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Zeit, sich umzustellen

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Obwohl es flächen- und bevölkerungsmäßig mit je etwa einem Siebentel an Gesamtösterreich Anteil hat, repräsentiert Oberösterreich ein gutes Fünftel der Produktionskraft und rund ein Viertel des Exportaufkommens. Dies gilt sowohl für das industriell-gewerbliche Erzeugungsvolumen wie für den landwirtschaftlichen Bereich. Weit überproportional ist ferner aufgrund der verkehrsgeographischen Situation und eines großen Massengutbedarfes wie auch Schwergutausstoßes die verkehrsmäßige Konzentration im Lande, das rund 35 Prozent des Güterumschlages der ÖBB auf sich zieht, etwa ein Drittel des grenzüberschreitenden

Straßengüterverkehrs bestreitet und mit den Linzer Häfen (Stadthafen und Werkshafen der VOEST-Alpine) den größten Donauumschlagplatz des gesamten mittleren und oberen Stromverlaufes aufweist.

Die oberösterreichische Wirtschaftsstruktur wird von den größten Industrieanlagen des Bundesgebietes — hierunter auch die größten Betriebe des verstaatlichten Sektors — ebenso gekennzeichnet wie durch eine Vielzahl von Klein- und Mittelbetrieben in Gewerbe, Handel, Verkehr und Fremdenverkehr, wobei in der Industrie von rund 140.000 Beschäftigten zwei Drittel in mittelständischen Unternehmen tätig sind. Wie kaum in einem anderen Bundesland sind daher die konjunkturellen, strukturellen und gesellschaftspolitisch-sozialen Probleme Oberösterreichs in hohem Maß kennzeichnend für die Situation und das Geschehen in Gesamtösterreich.

Die Handelskammer wird dabei, als Anwalt sowie als Selbst- verwaltungs- und Serviceorganisation der Wirtschaft, immer wieder in eindringlicher Weise mit

Sorgen konfrontiert, welche die Mehrheit der in der Wirtschaft Tätigen, die Selbständigen - die Unternehmer und auch ihre Mitarbeiterschaft, bewegen. So weiß jeder, daß die Zeiten des kontinuierlichen Wirtschaftswachstums der fünfziger und sechziger Jahre vorbei sind und sich das gesamte Wirtschaftsgeschehen in einem gewaltigen Umstellungsprozeß befindet, der auch vor dem kleinsten Betrieb und dem entferntesten Dorf nicht haltmacht.

So fragt sich der kleine und mittlere selbständige Unternehmer und gleichermaßen seine Mitarbeiterschaft, weshalb es unumgänglich wurde, die Großunternehmen der verstaatlichten Industrie alljährlich mit Milliardenbeträgen zu subventionieren, während der private Klein- und Mittelbetrieb sich im Notfall mit vergleichsweise bescheidensten Förderungsmaßnahmen zufriedengeben muß oder in der gleichen Situation längst insolvent geworden wäre. Hinter diesen Fragen, die täglich zu vernehmen sind, steckt kein billiger Neid oder Zweifel an der Notwendigkeit einer Groß- und Grundstoffproduktion, sondern die Frage, wieso es trotz eines zumeist anerkannten guten und umsichtigen Managements, trotz forcierter Umstellung auf neue und hochwertige Produktionsprogramme, trotz intensiver Exportbemühungen zu diesen schweren Krisen kommen konnte.

Ähnlich lauten die Meinungen, welche aus den Kreisen der Unternehmer und Mitarbeiterschaft über die Situation der großen Wirtschafts- und sozialen Verwaltungsbereiche der öffentlichen Hand zu hören sind und die immer drängender werden, wie etwa die Beurteilung des von Jahr zu Jahr zunehmenden Anteils der ÖBB am Bundesbudget, der nunmehr bereits die 20-Milliar- den-Grenze erheblich überschritten hat, die trotz des aktiv gebärenden Fernsprechsektors wachsenden Defizite im Postwesen, die

Diskrepanz zwischen aufwendigsten Verwaltungszentren und explosiv zunehmenden Abgängen in der Sozialversicherung.

