Mitglied des Laienrates, ist von Glemp bereits mehrmals zu Kontakten mit der Militärregierung benützt worden; der ehemalige Sekretär des einflußreichen Warschauer Klubs der katholischen Intelligenz, Andrzej Wielo-wieyski, scheint im Laienrat der Experte für die Gewerkschaftsfragen zu sein.

Ganz bewußt pflegt die Kirche auch die Kontakte in der gemischten Kommission von Kirche und Staat, wo zwar nicht die wichtigsten Dinge besprochen werden, aber einfach Informationskanäle offen gehalten werden. Der stellvertretende Kirchenstaatssekretär Alexander Merker dazu:

„Selbst wenn man verschiedener Meinung in dieser Kommission ist, ist es doch ein Dialog. Man lernt die Auffassungen und ihre Begründungen kennen. Das gilt für beide Seiten."

In der Kommission gibt auf kirchlicher Seite nicht der formelle Vorsitzende, Kardinal Ma-charski von Krakau, den Ton an, sondern der Sekretär der Bischofskonferenz Dabrwoski. Auf staatlicher Seite ist es das Politbüro- und Staatsratsmitglied Barcikowski, das als gemäßigt und „zentristisch" gilt.

In gut informierten kirchlichen Kreisen wird keineswegs bestritten, daß die Kriegsrechtssituation im Episkopat, beim Klerus und den Laien zu Flügelbildungen und Spaltungstendenzen geführt hat.

Es ist offenkundig, daß große Teile des niederen Klerus, in direktem Kontakt mit der leidgeprüften Bevölkerung, für mehr Militanz und Mut gegenüber dem Militärregime eintreten. Dies führt allerdings selten zu Gehorsamsverweigerung, wohl aber oft zu Gewissensnöten.

Priester, die zu offen mit dem Untergrund paktieren, werden von der Hierarchie fallengelassen oder diszipliniert — gewissermaßen um der „Staatsräson" willen.

Vereinzelte Fälle, wo Priester gar Mithilfe zu terroristischen Aktionen geleistet haben sollen oder zu scharf das Kriegsrecht kritisierten, werden sowohl von kirchlicher als auch von staatlicher Seite keineswegs als typisch angesehen. Man befürchtet auch keine Indizien für eine langsam einsetzende Repressionspolitik des Staates und der Partei gegen die Kirche.

Allerdings beobachtet man mit Sorge die Äußerungen des scharfmacherischen Politbüromitgliedes Olszowski, der die Kirche davor warnte, „die Kanzel für antistaatliche und antisozialistische Tätigkeit zu mißbrauchen". Man werde streng auf die Trennung von Kirche und Staat achten.

Die Meinung eines prominenten katholischen Intellektuellen, der „Kirche in Polen kann gar nichts Besseres passieren, als daß die Macht einen Bischof verhaftet, weil dadurch ihr Einfluß nur noch gesteigert wird", wird allerdings nicht von allen geteilt.

Der Episkopat hat überhaupt noch keine weitreichende Strategie entwickelt, wohl auch deswegen, weil er in sich selbst uneins ist. Zwar gibt Primas Glemp nach außen hin die Linie vor, doch ist er nicht unumstritten.

Man wirft ihm zum Teil diplomatische Ungeschicklichkeit vor, zu großes Engagement in Tagesfragen, zu deutliche Unterstützung für die „Solidarität", einen Zick-Zack-Kurs. Auf eine Kurzformel gebracht: „Einmal schweigt er zu viel, dann redet er zu viel."

Kardinal Macharski von Krakau, wiewohl dem Primas gegenüber absolut loyal, möchte die Aktivität der Kirche auf die allgemeine Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte beschränken — da aber schärfer, angriffiger, akzentuierter als Glemp.

Der Bischof von Posen, Jerzy Strobas, ist, so hört man, der Meinung, die Kirche müsse sich unter den jetzigen Umständen ganz strikt auf das rein Seelsorgliche beschränken und jede gesellschaftliche oder gar politische Stellungnahme vermeiden. Das hat in Posen an der Basis zu einem Auszug der Aktivisten geführt und zu deutlichem Unmut und teilweiser Gehorsamsverweigerung unter den Laien.

Polen steckt in einer wenig beneidenswerten, fast ausweglosen Situation. Jede Kraft in diesem Land muß nun bekennen, Standort beziehen, Konzepte formulieren, Zukunftsstrategien entwik-keln, mit Flügelkämpfen fertig werden und interne Polarisierungen vermeiden.

Polens Kirche ist davon nicht ausgenommen.

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