6903364-1980_35_12.jpg
Digital In Arbeit

Zeitungsverkäufer mit Hochschuldiplom

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Jusstudent aus Nigeria sitzt einsam im Leseraum des Afroasiatischen Instituts, über österreichische Gesetzestexte gebeugt. Seit vier Jahren studiert er an der Universität Wien, hat inzwischen auch schon zahlreiche Prüfungen abgelegt.

Aber er wird nach eigenen Angaben wohl noch zwei, drei Jahre hier verbringen müssen. Seine Familie blieb zu Hause. Seine Heimat hat er trotz starker Beziehung zu ihr in diesen Jahren

nicht gesehen. Dennoch: „Wenn ich heute fertig bin, ich reise morgen zurück!"

Dieser junge Nigerianer ist einer der 2.758 Studenten aus nichteuropäischen Entwicklungsländern, die im Wintersemester 1979/80 an Österreichs Universitäten inskribiert hatten und von den Studiengebühren befreit waren.

Auch das ist eine Form der Entwicklungshilfe - aber ist sie sinnvoll?

Wie hat es eigentlich angefangen? In den Jahren 1957 bis 1962 verzeichneten Österreichs Hochschulen einen Ansturm von Studenten aus Ländern der Dritten Welt. Die damals noch junge Republik wollte durch Studiosi aus exotischen Regionen ihren Universitäten internationales Flair verleihen.

Bereits 1962, dem Höhepunkt dieser Entwicklung, erkannte man, daß weniger Wert auf die große Zahl der Exoten, sondern mehr auf ihre Eignung gelegt werden müsse. Seither hat sich die

Zahl dieser Studenten auf ungefähr 3000 jährlich eingependelt.

Warum kommen sie nach Österreich?

Angehende Akademiker hören in ihren Heimatländern Erzählungen über die Studienerfahrung bereits aus Österreich zurückgekehrten Landsleute. Daraus bildete sich in verschiedenen Regionen eine bestimmte Vorliebe für gewisse Studienzweige heraus.

So bevorzugen Wißbegierige aus

dem Nahen Osten meist technische Studienrichtungen, weil sie hier über relativ gute Vorkenntnisse verfügen. In Schwarzafrika genießt die medizinische Fakultät der Universität Wien einen besonders guten Ruf, während in der Türkei wirtschaftliche Studien mehr schätzt.

Trotz politischer Veränderungen stellten auch im Vorjahr die Iraner den Großteil der Studenten, nämlich 862, gefolgt von den Türken mit 620. 171 Ägypter, 72 Nigerianer und 351 Studenten aus anderen Ländern des Nahen Ostens, darunter 79 Saudiaraber, sowie 67 Syrer und Iraker strebten nach österreichischen akademischen Titeln.

Neben der Befreiung von Studiengebühren erhielten ungefähr 400 von ihnen Stipendien von österreichischen Stellen. Ziel dieser Aktion ist, wie Ministerialrat Othmar Huber vom Wissenschaftsministerium betont, die „Ausbildung akademischen Nachwuchses für Entwicklungsländer".

Um dieser Forderung zu entsprechen, werden staatliche Stipendien grundsätzlich nur an Graduierte und Studenten in höheren Semestern verliehen, weil diese meist in ihr Heimatland an den früheren Arbeitsplatz und zu ihrer Familie zurückkehren.

Die Stipendiaten werden nicht nur finanziell unterstützt, sondern auch intensiv betreut, um ihnen über Sprachschwierigkeiten und Kontaktlosigkeit hinwegzuhelfen und darüberhinaus eine besondere Beziehung zu Österreich aufzubauen.

Alle diese Bedingungen sind aber bei der Mehrheit der Studenten nicht gegeben. Deren Hauptschwierigkeiten zeigt Generalsekretär Gerhard Bittner vom Afroasiatischen Institut auf: „In Schwarzafrika gilt Österreich vielfach noch als .gelobtes Land', denn einreisen kann jeder mit einem Touristenvisum, und die Aufenthaltsgenehmigung ist auch leicht zu bekommen."

Heute ist es für diese Studenten praktisch unmöglich, das Studium voll durch Arbeit zu finanzieren.

Dieses Problem kennt auch ein Afghane, der vor zwei Jahren nach Österreich kam und ab Herbst Architektur studieren will. Da er keine Arbeitsbewilligung erhält, kann er nur unqualifizierte Tätigkeiten verrichten: er verkauft von halb sechs bis neun Uhr morgens Zeitungen. Die dadurch versäumten Vorlesungen verlängern natürlich

die Studierzeit in Österreich wesentlich.

Ein anderer Zeitungsverkäufer, der nach fünfzehnjährigem Studium seinen akademischen Titel endlich erreicht hat, konnte sich von seinem bisherigen „Beruf noch nicht trennen. Nach Hause zurückkehren will er nicht und so bietet der frisch gebackene Diplomkaufmann auch weiterhin Zeitungen an.

Außer akutem Geldmangel verhindern meist fehlende Sprachkenntnisse, ungenaue Zielvorstellungen sowie die Zulassungsbestimmungen ein rasches Fortkommen. So studieren von den ungefähr 400 derzeit in Österreich weilenden jungen Nigerianern tatsächlich nur 72.

Selbst wenn ein Student die Anfangsschwierigkeiten bewältigt, selbst wenn er nach jähre-, oft jahrzehntelangen Bemühungen sein Studium erfolgreich abschließt, zieht ihn kaum mehr etwas in sein Heimatland, das er während der ganzen Zeit meist nicht einmal gesehen hat, zurück. In Österreich hat er seinen Bekanntenkreis, und oft auch schon eine Österreicherin zur Frau.

Die schlechten Erfolgsaussichten für Studienanfänger aus Ländern der Dritten Welt bestätigt der Kulturrat und Direktor der Studienmission an der ägyptischen Botschaft in Wien, Frau Prof. Motaza Khater.

Während Regierungsstipendiaten nach erfolgreichem Abschluß praktisch vollzählig in ihr Heimatland zurückkehren, bleiben von den anderen Studenten sehr viele in Österreich.

Diesem Mißstand trägt auch das im Juli unterzeichnete Abkommen für Erziehung wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit zwischen Ägypten und Österreich Rechnung. Es sieht • vor, daß Ägypter unter Anleitung eines österreichischen Professors an Forschungsprojekten arbeiten, aber nur geringe Zeit in Österreich verbringen. Dabei soll auch der österreichische Professor die ägyptischen Einrichtungen auf seinem Fachgebiet besichtigen.

Dadurch wird der Informationsaustausch und das gegenseitige Kennenlernen gefördert und vom früheren Prinzip des „Nur-Hilfe-Gebens" seitens der Industrieländer abgegangen. Diese Art der Entwicklungshilfe dürfte für die Zukunft richtungweisend sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung