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Zankapfel Mazedonien, oder: Wenn zwei sich streiten...

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Die Volksrepublik Bulgarien negiere nicht nur die Existenz der mazedonischen Volksgruppe in Bulgarien: Die mangelnde Bereitschaft Sofias, die Lage der Mazedonier innerhalb der eigenen Grenzen zu regulieren, wie auch das Negieren der mazedonischen Nation überhaupt (also auch des jugoslawischen Mazedonien), könne man nicht anders als bulgarische Gebietsanforderungen gegenüber Jugoslawien verstehen. Das sind die markantesten Sätze einer großen jugoslawischen Pressekampagne, in der auf die Rede des bulgarischen Parteichefs Theodor Zivkov vom 15. Juni in der bulgarischen Stadt Blagoevgrad aus der Sicht Belgrads geantwortet wird. Der Konflikt hat einen Höhepunkt erreicht.

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Die Volksrepublik Bulgarien negiere nicht nur die Existenz der mazedonischen Volksgruppe in Bulgarien: Die mangelnde Bereitschaft Sofias, die Lage der Mazedonier innerhalb der eigenen Grenzen zu regulieren, wie auch das Negieren der mazedonischen Nation überhaupt (also auch des jugoslawischen Mazedonien), könne man nicht anders als bulgarische Gebietsanforderungen gegenüber Jugoslawien verstehen. Das sind die markantesten Sätze einer großen jugoslawischen Pressekampagne, in der auf die Rede des bulgarischen Parteichefs Theodor Zivkov vom 15. Juni in der bulgarischen Stadt Blagoevgrad aus der Sicht Belgrads geantwortet wird. Der Konflikt hat einen Höhepunkt erreicht.

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Zivkov bot Belgrad bei dieser Gelegenheit die Regulierung der bulgarisch-jugoslawischen Beziehungen mit einem besonderen Abkommen an, vermied es allerdings, die offene Frage der bulgarischen Nichtanerkennung Mazedoniens auch nur anzutasten. Und noch etwas spielt bei diesem Zwist zwischen den beiden kommunistischen Nachbarn eine Rolle: 1878 -also vor 100 Jahren - wurde der Vertrag von San Stefano bei Konstantinopel unterzeichnet, in welchem die damaligen Großmächte dem sich vor der türkischen Herrschaft loslösenden Bulgarien einen Staat vom mazedonischen Ohrid bis zur Donau zugesprochen hatten: Ein Großbulgarien, das nie verwirklicht wurde! Diese Idee überlebte jedoch alle politischen Regime in Bulgarien, einschließlich des kommunistischen. Großbulgarien sollte sich auchüber das jugoslawische Mazedonien erstrecken, deshalb ist diese Frage auch heute noch die härteste Nuß in den jugoslawisch-bulgarischen Beziehungen.

Trotz des uralten Namens, trotz Alexanders des Großen und des hellenistischen Reiches wurde Mazedonien erst im kommunistischen Jugoslawien unter Tito eine eigene Nation, das heißt eine jugoslawische Teilrepublik mit mazedonischer Verwaltung und Amtssprache. Eine Nation allerdings, die sich ihre Anerkennung in der Welt noch anbahnen muß. Die Nachbarn -besonders Bulgarien - sprechen den Mazedoniern ihre Nationalität und Sprache ab. Nach amtlichen bulgarischen Quellen sind die Mazedonier nämlich nur westliche Bulgaren, die eine bulgarische Mundart sprechen.

Klar, daß solche Stellungnahmen permanente politische Spannungen zwischen Belgrad und Sofia verursachen. Alle Versuche der jugoslawischen Diplomatie, von Bulgarien eine Änderung seiner Haltung in der mazedonischen Angelegenheit zu erreichen, waren bisher umsonst. Schließlich ist es auch kein Geheimnis, daß im Hintergrund Moskau steckt und über seinen bulgarischen Satelliten Druck auf Jugoslawien ausüben will: Denn ein „bulgarisches“ Mazedonien hätte (auch ohne formale Forderungen Sofias etwa in einem Krisenfall in Jugoslawien) das Recht, sich wieder dem bulgarischen Mutterland anzuschließen. Eine verdeckte Mahnung der Sowjetunion also, daß Moskau nicht unbedingt mit dem Fortbestand Jugoslawiens in seiner gegenwärtigen Form nach Titos Tod rechnet.

