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Der klassische Typus des Bundesstaates ist dadurch charakterisiert, daß die Staatsfunktionen der Gesetzgebung, der Ver- 8 waltung und der Gerichtsbarkeit zwischen dem Zentralstaat m (Bund) und den Ländern in einer bestimmten Weise aufgeteilt |J sind. Der österreichische Bundesstaat entspricht diesem Leitbild §1 nur unvollständig. Zwar sind Gesetzgebung und Verwaltung zwi- m sehen Bund und Ländern dezentralisiert, die Gerichtsbarkeit ist M jedoch ausschließlich dem Bund vorbehalten. Diese Unvollkom- M menheit des Verfassungskonzeptes gegenüber dem idealtypischen m bundesstaatlichen Modell ändert nichts daran, daß die bundes- 11 staatliche Organisationsform ein Baugesetz der österreichischen 8 Verfassungsordnung ist. Das im Artikel 2 der Bundesverfassung ff 1920 ausgesprochene Programm („Österreich ist ein Bundesstaat“) || wird durch eine differenzierte Verteilung der Gesetzgebungs- m kompetenzen zwischen Bund und Ländern und durch die Schaf- W fung zweier getrennter Verwaltungsberciche (Bundes- und Lan- M desverwaltung) konkretisiert.

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Der klassische Typus des Bundesstaates ist dadurch charakterisiert, daß die Staatsfunktionen der Gesetzgebung, der Ver- 8 waltung und der Gerichtsbarkeit zwischen dem Zentralstaat m (Bund) und den Ländern in einer bestimmten Weise aufgeteilt |J sind. Der österreichische Bundesstaat entspricht diesem Leitbild §1 nur unvollständig. Zwar sind Gesetzgebung und Verwaltung zwi- m sehen Bund und Ländern dezentralisiert, die Gerichtsbarkeit ist M jedoch ausschließlich dem Bund vorbehalten. Diese Unvollkom- M menheit des Verfassungskonzeptes gegenüber dem idealtypischen m bundesstaatlichen Modell ändert nichts daran, daß die bundes- 11 staatliche Organisationsform ein Baugesetz der österreichischen 8 Verfassungsordnung ist. Das im Artikel 2 der Bundesverfassung ff 1920 ausgesprochene Programm („Österreich ist ein Bundesstaat“) || wird durch eine differenzierte Verteilung der Gesetzgebungs- m kompetenzen zwischen Bund und Ländern und durch die Schaf- W fung zweier getrennter Verwaltungsberciche (Bundes- und Lan- M desverwaltung) konkretisiert.

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Dieses Verteilungsschema staatlicher Aufgaben bedingt in der Gesetzgebung zwei auf gleicher Stufe stehende Rechtskreise, nämlich Bundesrecht und Landesrecht. Ein Vorrang des Bundesrechtes — wie er etwa im Artikel 31 des Bonner Grundgesetzes durch den Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ statuiert ist — ist der österreichischen Verfassungsordnung fremd. Sie unterscheidet aber in beiden Rechtsbereichen verschiedenrangige Normen, nämlich Verfassungsgeset-

ze und einfache Gesetze. Die Unterschiedlichkeit äußert sich jeweils in den qualifizierten Entstehungsbedingungen. Die für das Zustandekommen von Verfassungsgesetzen des Bundes erforderlichen erhöhten Quoren bei der Beschlußfassung im Nationalrat gelten auch für das Zustandekommen von Landesverfassungsgesetzen: die Bundesverfassung im Landtag die Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder des Landtages und die Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen (Art. 99 Abs. 2 der Bundesverfassung).

Neben diesen formellen Kriterien ist das Problem der inhaltlichen Beziehung zwischen Bundesverfassung und Landesverfassung von entscheidender Bedeutung, das heißt vor allem die Frage, welchen Spielraum inhaltlicher Gestaltung der Landesverfassungsgesetzgeber im Rahmen der Bundesverfassung besitzt1. Art. 99 Abs. 1 der Bundesverfassung ermächtigt den Landtag zur Erlassung oder Abänderung der Landesverfassung, „insoweit dadurch die Bundesverfassung nicht berührt wird“. Aus dieser Formulierung haben Theorie und Praxis abgeleitet, daß das inhaltliche Verhältnis zwischen Bundesverfassung und Landesverfassung dem Verhältnis zwischen Grundsatzgesetz und Ausführungsgesetz entspreche2. Das bedeutet, daß der Landesverfassungs-gesetzgeber inhaltlich an die in der Bundesverfassung vorgezeichneten Grundsätze gebunden ist und diese Grundsätze durch Ausführungsregelungen konkretisieren kann. Er besitzt also lediglich eine relative Verfassungsautonomie, die durch die bundesverfassungsrechtäichen Rege-

lungen begrenzt ist. Mag die These, daß das Verhältnis zwischen Bundesund Landesverfassung demjenigen von Grundsatzgesetz und Ausführungsgesetz entspricht, als „Capitis deminutio“ des fö deralistischen Gedankens angesehen werden, so läßt sie sich dogmatisch einwandfrei begründen. Da die Bundesverfassung jedoch nicht in allen Bereichen eine ausdrückliche grundsätzliche Regelung für den Landesverfassungsgesetzgeber enthält, sondern in vieler Hinsicht „schweigt“, ist der Landesverfassungsgesetzgeber in diesen Fällen im allgemeinen an die aus der Bundesverfassung ableitbaren Ordnungsprinzipien (zum Beispiel Rechtsstaatlichkeit, Parlamentarismus) gebunden.

