7037814-1990_04_08.jpg
Digital In Arbeit

Zeit der Spannung

Werbung
Werbung
Werbung

Zum 23. Male ist man nun in Görz zu einem „Convegno mit-teleuropeo" zusammengetreten, und wenn unsereins vielleicht meint, dies müsse eher „europeo centrale" heißen, so irrt er: gerade dieses aus Deutsch und Italienisch gemischte Vokabel ist bezeichnend für den Geist von Görz. In Friaul ist die Verbindung zu Österreich nicht abgerissen. Mit Jugoslawien gab es zwar kämpferische Auseinander­setzungen, an deren Ende die neue Grenze so nahe heranrückte, daß ein Teil der Stadt nun jugoslawisch ist. Zudem ziehen die „Convegni culturali" immer wieder Referen­ten aus Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei heran. So auch diesmal, wo das Kongreßthema die zwanziger Jahre waren. Als das 1 Programm erstellt wurde, konnte noch niemand ahnen, in wie dra­matischer Weise Mitteleuropa Rea­lität werden sollte und wie sehr die Erinnerung an die zwanziger Jahre dieser Entwicklung einen geistigen Hintergrund gab.

Das Thema hieß also im Grunde: der Zerfall der Habsburgermonar­chie und ihre Folgen. So stand denn auch der aus dem nahen Triest herangereiste Claudio Magris im Zentrum einer Diskussion, denn sein berühmtes Buch über den habsburgischen Mythos erlebt ge­rade seine dritte (und wie er betont unbearbeitete) Auflage. Auch der Eröffnungsredner, der Budapester Dramatiker und ungarische PEN- Klub-Präsident Miklos Hubay zog Parallelen zwischen der heutigen Aufbruchstimmung in Ost-Europa und den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, da die Nachfolgestaaten sich erst ein Profil geben mußten.

Die Kulturlandschaft jener Jahre in den Nachfolgestaaten wurde aufgeblättert. Auf die Frage, wie „roaring" die berühmten „twen-ties" waren, durfte man den Schluß ziehen: so gut wie gar nicht. Der Musikologe Quirin Principe aus Mailand wies zwar auf die reichen Anregungen hin, die die Musik da­mals erhalten hatte - durch den Schönberg-Kreis, durch Bela Bar-tök und Zoltan Kodäly, durch Leo§ Janacek - mußte aber registrieren, wie isoliert die Großen jener Zeit waren. Viele von ihnen, wie Schön­berg und Bartök, starben in be­drängten materiellen Verhältnissen, waren auch kaum anerkannt.

Zoran Konstantinovic, aus Bel­grad stammend, aber seit vielen Jahren Ordinarius in Innsbruck, wies darauf hin, daß es den Habs-burgern nicht gelungen war, eine Konföderation zu bilden und sol­cherart die Völker auseinander­strebten. Die Krise der Nachkriegs­literatur manifestierte sich vor al­lem im Expressionismus. Er nannte Jaroslav Haseks „Schwejk" als ein Buch der Auseinandersetzung, zi-tierte Miroslav Krleza, wies vor al­lem auf Joseph Roth hin (der in diesen Diskussionen immer wieder beschworen wurde) und vor allem auf Hermann Broch, der den Wer­tezerfall in seiner „Schlafwandler"-Trilogie zur Basis seiner Auseinan­dersetzung gemacht hat. Dieser widmete der Wiener Germanist Mi­chael Benedikt ein eigenes Referat, in dem er den Zerfall der Humani­tät als das eigentliche Thema jener Jahre kennzeichnete.

Aus Prag war Frantiäek Kafka gekommen, ein entfernter Ver­wandter des berühmten Dichters, dessen Werk damals noch im Ver­borgenen blühte. In drei Dichtern hat man damals in Prag den Zeit­geist beschworen: In Haäek, Karel Capek und Frantiäek Langer, deren Dramen damals auch über auslän­dische Bühnen gingen.

Die spannungsreiche Literatur­landschaft der damaligen CSR zeichnete Walter Zettl, der frühere Leiter des österreichischen Kultur­instituts in Rom. Immerhin stellten nach den Friedensverträgen die Deutschen mit dreieinhalb Millio­nen die zweitgrößte Sprachgruppe. In ihren literarischen Hervorbrin­gungen aber gab es eine entschei­dende Spannung. Da waren die sudetendeutschen Autoren wie Bruno Brehm, der in „Apis und Este" den Untergang der Habsbur­germonarchie beschwor, und auf der anderen Seite den Prager Kreis etwa mit Johannes Urzidil und Max Brod, der unterwegs zum Zionis­mus war und als der Retter von Franz Kafkas Erbe in die Litera­turgeschichte einging. In Prag galt damals Deutsch als die Sprache der oberen Gesellschaft. Das Problem der „schuldlosen Schuld" geisterte durch diese Literatur, wurde von Kafka formuliert.

Die Erinnerung an den heute fast vergessenen Max Meli beschwor Gottfried W. Stix, der heute in Wien wohnhaft ist, aber den größten Teil seines Lebens als Germanist in Ita­lien verbracht hat. Max Meli hat in seinem Apostel-, Schutzengel- und Nachfolge Christi-Spiel die Zer­würfnisse der Nachkriegsjahre gestaltet und wurde mehrfach von Max Reinhardt, auch am Burgthea­ter mit großem Erfolg gespielt. In mancher Hinsicht darf man ihn als Nachfolger Ferdinand Raimunds sehen. Sein „Spiel von den deut­schen Ahnen" wurde dann in der NS-Zeit verboten.

Peter Kampits wies darauf hin, wie sehr sich damals die Philoso­phie der neuen Herausforderung stellte. Zwar hatte Ludwig Witt­genstein seinen „Tractatus" bereits 1921 veröffentlicht, blieb aber zunächst noch wenig beachtet. Zwei Antagonisten waren damals in Wien am Werk. Um Moritz Schlick bilde­te sich der Wiener Kreis, der einen logischen Empirismus vertrat und in seiner antimetaphysischen Aus­richtung ein spätes Erbe des Jose­phinismus darstellt. Der andere maßgebliche Denker war Othmar Spann, dessen Ganzheitsdenken eher auf eine österreichisch-ba­rocke Wurzel rückführbar ist und später das geistige Rüstzeug für den Ständestaat lieferte.

Natürlich kamen in Görz auch die Spannungen zwischen Italien und Jugoslawien zu Wort, auch das Problem Südtirol und Trentino. In Ungarn formierte sich, wie Miklös Szabolcsi erläuterte, eine Avant­garde, die vom Dadaismus zum Surrealismus strebte, aber unter den dortigen politischen Bedingun­gen genötigt war, die meisten Werke in Wien erscheinen zu lassen, wo in den zwanziger Jahren auch man­che Emigranten ihr Domizil aufge­schlagen haben.

Es waren ungemein spannungs­reiche Jahre, in denen nach dem großen Zusammenbruch nationale Kulturen entstanden. Und immer wieder wurden Parallelen gezogen zwischen dem Aufbruch in den zwanziger Jahren und den großen Fragezeichen, die durch die jüng­sten politischen Entwicklungen in Erscheinung treten. So wurde ein Kongreß, der ursprünglich einer rein kulturhistorischen Themen­stellung zugedacht war, zu einer Auseinandersetzung mit dem Mit­teleuropa, das heute unter ganz an­deren Voraussetzungen sichtbar zu werden beginnt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung