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Zeitgenosse

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Lieber Fritz Hochwälder Du bist also fünfundsechzig geworden und hast tatsächlich den Hitler überlebt und die Misere der Emigration in der Schweiz und zuletzt die kleine Herzattacke auch noch, und eigentlich müßte ich nun weiteres langes Überleben wünschen, erstens, weil Du Geburtstag hast, zweitens, weil wir von Dir noch viele neue Stücke haben und uns an Deiner Gesellschaft noch lange erfreuen wollen, und drittens, weil Du kein besseres Mittel hast, um die Scharlatane und Karrieremacher, die Schreibtischmörder und Ignoranten zu ärgern als sie alle lachend zu überleben.

Aber Du hast es ja schon geschafft, bist so etwas wie eine Figur der Literaturgeschichte geworden, was gewiß eine ebenso feierliche wie langweilige Beschäftigung sein mag. Mit anderen Worten: Du hast all die schöngeistigen Langzeiler und ideologischen Bauchredner bereits längst überlebt, denn ihre Texte werden einst nur noch manche arme Germanisten belasten, während man Deine Stücke immer noch und immerfort spielen wird, da ja Deine Stücke wahr sind, wichtig sind, gut gebaut und allgemein verständlich — so einfach ist das.

Und also müssen wir an diesem Tag gar nicht so viel vom langen Leben, ja, vom Überleben sprechen. Wichtiger ist es vielleicht, Dir ganz offen zu sagen, wie beispielhaft und liebenswert Du als Person bist, und zwar: gerade Deine Liebenswürdigkeit ist beispielhaft als Phänomen in einer Zeit, in der sich viele Menschen und besonders viele Literaten unbedingt hartherzig zeigen wollen, aggressiv und kaltschnäuzig, in die eigene Unbarmherzigkeit eingesperrt wie in einen Panzer oder in eine Konservenbüchse. Du hast Dich der Deformation des Geistes entzogen.

Ich glaube, es half Dir dabei die Erfahrung mit dem Handwerk, mit irgendeinem, zum Beispiel Deine Erfahrungen als Tapezierer — denn viele, die sich heute mit Kunst und mit Sprache beschäftigen, besitzen nicht diese Stärkung durch den Umgang mit einem Handwerk und haben aus diesem einfachen Grund den Zusammenhang zwischen Kunst und Können niemals wirklich begriffen. Es muß selbstverständlich nicht jeder Künstler ein Handwerker gewesen sein, aber er muß sich dann offenbar mit dem Handwerk anderer, ihm zeitlich vorangegangener Künstler beschäftigt haben.

Es besteht ein geheimer Zusammenhang zwischen handwerklichem Können und Liebesfähigkeit in der Kunst. Es gibt für diesen Zusammenhang viele Beweise; einer von ihnen ist die Erfahrung, daß das Nur-Arti-fizielle in seiner Einseitigkeit handwerklich stümperhaft und zugleich unliebenswürdig ist.

Die Arroganzausbrüche mancher Regisseure — um bei Deinem Bereich zu bleiben — gehören auf dieses Gebiet: ihre selbstgefälligen Verstümmelungen des Textes ergeben schlechtes Theater, das mit Publikum und Schauspielern in der gleichen lieblos brutalen Art verfährt.

Siehst Du, Fritz, mit Deinen Stük-ken kann man solche Attentate auf die Menschlichkeit nicht unterneh-mien: sie sind für die halbintellektuelle Lüsternheit all dieser albernen Dandies, die heute viele Bühnen beherrschen, fast ohne Wert. Und darauf kannst Du stolz sein, das kann Dir wirkliche Genugtuung bereiten, das wird Dir die wirkliche Bedeutung Deines Werkes bestätigen können an diesem Geburtstag — und niemand ist ganz frei vom Bedürfnis nach solcher Bestätigung! .Wieder einmal gehörst Du zur Opopsition, und zwar nicht, weil Du Dich geändert hättest, sondern viel mehr, weil die auf deutschsprachigen Bühnen herrschende Mode menschenfeindlich geworden ist.

Du hast einen ähnlichen Prozeß bereits erlebt: als die Brutalität nationalsozialistischer Färbung über das mittlere Europa gekommen ist. Und wer vertrat damals die deutschsprachige Dramatik? Bruckner, Brecht, Csokor, Horväth, Zuckmayer, Du, vielleicht Hasenklever im KZ. Aber wer beherrschte die deutschsprachigen Bühnen?! Ja, wer?!

Noch leben wir voll der ersten Freude über den Zustand demokratischer Freiheit. Aber hinter immer noch lächelnden Lippen knirschen bereits die Zähne.

Dieses Zähneknirschen können wir heute unterbrechen, um uns an der Bedeutung Deines Werkes zu stärken und auch aus Deiner Herzlichkeit neue Hoffnung zu schöpfen. Du siehst: es ist der pure Egoismus, der mich dazu bewegt, Dir an diesem Tag vor allem Fröhlichkeit und Vitalität zu wünschen. Wir brauchen Dich nämlich. Sei in Freundschaft umarmt und mit einem besonderen Riesling gefeiert von Deinem

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