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Zentrale für das Ostgeschäft

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Sozialer Friede, hohe Arbeitsmoral, niedri- ge Grundstückspreise und ein unerschöpf- liches Reservoir an Facharbeitern machten uns jahrelang zu einem geschätzten Inve- storenland. Doch jetzt werden die ehema- ligen Ostblockländer bei Betriebsansied- lungen zu einer harten Konkurrenz. Verliert Österreich an Terrain?

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Sozialer Friede, hohe Arbeitsmoral, niedri- ge Grundstückspreise und ein unerschöpf- liches Reservoir an Facharbeitern machten uns jahrelang zu einem geschätzten Inve- storenland. Doch jetzt werden die ehema- ligen Ostblockländer bei Betriebsansied- lungen zu einer harten Konkurrenz. Verliert Österreich an Terrain?

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Die angesehene konservative Wochenzeitung „TheEcono- mist" reiht in ihrer jüngsten Aus- gabe Österreich hinter der Bundes- republik als größten Gewinner des Europabooms in den neunziger Jahren. Die bedeutende Export- (31 Prozent) und Eigentums Verflech- tung mit der Bundesrepublik sowie der relativ hohe Exportanteil der ehemaligen Ostblockstaaten (zwölf Prozent) werden neben den relativ günstigen Arbeitskosten und der niedrigen Inflation als Triebkräfte der Prosperität genannt. Vor die- sem Hintergrund ist die Rolle der Ansiedlungspolitik für Österreich neu zu bewerten.

Grundsätzlich muß es Ziel jeder verantwortungsvollen Wirtschafts- politik sein, den Wohlstand aller Österreicher/innen zu erhöhen, wobei der Instrumenteneinsatz sozial und ökologisch verträglich erfolgen muß. Auch in Zukunft wird die Industrie der Nährboden von Wohlstand sein, sodaß der Indu- striepolitik im allgemeinen und der Industrieansiedlungspolitik im be- sonderen - wie erfolgreiche An- siedlungen in den siebziger und achtziger Jahren zeigten - weiter- hin eine bedeutende Rolle zukommt.

Trotzdem lassen die ungeheuer raschen strukturellen Änderungen der geopolitischen und ökonomi- schen Rahmenbedingungen Indu- strieansiedlungen in den neunziger Jahren in neuem Lichte erscheinen.

Die Herauskristallisierung drei- er großer Wirtschaftsblöcke, näm- lich der USA mit Kanada, Japan mit den Asean-Staaten sowie die EG mit den EFTA-Ländern - der sogenannten Triade - führt zu in- tensiven wechselseitigen Ver- schränkungen dieser Blöcke und löst große Direktinvestitionsströ- me aus. Betriebsansiedlungen und -Verlagerungen Kooperationen, strategische Allianzen und Über- nahmen stehen auf der Tagesord- nung.

Für Österreich fällt in diesem Prozeß hin und wieder eine Ansied- lung oder ein strategisches Joint- Venture ab (jüngste Beispiele sind das Joint-Venture zwischen Chrys- ler und Steyr-Fahrzeugtechnik oder die Ansiedlung Tsuzuki, einer Spin- nerei aus Japan).

Bedeutsamer für die Ansiedlungs- politik ist aber die Neuordnung Europas. Drei wesentliche Ereig- nisse werden Europa in den neunziger Jahren zum führen- den Weltwirtschaftsblock machen:

• die Schaffung des EG-Bin- nenmarktes,

• das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten und schließlich

• die Emanzipation Osteuro- pas - einschließlich der So- wjetunion - und deren Über- gang zur Sozialen (gelenkten) Marktwirtschaft.

Für den Industriestandort Öster- reich bedeutet dies den Wegfall der ehemals toten Staatsgrenzen, die einen Anteil von 40 Prozent der Gesamtgrenze Österreichs umfaß- te. Wir rücken damit aus der Rand- lage zur EG in die Zentrallage Europas. 320 Millionen zahlungs- kräftigen Konsumenten im EG- Raum stehen 430 Millionen relativ kaufkraftarme Konsumenten Ost- europas gegenüber, insgesamt ein riesiger Markt mit großen Entwick- lungsmöglichkeiten. Österreich liegt im Schnittpunkt beider Blök- ke, quasi als Drehscheibe, die mit neuen Aufgaben zu füllen ist.

Welche Auswirkung der Neuord- nung Europas sind nun für die Ansiedlungspolitik zu erwarten?

Kommt es für Österreich zu einer Konkurrenz mit den süd- und ost- europäischen Ländern?

