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Zeitpunkt des Todes genau feststellbar

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Justiz und Medizin waren sich an diesem Abend einig: In Österreich besteht kein wie immer geartetes Verlangen, kein wie immer gearteter Bedarf an einem Transplantationsgesetz. Die Entwicklung der medizinischen Forschung auf diesem Gebiet dürfe nicht durch die gesetzliche Fixierung des momentanen wissenschaftlichen Stadiums gehemmt werden.

Außerdem seien die Folgen einer öffentlichen Diskussion über das Thema „Organverpflanzung“ - ob in politischen Gremien, ob in den Medien - nicht abzusehen. Die Medizin habe Methoden entwickelt, wonach der eingetretene Tod mit vollkommener Sicherheit festgestellt werden könne; warum daher die Freiheit der Forschung durch ein Gesetz einengen?

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Medizin und Ethik“ der Wiener Hochschülerschaft Medizin diskutierten vergangene Woche Mediziner und ein Jurist über den Problembereich „Bestimmung des Todeszeitpunktes - Transplantatentnahme“. Sie erläuterten dem interessierten Fach- und Laienpublikum die Methoden zur Festeilung des irreversiblen Todes und den Vorgang der Organentnahme.

Auf einem interdisziplinären Mediziner/Juristenkongreß in der Wiener Hofburg im Mai 1972 und neuerlich ein Jahr später im Rahmen der Gesellschaft für österreichisches Strafrecht und Kriminologie erzielte man Konsens hinsichtlich der Anerkennung des Hirntodes als Individual-tod. Darüber hinaus war man der Meinung, daß keine gesetzliche Regelung in bezug auf die Todesdefinition vonnöten sei. Neben sämtlichen klinischen Kriterien - wie Bewußtlosigkeit, keine Spontanatmung - muß das Elektro-Enzephalogramm sechs Stunden lang den Nullstand halten. Alle diese Symptome haben ununterbrochen zu bestehen; fehlt nur ein einziges Symptom, werden sofort Wiederbelebungsmaßnahmen in Erwägung gezogen.

Von Bedeutung ist weiters der Umstand, daß nicht das gleiche Ärzteteam den irreversiblen Tod feststellt und die Transplantation durchführt. Lediglich der Anästhesist ist ein und derselbe Arzt. Er muß den Patienten mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln am Leben erhalten, anderseits aber das Team zur Todesfeststellung einberufen. Ist der Totalhirntod festgestellt, entnimmt der Chirurg dem Toten bei noch bestehendem Kreislauf - er wird mittels Apparaturen aufrechterhalten - das für den Transplantatempfänger notwendige Organ, um ein anderes Leben zu retten oder zu verlängern.

Das einwandfreie Funktionieren des Organs kann nur garantiert werden, wenn die Zeit, in der das Organ nicht durchblutet ist, möglichst kurz ist. In der Regel bemüht man sich, die Dauer der Nichtdurchblutung auf fünf bis zehn Minuten einzuschränken, wiewohl die Niere 60 Minuten, die Leber 30 und das Herz 10 bis 20 Minuten ohne Durchblutung schadlos erhalten werden können. In Anbetracht dieser Aufgabenstellung ist es für den Schutz des Spenders von höchster Bedeutung, daß der Chirurg in die Todesfeststellung nicht miteinbezogen wird.

Von juristischer Seite stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Störung der Totenruhe und gleichzeitig das Problem der Zustimmung zur Organspende von Seiten der Angehörigen. Zum ersten wird die Argumentation des übergesetzlichen Notstandes - Transplantatentnahme und die unmittelbare Übertragung des Organes zum Zwecke der Lebensverlängerung -herangezogen. Zum zweiten 4 Zustimmung durch die Angehörigen*-verweist man auf das Krankenanstaltengesetz, wonach unter bestimmten Voraussetzungen Obduktion ohne Zustimmung durchgeführt werden dürfe.

Aufgeschreckt von der „Kurier“-Serie über den Scheintod glaubte ein Teil des Publikums in einer gesetzlichen Verankerung der Methoden zur Feststellung des Todes mehr Sicherheit zu finden. Die Ärzte bemühten sich, diese Annahme mit dem Hinweis zu widerlegen, daß es unübersehbare Todeskriterien wie Totenflecken gebe, die eine eindeutige Diagnose möglich machen.

Im übrigen habe es sich wiederholt gezeigt, daß auch durch detaillierte gesetzliche Regelungen Fälle von Fahrlässigkeit nicht ausgeschlossen werden können. Grund genug für das Podium, ein „Transplantationsgesetz“ von vornherein abzulehnen. Ist es aber anderseits nicht gerade Aufgabe der Gesellschaft, im Grenzbereich Leben-Tod auch der Freiheit der Wissenschaft Grenzen zu setzen und sei es nur durch die Schaffung eines angemessenen öffentlichen Bewußtseins?

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