Gewiß, in Oberösterreich weiß man es besser als anderswo, daß etwa eine rein oberösterreichische VOEST trotz aller Weltmarktprobleme im großen und ganzen aktiv gebaren würde und die seinerzeitige Fusion mit der Alpine Montan deshalb vorgenommen wurde, um innerhalb des Konzernbereiches eine strukturelle Sanierung zu ermöglichen. Man erinnert sich aber auch daran, daß in den Jahren der Wirtschaftsexpansion nach 1955 es gerade die großen Unternehmen des verstaatlichten Sektors waren, die bei der Anwerbung von Mitarbeitern einen gewissermaßen „sozialen Konkurrenzvorsprung” des Großbetriebes zur Geltung gebracht haben und mit vielerlei Extra-Zuwendungen und Einrichtungen den Kleinbetrieben die Fachkräfte abzogen und wesentlich zu Wirtschaftskonzentrationen in Produktionszweigen beitrugen, die nun mit unüberwindlichen Absatzschwierigkeiten konfrontiert sind. Zugleich haben sich die Unternehmungen der öffentlichen Hand Dauerbelastungen zementiert, die nun ihre kostenmäßige Konkurrenzfähigkeit mehr als in Frage stellen.

Ohne „Sozialdemontage”

Die Unternehmensleitungen dieser Großbetriebe wurden hierbei vielfach gewissermaßen zu Gefesselten parteipolitischer Taktik und gewerkschaftlicher Machtpolitik, die sich nunmehr infolge der resultierenden Systemerstarrungen und kostenmäßigen Belastungen als eine lebensbedrohende Gefahr für die Gesamtwirtschaft erweisen. Das gilt modifiziert auch für die Angehörigen von Bundesbahn, Donauschiffahrt, Postverwaltung und anderen Bereichen der sogenannten Gemeinwirtschaft, die sich immer mehr der Alternative gegenübersehen, unter bevorzugten Berufsbedingungen die Existenzmöglichkeit zu verlieren oder sich auf jene Erfordernisse umzustellen, denen die Gesamtwirtschaft unterworfen ist.

Niemand, auch nicht die Masse der in den Klein- und Mittelbetrieben Tätigen, tendiert etwa nach einer „Sozialdemontage” in der öffentlichen Wirtschaft, niemand nimmt an, daß der notwendige Umstellungsprozeß von heute auf morgen erfolgen könnte. Es kann sich nur um ein schrittweises Bemühen um unausbleibliche Reorganisationsmaßnahmen handeln, aber allgemein ist das Verlangen nach einem Anfang, nach dem Beginn eines neuen Weges zu einer Wirtschafts- und Sozialstruktur mit gleichen Rechten und Pflichten und damit auch einer ausgewogenen Belastungsund Kostenstruktur.

Nicht zu Unrecht fühlt sich die mittelständische Wirtschaft, die in den letzten Jahren durch ihre Leistungen den Ausschlag dafür gegeben hat, daß in Österreich die Arbeitslosenrate weit unter dem OECD-Durchschnitt blieb und speziell in Oberösterreich wieder unter jenem Gesamtösterreichs, als jene Bevölkerungsgruppe und jener Wirtschaftszweig, die heute von Staat, von Regierung und Gesetzgebung effektiv ausgebeutet werden, um im Wirtschaftsbereich der öffentlichen Hand Strukturen zu erhalten, die in Zeiten der Hochkonjunktur zwar nicht gerecht, aber immerhin noch finanzierbar waren.

Die Handelskammer Oberösterreich hat als Serviceorganisation auf dem Gebiete des beruf lichen Bildungswesens, der fachlichen Um- und Weiterschulung, der Exportförderung, der Innovationsberatung die größten Einrichtungen ihrer Art ins Leben gerufen und ist dabei, im engsten Zusammenwirken zwischen Wirtschaftsvertretung und Wissenschaft bzw. Kammer, ihrem Wirtschaftsförderungsinstitut, der Linzer Universität sowie weiteren wissenschaftlichen Institutionen des In- und Auslandes diese Einrichtungen und Aktivitäten noch weiter auszubauen.

Bewährtes Lehrsystem

Der kürzlich in Linz abgehaltene internationale Berufswettbewerb, wo Österreich gegenüber einer weltweiten Konkurrenz als zweitbeste Nation hervor ging, bestätigt Wert und Effizienz des gegenwärtigen Systems der Berufslehre in der gewerblichen Wirtschaft.

Die Kammer trägt damit entscheidend dazu bei, daß in allen Wirtschaftssektoren, auch im öffentlichen Bereich, der ja integrierter Teil der Gesamtwirtschaft sein soll, die Anpassung an neue Erfordernisse in technischer und betriebswirtschaftlicher Hinsicht möglich wird. Sie sieht sich aber auch verpflichtet, im Interesse der Gesamtheit jene Forderungen und Anliegen zu akzentuieren, die von der großen Mehrheit all jener vertreten werden, die zu erhöhter Leistung bereit sind, aber es nicht hinnehmen wollen, daß noch immer Kräfte am Werk sind, welche das, was seit 1945 in und für Österreich aufgebaut und solide begründet wurde, wieder in Frage stellen.

Der Autor ist Präsident der Kammer der Gewerblichen Wirtschaft für Oberösterreich.

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