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Zeit für Toren
Bratislava 1981: Der 49jährige Premysl Coufal, Diplomingenieur, Mitarbeiter in der Zentralleitung eines großen Unternehmens, wird tot in seiner Wohnung aufgefunden. Sie wird sofort von der Polizei versiegelt, der Selbstmord diagnostiziert. Die herbeigeeilten Eltern des Toten erzwingen eine Sargöffnung: total entstelltes Gesicht, Loch im Schädel,
zerschlagene Nase Der Tote war lange Zeit beschattet worden. Er war Geheimpriester.
Guatemala heute: Nach generationenlangem, schicksalergebenem Leben in unmenschlicher Armut beginnen die ärmsten Schichten der Bevölkerung solidarisch ihre Probleme zu lösen. Sie bilden Basisgemeinden. Die Folge sind brutalste Repressionen durch die herrschende Junta. Alle Mittel sind recht: Mord, Zerstörung von Ernten und Dörfern, Vergewaltigungen, Napalm, vergiftetes Trinkwasser. Wer sich mit den Verfolgten solidarisiert, erleidet ihr Schicksal. Seit 1980 wurden mehr als 2000 Laienkatecheten ermordet.
Uganda 1977: Der anglikanische Erzbischof Janani Luwum wendet sich in einem Aufruf an den Präsidenten Idi Amin, dieser möge der weitverbreiteten Folterung von Christen Einhalt gebieten. Daraufhin wird der Erzbischof zum Präsidenten beordert, der Verschwörung bezichtigt und am 16. Februar 1977 ermordet. Neuesten Berichten zufolge setzt das neue Regime Ugandas die Gewalttaten seines Vorgängers fort.
Es ist für einen Österreicher, der sich höchstens über eine unfreundliche Behandlung am Finanzamt oder ein ungerechtes Strafmandat zu ärgern hat, nur schwer vorzustellen, welches Ausmaß die Unmenschlichkeit in unseren Tagen angenommen hat. Inhaftierung, Folterung, Zwangseinweisung in psychiatrische Anstalten betreffen nicht nur Chri sten. Sie sind Mittel, die im aufgeklärten 20. Jahrhundert weltweit von den Mächtigen gegen Andersdenkende eingesetzt werden.
Zum dritten Mal hat CSI (siehe Stichwort, Seite 2) am 18. März in Wien einen Schweigemarsch für die verfolgten Christen veranstaltet. Von Jahr zu Jahr schließen sich mehr Menschen dieser Kundgebung an. Heuer waren es 2000. Sie bringen damit ihre Betroffen-
heit über die unfaßbaren Mißstände zum Ausdruck, versuchen, bei anderen Betroffenheit auszulösen.
Damit sind wir beim Kernproblem, der Betroffenheit. Sind wir westeuropäischen Christen wirklich berührt vom Leiden, aber auch vom Zeugnis der Christen in jenen Ländern, in denen Leben aus dem Glauben gleichbedeutend mit Konflikt mit den Mächtigen ist?
Hört man von den Greueltaten, ist es naheliegend, sich die Frage zu stellen; was man selbst unter solcheft Bedingungen täte. Was wäre, wenn solches bei uns geschähe? Solche Gedanken erzeugen lähmende Angst, man ahnt das eigene Unvermögen, solchen Zwängen standzuhalten und verdrängt den unbehaglichen Gedanken möglichst schnell.
Vielleicht spendet man, teils zur Beruhigung des Gewissens, teils aus ehrlichem Bemühen, etwas Gutes zu tun, für ein einschlägiges Hilfswerk. Aber dann, weg mit den Gedanken, man kann nicht dauernd das Unvorstellbare vor Augen haben.
Wer sich tiefer ansprechen läßt, reagiert nachhaltiger! Er unterschreibt Petitionen, sammelt Unterschriften, schreibt Verfolgten und deren Familien Briefe, unterstützt Einrichtungen, die Hilfe leisten. So wichtig solches Tun ist und so sehr es noch in stärkerem Ausmaß geschehen sollte, so kann es doch ein Handeln aus der Position eigener Sicherheit sein.
Gerade diese Sicherheit aber sollten wir uns rauben lassen. Das Zeugnis der Märtyrer unserer Tage wird dann fruchtbar, wenn wir uns durch sie in Frage stellen lassen.
Menschen wie Martin Luther King, Oscar Romero, Nijole Sa- dunaite, Gleb Jakunin, Premysl Coufal, Perez Esquivel, Menschen verschiedenster Konfession, haben ihr Leben ganz unter den Auftrag des einen gemeinsamen Herrn, Jesus Christus, gestellt. Ihnen gegenüber können wir uns nicht ausreden, daß andere Zeiten eben andere Bräuche hätten.
Die heutigen Märtyrer sind Menschen, „die zuerst das Reich Gottes suchen“, für die das größte christliche Gebot, Gott und die Mitmenschen zu lieben, die erste Realität ihres Lebens ist. Ihr ordnen sie alles andere unter, nicht um ein Gesetz zu erfüllen, sondern um die Relativität menschlicher Machtausübung zu entlarven und die tiefste, letzte Freiheit des , Menschen aus dem Glauben zu verkünden.
„Alle Dissidenten sind Toren geworden. Wir schenken den relativen Dingen, dem eigenen Schutz und einem ruhigen Leben keine Aufmerksamkeit. Wir verlieren alles … und doch war ich glücklich. Sich von allem absagen, riiacht man nicht mit Traurigkeit, sondern mit Freude.“
Diese Worte der russischen Dissidentin Tatjana Goritschewa zeigen, daß wir mehr als nur die Verfolgten verdrängen. Wie weit haben wir uns mit einer ungerechten Welt abgefunden, mit Abtreibung, Korruption, Schamlosigkeit, Umweltzerstörung…? Wäre es nicht Zeit für Toren im satten Westen?
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