6943378-1983_36_06.jpg
Digital In Arbeit

Zankapfel Zivildienst

Werbung
Werbung
Werbung

Trotz jahrzehntelanger Bemühungen, ist die Wehrdienstverweigerer-Frage in der Schweiz ein weitgehend ungelöstes Problem. Als einziges westeuropäisches Land stempelt die Eidgenossenschaft Dienstverweigerer aus Gewissensgründen zu Rechtsbrechern. Neue politische Vorstöße wollen diesen „Schandfleck” auslöschen und die Möglichkeit der Absolvierung eines Zivildienstes schaffen.

Die Diskussion um die Lösung des Dienstverweigerer-Problems flammt in der Schweiz schubwei-

se auf. Schon zu Beginn des Jahrhunderts machte sich eine Welle der „Wehrverneinung” bemerkbar. Bereits damals wurde der Bundesrat in einer Petition ersucht, einen Zivildienst für Dienstverweigerer einzuführen.

Neu belebt wurde die Diskussion durch das Erlebnis des Ersten Weltkriegs. Auch in der Zwischenkriegszeit wurde das Problem debattiert — ernsthafte Lösungsabsichten seitens der Behörden waren aber nicht erkennbar.

Angesichts der Bedrohung durch die Achsenmächte vor und während des Zweiten Weltkrieges wurde es ruhiger um die Frage — die Chancen für eine Lösung wären auch äußerst gering gewesen.

Nach dem Krieg häuften sich dann wieder die politischen Vorstöße, die das Problem in den Griff bekommen wollten, ohne von dem (in der Schweiz nahezu tabuisierten) Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht abzurük- ken.

In den siebziger Jahren waren Bundesrat, Parlament und schließlich das Volk dann gezwungen, sich intensiv mit der Frage auseinanderzusetzen. Ein Volksbegehren mit rund 62.000 Unterschriften lag auf dem Tisch. Der Text der Initiative ließ aber verschiedene Fragen offen — der Vorstoß war in der Form der „allgemeinen Anregung” gehalten, die die Ausformulierung dem Parlament überträgt (eine selten genutzte Möglichkeit von Volksbegehren).

Die vom Parlament erarbeitete Zivildienstvorlage wurde aber schließlich sogar von den Initianten abgelehnt. Sie versuchte einen Kompromiß und stellte die Frage einer Gewissensprüfung in den Vordergrund, wobei ethische und religiöse Gründe als Motive zur Dienstverweigerung anerkannt werden sollten, politische aber nicht.

Die Interpretation des Gewissensbegriffes, die Aufteilung des Gewissens in verschiedene Kate gorien vor allem waren Kernpunkte der Kontroverse; und die Ablehnung der Initiative durch eine klare Mehrheit des Volkes und das einstimmige Votum der Kantone im Dezember 1977 überraschte nicht mehr.

Zwei Jahre später wurde die zweite Zivildienst-Initiative eingereicht, die nun — die parlamentarischen Mühlen mahlen in der Schweiz langsam — in das Stadium der Entscheidung tritt. Sie beruht auf dem Prinzip des sogenannten Tatbeweises und verzichtet auf eine Gewissensprüfung.

Verlangt wird ein Zivildienst, der anderthalbmal solange dauern soll wie der verweigerte Militärdienst (die Dienstleistung eines einfachen Schweizer Soldaten dauert rund ein Jahr, Offiziere leisten das Zwei- bis Vierfache).

Der Zivildienst soll nach diesen Intentionen im Rahmen öffentlicher und privater Organisationen und Institutionen vollzogen werden können. Er soll in den Dienst der Friedensförderung gestellt werden, indem er dazu beiträgt, Ursachen gewaltsamer Auseinandersetzungen zu beseitigen, menschenwürdige Lebensverhältnisse zu schaffen und die in ternationale Solidarität zu stärken.

Dieser „ideologische Unterbau” des Volksbegehrens wurde in bürgerlichen Kreisen scharf kritisiert. Man leiste dem Anliegen der Lösung eines echten Problems einen Bärendienst, denn die Vorschläge seien wirklichkeitsfremd. Das Volk würde solch „pazifistisches, utopisch-sozialistisches, bis zu einem gewissen Grad anarchistisches Gedankengut” nie akzeptieren.

Als entscheidender Minuspunkt der Initiative wurde aber die implizit geforderte freie Wahl zwischen Militär- und Zivildienst ausgemacht. Vor allem der Bundesrat sah es so, er beantragte deshalb im August 1980 dem Parlament und dem Volk die Ablehnung des Volksbegehrens ohne I Gegenvorschlag.

In den parlamentarischen Kommissionen, die das Geschäft vorberaten mußten, schlugen alle Vermittlungsversuche fehl, um das Anliegen zu retten, ohne die als zu weit gehend erachtete Initiative gutzuheißen. Schließlich aber formulierte eine außerparlamentarische Arbeitsgruppe, der auch hohe Vertreter des Militär- departementes angehören, doch noch—quasi in letzter Stunde—ei nen Gegenvorschlag und baute den Initianten eine Brücke zum allfälligen Rückzug ihres chancenlosen Begehrens.

Beibehalten wird im Gegenvorschlag das Prinzip des Tatbeweises, verlangt wird aber eine doppelt so lange Zivildienstleistung. Stark eingeengt wird die Zivildiensttätigkeit, und im weiteren wird postuliert, daß zum Zivildienst nur zugelassen wird, wer den Militärdienst nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann.

Auch diesem Kompromißvorschlag werden bereits starke Widerstände entgegengebracht. So wetterte der Generalstabschef am Staatsfeiertag vom 1. August gegen jeden Zivildienst, wohl aus der Angst, daß dort Drückeberger und politische Verweigerer Unterschlupf fänden und sich mit der Zeit Bestandesprobleme für die Milizarmee ergäben.

Harten Attacken waren auch 184 Offiziere ausgesetzt, die sich in einem Inserat in den größeren Tageszeitungen offen für die Zivildienst-Initiative einsetzten.

Die gegenwärtigen Diskussionen und die Richtungskämpfe bei denjenigen, denen die Lösung des Problems eigentlich ein Anliegen ist, lassen vermuten, daß auch dieser neue Anlauf in der voraussichtlich 1984 stattfindenden Volksabstimmung Schiffbruch erleidet, und Dienstverweigerer in der Schweiz weiterhin ins Gefängnis gesteckt werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung