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Zentrale Ombudsfrau oder Partnerschaft

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„Vielfach hat uns die Komplexität der heutigen Gesellschaft dazu geführt, den Menschen Verantwortung abzunehmen und sie in die Anonymität des Staates zu verlagern. Gleichzeitig haben wir uns aber immer wieder auf den mündigen Bürger berufen, dem wir seine Mündigkeit abgepaßt und portioniert, womöglich vorgekaut, erklären“. (.Erhard Busek, Europäisches Forum Alpbach 1977.)

Unterrichtsminister Fred Sinowatz hat auf seiner Pressekonferenz im Presseclub Concordia die Aktion „Schule konkret“ präsentiert. Ab 1. Jänner 1978 wird allen Eltern, Lehrern und Schülern im Unterrichtsministerium eine „Servicestelle“ für Anfragen und Aufklärung zur Verfügung stehen. In die. EDV-Anlagen des Schulrechenzentrums werden alle Lehrpläne, alle Erlässe und Verordnungen eingespeichert, wobei diese auf Anfrage in praxisbezogenen, lesbaren Kurzfassungen angeboten werden. Gedacht ist an eine Art Informationsbank, um prompt und allgemeinverständlich informieren zu können. Unberücksicji- tigt bleiben dabei wie bisher Fragen der individuellen Studienberatung.

Diese Einrichtung unter der Leitung von Dr. Eveline Hönigsperger - neue „Schulombudsfrau“, Juristin mit Lehramtsprüfung für die AHS - wird als Koordinationsstelle einer ministeriellen Arbeitsgruppe fungieren, die von Sinowatz selbst sowie von Sektionschefs und Abteilungsleiter seines Ministeriums gebildet wird. Ferner sollen die Beamten in allen Bezirken Österreichs Bezirkssprechtage abhalten, Telefonsprechtage der einzelnen Sektionschefs werden in den Medien vorher angekündigt.

Auf die Frage, warum man bei der Besetzung der Arbeitsgruppe auf so viel „Autorität“ Wert lege, wies Sinowatz daraufhin, daß einerseits „Autorität“ zum Funktionieren der Serviceleistungen notwendig sei und anderseits der Minister und seine Ministe- rialbeamten in die Schulen gehen wollen, um Lehrern, Eltern und Schülern direkt Auskunft zu geben: „Wir wollen uns der Öffentlichkeit stellen.“

Warum bemächtigen sich der Minister und seine Spitzenbeamten eines Bereiches, der wohl eher Fachleuten aber vor allem denjenigen überlassen werden sollte, die unmittelbar betroffen sind? Warum wird diese „Servicestelle“ nicht mit Juristen, Pädagogen einerseits, mit Eltern, Lehrern, Schülern anderseits gemeinsam eingerichtet? Hier wäre die Möglichkeit echter Demokratie, basierend auf dem Subsidiaritätsprinzip, gegeben: Das Ministerium könnte die Voraussetzungen in organisatorischer wie finanzieller Hinsicht schaffen und die betroffenen Personen, Gruppen und Gemeinschaften, wie zum Beispiel Elternverein, Schüler- und Studentenvertretung, Lehrervertretung, würden bei der Beratung mitwirken, um unter fachlicher Anleitung ihre Probleme gemeinsam und auch in Eigenverantwortung zu bewältigen.

Dies wäre wohl auch ein Weg, die fortschreitende „Entpersonalisierung der Schule“ aufzuhalten, der um sich greifenden Verdrossenheit und Teilnahmslosigkeit von Eltern, Lehrern und Schülern entgegenzutreten. Die Gesellschaft muß die Möglichkeit zur Selbstgestaltung haben. Die Gefahr des totalen Staates - der für den Staatsbürger alle Probleme löst - besteht wohl vor allem im Verlust von Eigenverantwortung des einzelnen, im Verlust der Fähigkeit, Eigeninitiative zu entwickeln, sowie eigene Wege zur Problemlösung zu finden: Der Mensch wird apathisch, passiv, unselbständig, geht jeglicher Kreativität verlustig und verliert zunehmend Freude an Leistung und Gemeinschaft.

Im Gegensatz zu der Tendenz von Minister Sinowatz, auch die Information im schulischen Bereich zu bürokratisieren, bemüht sich die ÖVP um eine partnerschaftliche Lösung der anstehenden Probleme: „Nur im Zu-- sammenwirken von Eltern, Lehrern und Schülern wird die Schule aus einer Angelegenheit der öffentlichen Verwaltung zum positiven Element für die gesamte Gesellschaft“, heißt es im Arbeitsbehelf zur Bildungsdiskussion der Volkspartei.

Am 20. September startet die ÖVP ihre Bundesaktion „Schultage“. Mit Hilfe von Plakaten und Flugblättern geben die einzelnen Bezirksparteileitungen das Datum ihrer „Schultage“ der Öffentlichkeit bekannt und laden Eltern, Lehrer und Schüler zu Bera- tungs- und Informationsgesprächen ein. Unter Anleitung von Fachleuten sollen Programme zur Verbesserung und Reform im Bereich der Schule erarbeitet, sowie Beratung und Information gegeben werden - das Gespräch als Informationsbank!

Der Präsident des Landesschulrates für Oberösterreich, Prof. Dr. Karl Eckmayr, spricht sich ebenfalls dezidiert für die Partnerschaft Eltern- Lehrer-Schüler aus. Der Landesschulrat führt überregionale Schülerberatung sowie Bildungsberatung der Eltern durch. Es gibt ganztägige Beratungsveranstaltungen, die von Professoren der Hauptschule, der Allgemeinbildenden höheren Schule und Berufsbildenden höheren Schule, gemeinsam mit Schulpsychologen geleitet werden. Am Modell Oberösterreich wie an der bundesweiten Aktion der ÖVP zeigt sich der Weg zur Dezentralisierung und damit der Weg zu mehr „Lebbarkeit und Leistbarkeit“ der Gesellschaft.

Wohl zeigt sich die sozialistische Partei nach sieben Jahren Alleinregierung bemüht, dem Staatsbürger Hilfestellung zum besseren Verständnis der Schule und zur Bewältigung der verschiedenen Probleme in diesen Bereich zu geben, jedoch die Art und Weise dieser Serviceleistung läßt klar die ideologische Absicht erkennen: Sicherung des staatlichen Einflußes in allen Lebensbereichen bis hin zur persönlichen Kontaktnahme, bei gleichzeitiger Personalbesetzung durch Mitglieder der Partei: Ombudsfrau Hönigsperger ist Mitglied des Bundes Sozialistischer Akademiker (BSA).

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