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Zauberformel 3+2

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Welche Regierung wird das am 25. Mai zusammentretende neue Parlament bestellen? Andreottis Minderheitenkabinett sah sich Anfang Februar lediglich auf Abruf in den Sattel gehoben. Das christdemokratische Ministerium hatte nur die laufenden Geschäfte zu versehen und im übrigen für einen ruhigen Verlauf des Wahlkampfes zur Abhaltung des vorzeitigen sechsten großen Urnenganges der Nachkriegszeit zu sorgen.

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Welche Regierung wird das am 25. Mai zusammentretende neue Parlament bestellen? Andreottis Minderheitenkabinett sah sich Anfang Februar lediglich auf Abruf in den Sattel gehoben. Das christdemokratische Ministerium hatte nur die laufenden Geschäfte zu versehen und im übrigen für einen ruhigen Verlauf des Wahlkampfes zur Abhaltung des vorzeitigen sechsten großen Urnenganges der Nachkriegszeit zu sorgen.

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Staatspräsident Leone setzte, ein Jahr vor dem normalen Ende der 5. Legislaturperiode, Neuwahlen in der Erwartung fest, das 37-Millio-nen-Elektorat würde jene Klärung der politischen Lage zeitigen, wie sie ob der Zwistigkeiten die bisherigen Regierungsparteien nicht mehr bewerkstelligen konnten.

An der Wurzel aller Hindernisse zur Regierungsbildung steht — scheinbar paradoxerweise — der unerwartete Wahlerfolg der Christdemokraten. Die Democrazia Cristiana hielt am 7. Mai ihren hohen Wähleranhang von fast 40 Prozent und sieht die parlamentarische Vertretung sogar um je ein Mandat in Senat und Abgeordnetenhaus erhöht. Es fehlen dieser Partei im „Unterhaus” nur 49 Stimmen, im „Oberhaus” lediglich 26 Stimmen zur Erlangung der entscheidenden absoluten Mehrheit.

Sieht sich nun aber der christ-demokratische Parteisekretär For-lani nach anfälligen Bündnispartnern für die bald aus der Taufe zu hebende Regierung um, so muß ihn ein großes Ach und Weh befallen. Die Politiker der Democrazia Cristiana führten den Wahlkampf im Zeichen eines Kurswechsels nach der Mitte hin. Wegen der beträchtlichen Verluste besonders der Liberalen, aber auch der Republikaner, hat die Neuauflage des Zentrismus — also der Regierunigsformel der endvierziger und fünfziger Jahre unter de Gasperis meisterhafter Regie — keine Überlebenschance. Die Democrazia Cristiana hat ihre Vormachtstellung lediglich auf Kosten ihrer nächsten potentiellen Bündnispartner zur Rechten und Linken halten können.

Sich erneut mit den ungeschwächten Linkssozialisten zu verbünden, um einmal mehr den bereits totgesagten Kurs .Links von der Mitte” (Centro sinistra) aus der Taufe zu heben, läuft für die Democrazia Cristiana jedoch auf einen Verrat an ihrer Wählerschaft hinaus, die gerade in der Erwartung der Kündigung dieser Allianz und einer allige-gemeinen Erneuerung bei der Stange geblieben ist. Früher oder später müßte die Democrazia Cristiana wohl die Fortsetzung eines von ihrer Wählerschaft nicht gutgeheißenen Regierungskurses schwer bezahlen.

In dieser verzwickten Lage empfehlen viele besonnene Männer, nicht zuletzt der frühere Ministerpräsident Colombo, die Koalition aller demokratischen Parteien wenigstens auf Parlamentsebene. Das Wahlergebnis des 7. Mai zeigt einen erheblichen Stimmenzuwachs der totalitär inspirierten Parteien: die Linksextremen um die KPI vermochten ihren starken Stimmenanhang von 31 Prozent zu halten, und die Neofaschisten brachten es auf mehr als 9 Prozent. Angesichts der großen ideologischen Unterschiede und all der vor dem 7. Mai abgegebenen Versprechungen ist es aber äußerst fraglich, ob sich Liberale und Linkssozialisten an den grünen Tisch setzen, um mit Christdemokraten, Republikanern und Sozialdemokraten eine gemeinsame Regierung zu bilden. Ob sie sich wenigstens bereit erklären, ein aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Republikanern zusammengesetztes Kabinett von außen, nämlich im Parlament, au unterstützen und auf diese Weise die schon seit langem vorgeschlagene Zauberformel drei plus zwei (drei Regierungiskoa-litions- und zwei zusätzliche Parla-meiitskoälitionsparteien) zu verwirklichen, ist manchen eine Hoffnung, den meisten aber nur ein Hoffnungsschimmer, und auf dem hiesigen Karussell der kleinen und großen Führer, der „Möchtegern-Duces”, nicht wenigen eine bloße Utopie.

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