Im gesamten gesehen lassen sich die Möglichkeiten der inhaltlichen Determination zwischen Bundesverfassung und Landesverfassung folgendermaßen typisieren; Neben jenen Regelungen der Bundesverfassung, die eine Frage in einer Weise regeln, daß für eine Ausführung kein Raum mer|g|bleibt (zum Beispiel die In-kompatibilitätsregelungen für die Mitglieder des Landtages), gibt es Bestimmungen, die dem Landesverfassungsgesetzgeber einen gewissen Spielraum einräumen (zum Beispiel der Festlegung der Zahl der Mitglieder eines Landtages). Darüber hinaus aber sind jene Fälle zu unterscheiden, in denen die Bundesverfassung überhaupt keine Aussage über die inhaltliche Gestaltung einer landesverfassungsgesetzlichen Regelung trifft (so zum Beispiel über Form und Inhalt des Landes Voranschlages). Hier stellt sich die Frage ob der Landesverfassungsgesetzgeber — abgesehen von der Bindung an die Ordnungsprin^ipien der Bundesverfassung — das Recht der freien Regelung besitzt oder ob das Prinzip der Homogenität zur Anwendung kommen soll, das heißt, daß der Landesverfassungsgesetzgeber eine inhaltlich den vergleichbaren bundesverfassungsrechtlichen Bestimmungen homogene Lösung finden muß.

Wie immer man das letztgenannte Problem in der Theorie beurteilen mag, die Praxis des österreichischen Bundesstaates, das heißt der öster-

reichischen Bundesländer, hat die Möglichkeiten einer Vielfalt landesverfassungsrechtlicher Regelungen nur unvollkommen genützt. Der for-malrechtlichen Unterordnung der Landesverfassungen als Ausführungsgesetze zur Bundesverfassung entspricht eine weitgehende inhaltliche Kongruenz zwischen den einzelnen Landesverfassungen. Die Länder haben den durch die Bundesverfassung offen gelassenen Spielraum in einer wenig auf die besonderen Verhältnisse eines Landes Rücksicht nehmenden Art ausgefüllt. So sind die meisten Landesverfassungen auch heute noch durch eine Uniformität gekennzeichnet, die sieh eher auf ein zentralistisches Modell zurückführen läßt, denn auf eine einem föderalistischen Pluralismus entsprechende Grundkonzeption. Ihre Strukturen sind — um mit den Worten Ermacoraa zu sprechen — „eines Bundesstaates geradezu unwürdig3“. Und derselbe Staatsrechtslehrer, der sich in vielen Publikationen mit der Theorie des österreichischen Bundesstaates auseinandersetzte, hebt mit Recht hervor, daß die politische Phantasielosigkeit der Landesverfassungen geradezu den Trend des österreichischen Föderalismus widerspiegle4.

Das geschilderte Verhältnis zwischen Bundesverfassung und den Verfassungen der einzelnen Bundesländer offenbart Strukturdefekte des österreichischen Bundesstaates. Auffallenderweise waren die damit zusammenhängenden Probleme bisher noch nicht Kernpunkt fö; deralisti-scher Politik. Das „Forderungsprogramm der Bundesländer“ nimmt auf eine Verfassungsreform mit dem Ziel der Neugestaltung des Verhältnisses Bundesverfassung—Landesverfassungen keinen Bezug.

Und dennoch gibt die bestehende Situation Anlaß zu kritischen Überlegungen. Am Verhältnis Bundesverfassung—Landesverfassungen zeigen sich symptomatische Schwächen des österreichischen Bundesstaates. Schon Kelsen sprach von einer gewissen bundesstaatlichen „Anomalie“ angesichts der Tatsache, daß die Bundesverfassung die Grundzüge der Länder regelt, da dies nicht Aufgabe des Oberstaates und seines Verfassungsgesetzgebers sei5. Erscheint diese Auffassung theoretisch wohl richtig, da sich die

