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Zentrum mit Strahlkraft

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Ohne Visionen ist politisches Handeln und Gestalten nicht denkbar. Die Idee einer eigenen niederösterreichischen Landeshauptstadt ist so eine Vision. Seit der Abtrennung Wiens im Jahr 1921 wird immer wieder von ihrer Realisierung gesprochen. Denn das Fehlen eines eigenen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zentrums ist stets als Mangel empfunden worden.

Soll das Land noch vor dem Jahr 2000 eine Landeshauptstadt erhalten, müssen die Entschei-

düngen dafür noch in dieser Legislaturperiode fallen. Daher habe ich die Diskussion über dieses Thema jetzt — knapp nach den Landtagswahlen — in Gang gebracht. Daher habe ich jetzt eine Projektgruppe eingesetzt, die den Politikern — aber auch der Bevölkerung — noch heuer Entscheidungsgrundlagen liefern soll: Brauchen wir eine Landeshauptstadt? Ist das Projekt finanzierbar? In welchem Raum soll die neue Hauptstadt liegen? Welche Aufgaben muß sie erfüllen?

Bis jetzt ist ja Wien als riesiger Ballungsraum der strukturelle Mittelpunkt von Niederösterreich geblieben. Das hat sicher maßgeblich dazu beigetragen, daß sich gerade im österreichischen Kernland nur sehr zögernd ein Landesbewußtsein entwickelt hat. Als Landeshauptmann habe ich es mir daher zur Aufgabe gestellt, das Selbstbewußtsein und Landesbewußtsein der Niederösterreicher zu heben.

Das Fehlen einer eigenen Landeshauptstadt hat dazu geführt, daß sich gerade im größten Bundesland wesentliche Strukturen nicht herausgebildet haben.

So hat Niederösterreich zum Beispiel keine eigene Tageszeitung. Uns fehlt auch ein eigenes Landestheater. Und während in allen anderen Bundesländern die ORF-Landesstudios in eigenen Prunkburgen untergebracht worden sind, ist Niederösterreich bescheidener Untermieter in der Wiener Argentinierstraße geblieben.

Aber auch andere zentrale Einrichtungen fehlen in Niederösterreich: Wir haben keine Finanzlandesdirektion, keine Postdirektion und auch kein eigenes Landesgericht.

Und noch ein Aspekt, der in Zeiten wie diesen wichtig ist: Durch das Fehlen einer eigenen Hauptstadt gehen dem Land jährlich Hunderte Millionen Schilling verloren, für die es über den Finanzausgleich keinen Ersatz gibt.

Es steht sicher "außer Streit, daß ein so großes Projekt für die Wirtschaft des Landes einen enormen Impuls auslösen würde. Etwa 3500 Arbeitsplätze, die wir derzeit in Wien absichern, würden direkt in Niederösterreich zum Tragen kommen.

Das notwendige Baugeschehen zur Errichtung der neuen Metropole könnte der auftragsschwa-

chen Bauwirtschaft zu einer langfristigen Konjunktur verhelfen.

Das neue Zentrum würde eine Reihe anderer zentraler Stellen aus Wien abziehen. Das bedeutet noch mehr Arbeitsplätze und noch mehr Baugeschehen in Niederösterreich. Und die Steuerleistung der Niederösterreicher im neuen Zentrum würde endlich dem eigenen Bundesland zugute kommen.

Auf diesem Wege würde sich die Landeshauptstadt, längerfristig gesehen, eigentlich selber finanzieren. Die Milliarden, die man jetzt vorneweg aufwenden müßte, kämen über den Steuerschilling und über das verstärkte Wirtschaftsgeschehen wieder herein.

Ich glaube auch, daß wir mit so einem Jahrhundertprojekt gar nicht den Landeshaushalt belasten dürften. Land und auch die Gemeinden müssen in der Lage

bleiben, im gleichen Umfang wie bisher ihren Aufgaben nachzukommen. Ich würde es daher für sinnvoll halten, für das Projekt Landeshauptstadt eine geeignete Form der Sonderfinanzierung zu finden.

Aber die Landeshauptstadt soll nicht nur ein zusätzlicher wirtschaftlicher und politischer Schwerpunkt, sie soll vor allem auch ein geistiges und kulturelles Zentrum sein. Ich denke hier an das eigene Landestheater, an das eigene Konservatorium, an eine Universität (vielleicht im Bereich Umweltwissenschaften) und an wissenschaftliche Institute diverser Wiener Hochschulen.

Sicher brauchen wir keine Prestige-Hauptstadt und auch kein Konkurrenzzentrum zu Wien. Vielmehr geht es um ein Zentrum mit geistiger, kultureller und politischer Strahlkraft, das den ganzen niederösterreichischen Raum abdeckt und den Niederösterreichern noch mehr Identität, Eigenständigkeit und Landesbewußtsein schenken kann.

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