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Zerplatzte Sprechblasen

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Ideologisierte Sprache verschleiert und verzerrt Wirklichkeit. Am Fall Hainburg wird deutlich sichtbar: Es stehen sich konkurrierende Realitäten gegenüber.

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Ideologisierte Sprache verschleiert und verzerrt Wirklichkeit. Am Fall Hainburg wird deutlich sichtbar: Es stehen sich konkurrierende Realitäten gegenüber.

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Aubesetzer, Demonstranten, Kraftwerksgegner, Umweltschützer, Hainburggegner oder Umweltaktivisten. Wer wären die Menschen, die sich vor mehr als einem Jahr in der Hainburger Au versammelt hatten, um die Au zu retten? Oder wie andere meinten: Um anarchische Zustände in der Republik Österreich zu forcieren?

Jeder im weitesten Sinn Betei-

ligte zimmerte sich sein Bild von den Geschehnissen zurecht. Das Fazit: Den Fall Hainburg gibt es nicht.

Es gibt viele Realitäten, von den Medien, den Betroffenen und den geistigen Führern gemacht, konstatiert eine Untersuchung, die ein Jahr nach Hainburg die babylonische Sprachverwirrung seziert, aber schon im Titel über den konkreten Anlaßfall hinausweist: „Die Sprache der .Mächtigen' und .Ohnmächtigen': Der Fall Hainburg".

Das Autorenteam (Univ.-Prof. Ruth Wodak, Florian Menz, Benedikt Lutz und Helmut Gruber) versucht mit einer sozio- und textlinguistischen Analyse die Vernebelung der Realität durch Sprache an der konkreten Auseinandersetzung in und um Hainburg deutlich zu machen — und damit gleichzeitig zu immunisieren: „Sprachkritik und Reflexion über den Sprachgebrauch in der Politik als ständige Wachsamkeit des Menschen gegenüber seiner Sprache ist das beste Mittel, (Sprach)manipulation zu durchschauen und sie — in einem zweiten Schritt — unwirksam zu machen."

Bei dieser Kritik an der politischen Sprache stand nichtsdesto-trotz ein Politiker Pate. Der Wiener Vizebürgermeister Erhard Busek, der im Vorwort das Verhältnis von Sprache und Politik als „besonders suspekt" bezeichnet. Und die Quadratur des Kreises fordert: „Politik muß gegen jede Verfestigung und Verschleierung der Sprache kämpfen, gegen Entleerung, Verflüchtigung und Wirklichkeitsverlust der Sprache."

Da Politik aber das Ringen um Macht bedeutet, wo Ideologie gegen Ideologie antritt, erleidet Sprache Realitätsverlust. Mit ideologisierter Sprache ist es nicht möglich, wertfrei Wirklichkeit zu beschreiben. Ob jetzt Auschützer am Werk waren oder Kraftwerksgegner, das ist vom Standpunkt des Sprechers abhängig.

Ob es den „Mächtigen" gelingt, mit ihrer Sprachversion durchzukommen, Realitäten in ihrem Sinn zu beschreiben, das hängt somit nicht zuletzt vom Medienkonsumenten ab, der mehr oder weniger kritisch die vorgezeichnete „Realität" zur Kenntnis nimmt.

Wie verschieden die Realitäten sein können, dafür bietet Hainburg genügend Anschauungsmaterial. Etwa an dem einfachen Beispiel der Verletzung einer Frau bei den Auseinandersetzungen. Für die „Salzburger Nachrichten" und das „Neue Volksblatt" existiert der Vorfall gar nicht. „Die Presse" meldet zwar den Vorfall, allerdings ohne ihm besondere Bedeutung beizumessen: „Eine 70jährige Frau fiel jedoch nieder, erlitt eine Prellung des Arms und wurde sicherheitshalber ins Spital gebracht."

Die Realität, die die „Kronen-

zeitung" entwirft, sieht hingegen anders aus. Statt einer Prellung des Armes sind zwei Rippen gebrochen, als Schuldiger wird ein Gendarm genannt, der die Frau hinuntergestoßen und getreten hat. Dem „Ereignis" wird eine Seite mit Namen, Foto und Aussagen der „Naturschützerin" - so die „Krone"-Diktion — gewidmet.