Gesamtverfassung (das ist jener Teil der Bundesverfassung, der grundsätzlich das Verhältnis zwischen Bund und Ländern regelt) durchaus lediglich auf die Kompetenzverteilung hinsichtlich Gesetzgebung und Vollziehung zwischen Bund und Ländern beschränken könnte“, würde eine Verfassungsreform mit derartigen Zielsetzungen bei den gegebenem politischen Strukturen dennoch als Utopie anzusehen sein. Jener Teil der Verfassung, der als Gesamtstaatsverfassung anzusehen ist, wird sinnvollerweise auch prinzipielle Aussagen über die Gestaltung der Verfassung der Länder zu treffen haben. In diesem Sinn sind die Landesverfassungen Ausführungsgesetze zu dieser Gesamtstaatsverfassung, nicht aber zur Bundesverfassung schlechthin. Dementsprechend ist auch die Deutung der Landesverfassungen als Ausführungsgeselze zur Bundesverfassung zu korrigieren. Sie widerspricht der im Bundesstaat wesensgemäß in Erscheinung tret enden Souveränitätsgemeinsch aft zwischen Bund und Ländern und dem autonomen „Pouvoir consti-tuant“ der Länder. In der Bundesverfassung und den Landesverfassungen stehen einander zwei geschlossene Verfassungssysteme auf der Ebene der Parität gegenüber. Die Landesverfassungen fußen auf der selbständigen Normsetzungsbefugnis der Länder und sollen gleichzeitig einen unantastbaren Kernbereich des Landesverfassungsgesetzgebers sichern7. Dieser Gedanke verdient um so mehr Beachtung, als den Ländern nach der derzeitigen Verfassungslage — auch bei Verfassungsgesetzen besteht lediglich ein suspensives Vetorecht des Bundesrates — ein wirksames Recht der Mitgestaltung der Bundesverfassung nicht zukommt.

Weiter ist es überaus schwierig, unter Berufung auf das Erfordernis der rechtlichen Homogenität landesverfassungsrechtlicher Regelungen mit den entsprechenden Institutionen , im Bundesbereich klare Maßstäbe zu gewinnen. Es steht außer Zweifel, daß gewisse Strukturprinzipien der Verfassung für Bund und Länder in gleicher Weise Geltung haben müssen. Umfang und Intensität dieser Homogenität sind jedoch schwer feststellbar. In vielen Fällen leitet man diese Homogenität nicht nur aus der Verfassung und den in ihr artikulierten Grundsätzen ab, sondern orientiert sich an ein-

fachgesetzlichen Regelungen (Verfassung im materiellen Sinn)8. Eine solche Vorgangsweise führt aber zu einer weitgehenden inhaltlichen „Verbundliehung“ der Landesverfassungen.

Aus den vorstehenden skizzenhaften Ausführungen ergeben sich gleichzeitig die Ansatzpunkte für eine Reform. Diese müßte eine grundsätzliche Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Bundesverfassung und Landesverfassungen ins Auge fassen und folgende Schwerpunkte zur Diskussion stellen:

1. Die Bundesverfassung hat den spezifischen Inhalt der Landesverfassungen abzugrenzen, das heißt sie hat jene Regelungsbereiche ausdrücklich zu bezeichnen, die in der Landesverfassung zu normieren sind (zum Beispiel Wirkungskreis und Zusammensetzung der Landtage, persönliche Stellung der Mitglieder des Landtages, Organisationsgrundsätze über die Vollziehung im Landesbereich).

2. Eine ausdrückliche inhaltliche Determination der Landesverfassungen durch die Bundesverfassung hat nur in jenen Fällen zu erfolgen, in denen die Wirksamkeit der Baugesetze der Verfassung (Rechtsstaatlichkeit, parlamentarisch-repräsentatives System, Gewaltenteilung) im Wirkungsfeld der Bundesverfassungsgeber keine ausdrückliche Anordnung trifft, ist das Prinzip der Homogenität anzuwenden. Eine ausdrückliche Verankerung dieses Grundsatzes würde bedeuten, daß der Landesverfassungsgesetzgeber in verschiedenen Fällen einen gewissen institutionellen Mindeststandard garantieren müßte. Dies gilt im besonderen etwa für die politische Verantwortlichkeit der Mitglieder der Landesregierungen“, über die derzeit die Bundesverfassung nichts aussagt, aber auch für die Möglichkeiten der unmittelbaren Demokratie (Volksabstimmung, Volksbegehren), über die die Landesverfassungen höchst unterschiedliche Regelungen treffen“.

3. Die Landesverfassungen haben außerhalb des unter Z. 2 umschriebenen Rahmens das Recht der freien Regelung. In diesen Bereichen sind die Länder Träger einer eigenen Verfassungshoheit, die sie zur Erlassung von Normen verpflichtet, die den speziellen Strukturen und Erfordernissen eines Landes Rechnung tragen.

4. Die Bundesverfassung hat im allgemeinen gegenüber den Landesverfassungen die Funktion der Rechtsbegrenzung und der Rechts-ergänzung11.

Die verfassungspolitischen Konsequenzen der geschilderten Vorschläge liegen auf der Hand. Sie bedeuten eine Stärkung des bundesstaatlichen Bewußtseins in der Erkenntnis, daß die Republik Österreich auf den in ihr integrierend wirkenden bundesstaatlichen Kräften gründet, daß aber anderseits die im Bundesstaat in Erscheinung tretende Idee einer Souveränitätsgemeinschaft von Bund und Ländern nicht vom Gedanken der Subordination der Länder gegenüber dem Bund getragen sein kann.

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