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Zeit für die Zeit

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Nicht nur für Chinesen, sondern auch für Italiener ist es außerordentlich wichtig, „gute Figur“ zu machen und „das Gesicht nicht zu verlieren“. Wer in Italien im Rufe der „brutta figura“ oder des „verlorenen Gesichtes“ steht, wandert am besten auf Nimmerwiedersehen ins Ausland aus.

Mit diesen harten Tatsachen ringt gegenwärtig der designierte Ministerpräsident Giulio Andreotti. Im Wahlkampf vor dem 20. Juni haben Christdemokraten und Linkssozialisten Versprechen abgegeben, deren Erfüllung eine Regierungsbildung unmöglich machen. Die DC-Expo-nenten gingen mit dem Argument auf Stimmenfang aus, sie wollten nach den Parlamentswahlen nichts mit den Kommunisten zu tun haben. In dieser Erwartung gaben viele von KPI- und Gewerksohaftsdruck ver-

ängstigte Bürger der Democrazia Cristiana abermals die Stimme und sagten sich von Almirantes nationaler Rechtspartei, der „Destra Nazio-nale“, einmal mehr los.

Nicht minder problematisch ist die Position der Linkssozialisten unter der neuen Leitung Bettino Craxis. In der Erwartung eines Wahlsieges

der Sichel- und Hammerpartei versprachen Nenni & Co„ nach dem 20. Juni mit den Kommunisten die Regierung zu bilden und die Christdemokraten in die Opposition zu drängen. Die Spekulation mit der Linksalternative mißglückte allerdings: die Wähler vom 20./21. Juni bescherten Sozialisten und Kommunisten keine parlamentarische Mehrheit.

In dieser mißlichen Lage hilft nur noch der Faktor Zeit, der zwar keine „buona figura“ zeitigt, aber verhüten kann, daß man vor der Wählerschaft wenige Wochen nach dem Urnen-gang das Gesicht verliert.

Andreotti versucht also, Zeit zu gewinnen und strebt eine Lösung an, die den Wählern einige Monate lang Sand in die Augen streut. Es ist voraussichtlich eine nur aus Christdemokraten bestehende Regierung, die mit Stimmenthaltung der Linkssozialisten, vielleicht sogar der Kommunisten, bis gegen Ende des Jahres am Leben erhalten werden wird.

Demnach erhält Italien früher oder später eine Regierung auf Abruf. Nach ein paar Monaten haben die meisten Wähler dann vergessen, Was die Parteiführer im Wahlkampf versprochen haben und dulden, eher als heute, irgendeinen noch fauleren Kompromiß oder gar den „Historischen Kompromiß“ zwischen Democrazia Cristiana und KPI.

Wie heißt doch ein anderes italienisches Sprichwort? „Bisogna dar tempo a! tempo (Der Zeit muß Zeit gegeben werden)“. So unsinnig sich das für auf Efficiency gedrillte Anglosachsen und Nordländer anhört, so bedeutungsvoll — und bequem — ist es für italienische Ohren...

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