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Zeitkritiker Rudolf Henz

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Von welch hoher Qualität auch die Sammelbände der großen Lyriker dieses Jahrhunderts sein mögen, „Die Gedichte” von Rudolf Henz, eine chronologisch geordnete Sammlung von 1929 bis 1981, werden einen Sonderplatz erhalten und bewahren. Denn hier sind die großen Erschütterungen unseres Kontinents, der Zusammenbruch der Habsburger-Monarchie, die Liquidation Alt-Europas durch den Zweiten Weltkrieg und der technisierte Selbstmord des Kontinents durch den sogenannten Fortschritt, auf die geistige und psychische Problematik des Geschehens verdichtet.

Dies konnte nur vollbringen, wer selber den widersprüchlichen Gefährdungen dieser Epoche ausgesetzt war, und zwar „von Kind an den Gefahren des Glaubens”, dann dem „Herdentrieb” (Gesänge aus der Herde) und schließlich der Bewußtseinserweiterung, dieser Zangengeburt der Seele, mit der die moderne Soziologie ihren Eingriff vollzieht. Trotz dieses Zweifrontenkrieges nach innen und nach außen versucht Rudolf Henz seinem Taufgelöbnis — „Widerstreitest du dem Teufel? Ich widerstreite!” — die Treue zu halten. So verwandelt sich das Drama eines Jahrhunderts in das Psychodrama des einsamen Dichters, der zugleich als Medienexperte ersten Ranges und der ersten Stunde in die tumultuari-schen Schalthebelkämpfe auf der Kommandobrücke des kulturellen Staatsschiffes mitverwickelt war und ist.

Dabei geht es ihm nicht darum, sein Gesicht zu wahren, sondern auch seine Stimme, die vox humana et intima des Dichters. Dieser oft erschütternde Kampf spiegelt sich in fünfzehn Selbstporträts und in der Selbstkritik.

Denn Rudolf Henz, eingebunden in staatliche und kirchliche Organisationen, empfindet auch sein Künst-lertum immer als Auftrag, in seine Zeit und deren Probleme hineinzuwirken. Solche engagierte Dichtung ist nur möglich, wenn man sich dem Ausdruckswandel und den wechselnden Tendenzen nicht entzieht.

Von dem gebundenen Rhythmus im gereimten Strophenbau bis zum prosa-haft satirisch ernüchterndem Parlando des Chansons spannt sich der Bogen. Rudolf Henz sieht seiner Epoche aufs Maul, ohne ihr nach dem Mund zu reden. Sein proteushaftes Talent der Anpassung steht im Dienst eines unveränderlichen Grundmotivs: nur die Bindung an Gott kann den Menschen davor bewahren, zu einem für ihn selbst tödlichen Uberschreitungphänomen der Natur zu werden.

Zufolge dieses Doppelaspekts ist das Buch zugleich ebenso fesselnd durch die Persönlichkeit wie durch die objektive Aktualität.

„Zwischen Spöttern und Verneinern” und oft im Widerstandskampf durch deren Sprache mitbestimmt, strebt Rudolf Henz über die ironische Brechung hinaus zur psalmistischen Anrufung der Gnade für unsere Zeit.

DIE GEDICHTE. Von Rudolf Henz. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln 1984. 456 Seiten, öS 320,-.

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