Unser Ziel muß weiterhin sein, keine wahllose Ansiedlungspolitik zu betreiben. Gefragt sind eine se- lektive, an Kriterien wie Wertschö- pfimg, Einkommenshöhe, Qualität der Arbeit, forschungs- und ent- wicklungsintensive Produktion und Produkte sowie eine an hoch- wertigen Unternehmensfunktio- nen orientierte Politik. Die Ein- haltung dieser Kriterien verringert zwar das Ansiedlungspotential, entspricht aber unserer Standort- qualität.

Politische Stabilität, ein gutes soziales Klima, die günstige Lage in Europa, ein gutes Facharbeiter- potential zu relativ günstigen Ko- sten sowie eine gute Infrastruktur und eine am internationalen Ni- veau ausgerichtete finanzielle In- vestitionsförderung sind Standort- vorteile, die eine echte Konkur- renz kaum befürchten lassen. Jüng- ste Beispiele wie Grundig, Hewlett Packard zeigen vielmehr, daß ge- rade Österreich als „regionales Headquarter" für Osteuropa ver- mehrt in Anspruch genommen wird.

Gibt es einen steigenden Harmo- nisierungsdruck durch die EG?

Die intensive Teilnahme am europäischen Integrationspro- zeß - EG-Binnenmarkt und EWR (Europäischer Wirt- schaftsraum) - zwingt uns ver- stärkt, auf die Förderungsricht- linien der EG bei Ansiedlungen Rücksicht zu nehmen. Um den Wettbewerbsbedingungen zu entsprechen, müssen Förderun- gen EG-konform abgewickelt werden. Zweifellos wird damit dem „Förderungsnomadentum" ein entscheidender Riegel vor- geschoben. Andererseits wird damit auch den EG-Lobbyisten Tür und Tor für unlautere Interventio- nen geöffnet.

Wir erleben gerade derzeit ein diesbezügliches Beispiel bei Chrys- ler-SFT. Die EG erweist sich hier weniger als Pool der Liberalisie- rung, vielmehr als „Festung" Euro- pas, wobei es darum geht, „Ein- dringlinge" aus Übersee abzuweh- ren.

Besteht bei den neuen Ansiedlun- gen auch Budget- und Sozialkon- formität?

Marktorientierte Ansiedlungen aus Übersee sind in der Regel zu ka- pitalintensiv, um in Europa wettbe- werbsfähig zu sein. Zehn Millionen Investitionsvolumen pro Arbeits- platz sind keine Ausnahme, son- dern eher die Regel. Dieser hohe Kapitalisierungsgrad bedeutet bei proportionaler Förderung eine deut- liche Zunahme der Budgetmittel pro Arbeitsplatz bei gleichzeitigem Rückgang der positiven volkswirt- schaftlichen Effekte wie Gesamt- beschäftigung, volkswirtschaftli- ches Einkommen, Multiplikatoref- fekte, finanzwirtschaftliche Renta- bilität für öffentliche Investitions- stützungen und so weiter.

Kapitalintensive Produktionen üben aber auch einen starken Druck auf die Sozialpolitik aus. Einerseits bewirkt die Strategie, rund um die Uhr zu produzieren, um eine ent- sprechende Kapitalproduktivität zu erreichen, einen Druck auf beste- hende Arbeitszeitregelungen (zum

Beispiel will die vorhin erwähnte Firma Tsuzuki sechs Tage rund um die Uhr produzieren!). Auf der anderen Seite sind die Sozial-Ab- gaben gemessen an der Wertschöp- fung unterproportional, das heißt, die Sicherung des Wohlstandes ist dauerhaft nicht mehr gewährlei- stet. Die Forderung nach Einfüh- rung der Wertschöpfungsabgabe wird bei solchen Produktionen an Intensität gewinnen.

Was bleibt für ein Ansiedlungs- ziel? Wir werden weiter eine selek- tive Ansiedlungspolitik anhand normierter Kriterien betreiben. Mehr Wert wird aber in Richtung Festlegung strategischer Ansied- lungsfelder gelegt. Während in den achtziger Jahren der Schwerpunkt in der KFZ-Zulieferindustrie lag und zum Aufbau einer leistungs- starken Zulieferindustrie führte, sind für die neunziger Jahre die Bereiche Elektronik, Informations- und Telekommunikation sowie hochwertiger Maschinenbau und Pharmazeutika in den Vordergrund zu stellen.

Selektive Ansiedlungen, strate- gische Allianzen, Kooperationen und Übernahmen werden Öster- reich, unterstützt durch eine inten- sive Forschungs- und Entwick- lungspolitik, im Konzert der wohl- habenden Nationen in den neunzi- ger Jahren weiter nach oben kata- pultieren.

Der Autor ist Ministersekretär im Bundesmi- nisterium für öffentliche Wirtschaft und Ver- kehr.

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