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Zeit der Umstellxmg

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Das Krankenhaus pflegt alte Menschen nicht immer gesund. Viele leiden an der allzu intensiven Bevormundung einer wohlgemeinten Pflege. Der Einstieg in den Alltag wird so erschwert.

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Das Krankenhaus pflegt alte Menschen nicht immer gesund. Viele leiden an der allzu intensiven Bevormundung einer wohlgemeinten Pflege. Der Einstieg in den Alltag wird so erschwert.

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Angst und Einschüchterung . verschlechtemdieLeistungs-fähigkeit bei alten Menschen. Dagegen hilft Freude dem alten Menschen bei der Bewältigung seines Lebensalltags.

Der geistige Abbau im Alterführt oft dazu, daß Teile des Gedächtnisses gelöscht werden. Nach Schlag-anfällenköimen wir oft erleben, daß der Patient nur mehr einzehie oder gar nur ein einziges Wort aussprechen kaim. Aber die Emotionalität, das Kontaktbedürfnis sind noch intakt, auch wenn die Fähigkeit, selbst sprechen zu können weitestgehend verlorengegangen ist Es ist daherwichtig, mit diesen Menschen ZU sprechen. Dazu ist aber sehr viel Zeit und Geduld nötig.

Ich keime eine weit über 90 Jahre alte Dame - eine ehemalige Lehr-

schwester - in einem Pflegeheim, die immer, wennsievondenSchwe-stem gepflegt wird, sagt: „Rühren Sie mich nicht an, bevor Sie mir gesagt haben, was Sie mit mir machenl“

Die betreuenden Krankenschwestern waren anfangs zwar etwas perplex über dieses befehlshaberi-Bche Verhalten der Patientin, empfinden es aber mittlerweile ak sehr gut, weil sie klare Grenzen erkennen, wie sie mit der Patientin umgehen sollen.

Es ist auch wichtig, daß sich die Pflegenden am Morgen mit Namen vorstellen, das Datum sagen, dem Patienten eventuell erklären, wo er sich befindet, um ihm die Orientierung in der ReaUtät zu erleichtem.

Verwirrte alte Menschen können sich oft noch sehr gut an vertraute Gesichter und Stimmen eriimem, merken sich aber neue Personen nicht mehr. Für das Personal stellt sich aiißerdem das Problem, einen Menschen betreuen zu müssen, von dem sie so gut wie nichts wissen.

Auch der verwirrte alte Mensch muß lernen: Er muß lernen, seine Einschränkungen zu erkeimen, mit ihnen umzugehen. Er muß sich auf völhg neue Situationen einstellen können. Eine alte Dame, die zeitweise verwirrt ist, erzählte mir einmal: „Wenn ich so verwirrt bin, wo bin ich da? Und: Wer bin ich da? Das kann man niemandem verständlich machen; jeder muß diese Erfahrung selber machen, vm. es zu verstehen.“

Ich möchte auch eine Fehlmeinung korrigieren. Nicht jeder alte Mensch wird vor seinem Todkm^- oder längerfristig pflegebedürftig. Die meisten Menschen sterben „aufrecht“, das heißt nach etwa vierwöchigem Krankenhausaufenthalt oder Bettlägerigkeit. Das bedeutet: Alter ist nicht automatisch mit langfristiger Pflegebedürftigkeit gleich-zxisetzenl

Die zweite Fehl-meinxmg besteht darüber, daß eine höhere Lebenserwartung automatisch mit höherer Gebrechlichkeit einhergeht.

Wenn wir zurückschauen und uns die Sechzigjährigen um die Jahrhxmdertwen-de ansehen, die Sechzigjährigen vor 40 Jahren und die heute (oder auch die Achtzigjährigen), so werden wir sehen, daß sich aufgrund der medizinischen Entwicklxmg der Gesxmdheitszustand der einzelnen Altersgruppen verändert hat.

Man sehe sich nxir einen medizinischen Faktor an. Dxirch die Emäh-rxmg, den medizinischen Fortschritt sind einige Erscheinungen weitgehendausgeschaltet worden, etwa die Krankheiten der Rachitis, der O-Beine xmd die entsprechenden Fol-geerscheinxingen im Alter, die Hüft-gelenksluxationen xmd die xmbehan-delte Arthritis, die Arthrose…

Als dritte Fehlmeinung zum Thema Pflegebe-dürf tigkeit möchte ich auf folgendes hinweisen: Ein Mensch wird nicht automatisch pflegebedürftig, sondern Menschen werden auch pflegebedürftig gemacht. Folgendes, um das näher zu erläutern: Einalter Mensch, der zu Hause selbständig xmd aktivist.xmdsich in seinen eigenen vier Wänden noch zurechtfindet, kommt in ein Spital nach einem Zusammenbruch oder einer Herzschwäche.

Wenn er dort aufwacht xmd es sagt ihm niemand, was mit ihm geschehen ist xmd wo er sich befindet, wenn ihm auch niemand sagt, was mit ihm weiter geschieht, daimwird dieser alte Mensch in seiner Verwirrtheit verbleiben xmd trotz medikamentöser Behandlung in einem schlechteren Zustand nach Hause kommen.

Ein alter Mensch, der zehn Tage auf einer internen Station liegt oder den man im Bett beläßt, ihm die Schüssel gibt, der nicht angezogen undnur gefüttert wird, weil er selbst zu lange braucht oder einiges zittrig verschüttet, wird inaktiver nach Hause kommen, als er ios Spital gekommen ist Haxiskrankenschwe-stem können davon Bände erzählen.

Für aktivierende Pflege

Wie weit ein alter Mensch rehabilitierbar ist, hängt vom Wissensstand des Internisten xmd von der Einstellung xmd dem Wissensstand der Krankenschwestern ab. Bei der Frage nach der Pflegequalität geht es darum, ob Pflege aktivierend oder passivierend ist Unter letzterer meine ich nicht z a geringe Pflege, sondern eine, die den alten Menschen zur Inaktivität verurteilt

Ich habe in Österreich sehr viele Pflegestationen gesehen, die ganz phantastisch hygienisch gepflegt waren: weiße Wände, weiße Betten, weiße Leintücher - xmd die alten Menschen, die im Bett lagen, waren genauso weiß.

Niemand war wxmdgelegen, aber 90 Prozent der alten Menschen lagen dort im Bett xmd der ärztUche Betreuer versicherte mir, der Ge-sxmdheitszxistand der alten Menschen müsse in seiner Stadt besonders schlecht sein, denn überall sonst fände er nicht so viele bettlägerige alte Menschen.

Auszug aus Information ‘Alteräforadiung -Altenarbdf 1/1989 des Ludwig Boltanann.In-•ütult fur Ąltosforsdtiing.

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