Unterschiedliche Szenarien entwirft auch der ORF, wobei es der Untersuchung gelingt, einen Wandel in der Berichterstattung festzustellen, nämlich „daß die Berichterstattung anfangs eher pro-Besetzer war und dann zunehmend .zahmer' wurde". War zu Beginn der Hainburg-Auseinandersetzungen der Ausdruck „Umweltschützer" noch häufig, wurde später das negativ besetzte Wort „Demonstranten" in den Fernsehnachrichten dominant.

ORF-Berichten aus der Hainburger Au kann die Studie eben-

falls eine Tendenz nachweisen. Wird noch am 10. Dezember gefühlsmäßige Nähe zu den „friedlichen Demonstranten" spürbar und stellt sich das Gefühl von Kriegsberichterstattung ein, wobei „die Macht des Staates per Lautsprecher und Gummiknüppel" präsent ist, so wirkt der Beitrag des gleichen Redakteurs am 19. Dezember, zu einer Zeit, wo die Auseinandersetzungen bereits eskalierten, deutlich distanzierter. Weniger und leiserer Originalton, keine direkten Statements vom Schauplatz der Auseinandersetzungen und anderes mehr lassen von der Dramatik der Ereignisse nur mehr wenig spürbar werden.

Die Schlußfolgerung der Studie: „Ob nun diese deutlichen Unterschiede durch .Druck von oben' erklärbar sind oder nicht: Irgend etwas muß passiert sein, daß ein Redakteur seine Berichterstattung so stark ändert."

Die Medien gehörten jedenfalls zu den Mächtigen in der Auseinandersetzung, die je nach Standort Wirklichkeiten geschaffen, dramatisiert oder abgewiegelt haben, Feindbilder aufbauten oder Sympathien weckten. Der Unterschied zu Politikern, die sich ähnlicher Strategien bedienten, ist dabei gering.

Beispielsweise benutzte Bundeskanzler Fred Sinowatz die Strategie des Schwarz-Weiß-Malens, als er via „Presse" erklärte: „Die Exekutive sei bisher ohne Taktik vorgegangen, während die Aubesetzer militärische Strategien entwickelt hätten."

Innenminister Karl Blecha bediente sich der Strategie des „Aufblasens" von Gegner, als er der „Arbeiterzeitung" erklärte, „daß es kein Absinken in einen Polizeistaat gibt, aber auch kein Versinken in die Anarchie".

In Verbindung mit der Verführungsstrategie, die neben einem Umsturzversuch von „Kronenzei-tungs"-Eigentümer Hans Di-chand ausländische und radikale Drahtzieher hinter die Aubeset-zung stellte, wollte die SPÖ Pluspunkte sammeln. „Gegen einen mächtigen, bösen Feind kann sie bei der Lösung einer Krise mehr Ehre und Ansehen holen, als wenn sie schon Schwierigkeiten beim Umgang mit ein paar Natur schützern zeigt", legen die Autoren der Studie die Absicht bloß.

Die Schaffung mythischer Referenzgruppen etwa nach dem Muster: „... gestand ein rangho-

her Beamter", mit der unüberprüfbare Legitimation geschaffen wird, ist vom Medienkonsumenten ebenso mit Vorsicht zu genießen wie der Gebrauch von Solidarisierungsstrategien, mit denen Journalisten und Politiker von der „Wahrheit" des eigenen Standpunktes überzeugen wollen.

In der „Kronenzeitung" lieferte dazu Ernst Trost ein Beispiel: „Und es entsteht der gefährliche Gegensatz zwischen .denen da oben' und .uns da unten', den es in einer Demokratie nie geben dürfte."

Aber nicht einmal dem um Seriosität bemühten Leitartikler sollte man unkritisch vertrauen. Dem Lingens-Leitartikel im „profil" zum Thema Hainburger Au bescheinigen die Autoren der Studie drei Eigenarten: Einen Kult mit der persönlichen Meinung, der die Glaubwürdigkeit der Argumente erhöhen soll, seine Attitüde, die großen Zusammenhänge als einziger erkennen zu können, und die Verwendung klassischer rhetorischer Elemente. /

Gerade in diesem Zusammenhang stellen die Autoren fest, daß Lingens „die (potentiellen) Gegenargumente von Anfang an in einer Weise darstellt, daß sie nicht wirklich ernst genommen werden können. Seine Bemühung um Ausgleich und .Abwägung' von Argumenten bzw. Werten bleibt daher eine scheinbare."

Sprachverführer lauern somit überall. Auch das hat Hainburg deutlich gemacht.

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