Um seine Position in Mazedonien zu stärken, investiert Belgrad in dieser Teilrepublik enorme Summen. Diese

Investitionen konnten aber bis jetzt die wirtschaftlichen und sozialen Probleme Mazedoniens nicht lösen. Die sozialistische Propaganda von der proletarischen Lebensweise, die in den vergangenen Jahren geführt wurde, verursachte denn auch im Agrarland Mazedonien eine große Landflucht, wie sie für sozialistische Länder so typisch ist. Die Folge war eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit. Skopje, die mazedonische Hauptstadt, zählte nach dem letzten Weltkrieg nicht einmal hunderttausend Einwohner, gegenwärtig nähert sich ihre Zahl schön einer halben Million. Zu all diesen Schwierigkeiten gesellt sich noch die in den Balkanländern zur normalen Erscheinung gehörende Korruption.

Mazedonien nimmt als Land im Herzen des Balkans auch vom internationalen Standpunkt aus betrachtet eine geopolitische und strategische Schlüsselposition ein. Es grenzt an das aus dem Ostblock ausgescherte Albanien, an das NATO-Mitglied Griechenland und an Bulgarien, Mitglied des Warschauer Paktes. Mazedoniens Wirtschaft und Nation müssen daher möglichst stabilisiert und gestärkt werden.

Auf dem letzten Kongreß der mazedonischen Kommunisten vertraten die Delegaten vehement die Forderung, daß die Finanzmittel, die aus den anderen Teilrepubliken an Mazedonien fließen, nicht gekürzt werden dürfen. Es wurde allerdings zugegeben, daß in der Vergangenheit Fehlinvestitionen vorgenommen wurden. Die größte darunter war das Eisenwerk in Skopje, das allein im vergangenen Jahr 1,5 Milliarden Dinar Verlust brachte.

Die Verluste der mazedonischen Wirtschaft erwecken natürlich auch Unbehagen in den anderen jugoslawischen Teilrepubliken, vor allem in Slowenien und Kroatien. Unbehagen, weil gerade diese beiden Teilrepubliken, die über dem jugoslawischen Durchschnitt entwickelt sind, auch weiterhin die Verpflichtung haben, große Beträge an dieses lind andere unentwickelte Gebiete abzuführen. Ihnen fehlen dann die notwendigen Mittel für die Verbesserung ihrer Infrastruktur, Slowenien besonders für den Ausbau seines Hafens in Köper. Mazedonien wird ferner zum größten Teil an den Anleihen, die von der Weltbank und anderen Instituten Jugoslawien gewährt werden, beteiligt.

Im Vergleich zu den wirtschaftlichen Unzulänglichkeiten in Mazedonien war die Heranbildung einer mazedonischen Nationalideologie weit erfolgreicher. Neben eigenen mazedonischen Verwaltungsstrukturen und eigener Amtssprache, der makedosla-wischen Sprache, verfügt diese Teilrepublik über eine moderne Universität in Skopje, eine Akademie der Wissenschaft und Künste, Theater, Museen und so weiter.

Eine Nation, die leben will, werden die großnationalen Pläne der Nachbarn - sei es der Bulgaren oder der Griechen - nicht niederschlagen können. Sich mit der nationalen Existenz der Mazedonier abzufinden, ohne die Einmischung der Großmächte unc] ihrer Interessen zuzulassen, ist für alle Anrainerstaaten in diesem Gebiet die einzig vernünftige politische Lösung. Die gemeinsamen geschichtlichen und kulturellen Merkmale sollten zum Faktor einer Zusammenarbeit und Verständigung, nicht zum gegenseitigen Streit werden.

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