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Zeitgenosse Hašek

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Seltsam. Dieses grausame, vom Hochmut der Mächtigen und vom tiefen menschlichen Leid gezeichnete 20. Jahrhundert bietet an jeder Wegbiegung reichlich Stoff für Satire - aber wir haben keine großen Satiriker. Kann das Leid so heftig sein, daß es das bittere Lachen erstickt? Sind die Autoren ängstlich geworden? Ziehen sie sich lieber in den elfenbeinernen Turm der Selbstanalyse zurück? Oder ist alles ermattet, lustlos, gleichmütig, ideologisiert (und auch das geruhsame Verweilen im scheinbar abgesicherten System einer Ideologie ist meistens ein Zeichen von Ermattung)?

Karl Kraus hat es in den „Letzten Tagen der Menschheit“ ver-

sucht, Huxleys „Brave new world“ und Orwells „1984“ waren umgestülpte Utopien, in die Zukunft gerichtete Satiren, der junge Ilja Ehrenburg hat mit Julio Jurenito und mit Laschik Reut- schwanz großartige und dennoch längst vergessene satirische Gestalten geschaffen, ja, gewiß, auch einiges von Heinrich Mann, von Günter Grass wirkt satirisch — aber ist das wirklich alles angesichts der ebenso mörderischen wie lächerlichen Apparate der Hitlerei und des Stalinismus, angesichts all der auswechselbaren Parolen von Politikern, die — alt gewordenen Komödianten ähnlich — nur noch auf den Erfolg schielen, angesichts Dummheit, Korruption und Bürokratie?

Im Rückblick entdecken wir eine einzige große Satire, die, wie „Don Quijote“ zum Volksbuch geworden ist. Ihr Verfasser war kein

Literat im engen Sinn dieses Wortes, sondern ein dem Alkohol ergebener Bohemien in Prag, der versuchte, sich mit verschiedenen Tricks und Schelmenstreichen das zum Trinken täglich notwendige Bargeld zu verschaffen. Zu diesen Aktionen gehörte die Gründung einer „Partei des gemäßigten Fortschritts in den Grenzen des gesetzlich Erlaubten“ ebenso wie das Verfassen von Geschichten, die der Autor — jede Geschichte als kleines Heft — selbst drucken ließ und selbst verkaufte. Alle diese Geschichten drehten sich um einen einzigen Helden, wenn es erlaubt ist, den braven Soldaten Schwejk als Helden zu bezeichnen.

Der Prager Trinker hieß Jaros- lav Hašek, gestorben 1923 im Alter von vierzig Jahren, geboren in Prag am 24. April 1883.

Er ist in zweifacher Hinsicht unser Zeitgenosse. Es gibt ja einige Menschen nicht nur in den diesbezüglich offenbar wunderwirkenden Bergen Georgiens, sondern auch in Österreich, die ihren hundertsten Geburtstag erleben. Gehörte Hašek zu ihnen, könnten wir ihn heute persönlich begrüßen. Er ist aber auch trotz seines frühen Todes unser Zeitgenosse geblieben: vor allem durch seine Sehnsucht, außerhalb der streng genormten Grenzen der großen Apparate zu bestehen und diese Sehnsucht in den „Abenteuern des braven Soldaten

Schwejk“ als großartige Satire darzustellen.

Schwejk ist der kleine Mann, der in einer absurden Welt leben muß, die Absurdität aber nicht nur als gegeben hinnimmt oder gar bekämpft, sondern persönlich in allen kleinen Angelegenheiten seines Alltags weiterführt, und mit dieser Methode überlebt. Er überlebt Kaiser, Weltreiche, Polizeispitzel, kleine lokale Tyrannen, es gelingt ihm, sogar aus dem großen Blutbad des Ersten Weltkrieges mit heiler Haut davonzukommen. Er verkörpert den Typ des tschechischen Soldaten, schreibt Egon Erwin Kisch, „der als dumm gilt und so folgsam ist, daß er den ganzen Dienstbetrieb vernichtet“.

Ist aber Schwejk wirklich so dumm? öder folgt er einer Lebenspraxis, einer Stimme der Weisheit, einer Methode?

Uber diesen Punkt läßt uns Hašek im unklaren, und gerade darin liegt das Geheimnis der tragikomischen Wirkung seines Antihelden. Er verfährt mit Schwejk nicht anders als Cervantes .mit seinem Sancho Pansa, mit dem Hašek den Schwejk übrigens selbst vergleicht. Schwejk ist wie er ist, schlau und einfältig zugleich, wohlwollend und hinterlistig, und in seiner Schicksalsergebenheit derart robust, daß er alle schrecklichen’ Abenteuer meistern kann. Seine sichtbarste Eigenschaft ist die totale Subordi nation: eine Folgsamkeit, die alle Befehle auf den Kopf stellt.

Die Absurdität seiner Umwelt und die Absurdität seines Verhaltens erinnert an die Welt von Franz Kafka. Auch Schwejk ist der namenlosen und sinnlosen Übermacht ausgeliefert, auch Schwejk flieht in den — vorübergehenden — Wahnsinn.

Man hat immer wieder versucht, Schwejk als Symbolfigur eines tschechischen Stils im politischen Kampf um das Überleben zu deuten, als Ausdruck einer Haltung, die man vielleicht „totaler Widerstand durch totale Subordination“ nennen könnte. Eine Deutung dieser Art scheint die Dinge zu vereinfachen, obwohl der uneingeweihte Beobachter der Prager Geschehnisse der letzten fünfzehn Jahre wohl dazu neigen muß, Schwejk für unseren lebenden und alles überlebenden Zeitgenossen zu halten. Schwejk „stiftet immer größere Verwirrung und trägt (mehr als viele heroische Gesten offener Hochverräter) zur Vernichtung der Staaten bei“, schreibt Egon Erwin Kisch. „Diese Gestalt ist echt und ewig.“

Daß die größte Satire des Jahrhunderts aus den Ruinen eines Reiches entstand, ist ebenso schrecklich wie einleuchtend. Auch Literatur hat mitunter ihre Logik, und Hašek ist nicht das einzige Genie, das berauscht sein mußte, um der Weltgeschichte auf die Schliche zu kommen.

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