6812615-1972_43_04.jpg
Digital In Arbeit

Zerronnene Idylle

19451960198020002020

Die Idylle des österreichischen Kleinstaates als „Insel der Seligen“ ist zerronnen: Trotz des gelungenen Vertragsabschlusses mit der Europäischen Gemeinschaft hängt der außenpolitische Himmel Österreichs nicht voller Geigen, sondern vielmehr voller Probleme.

19451960198020002020

Die Idylle des österreichischen Kleinstaates als „Insel der Seligen“ ist zerronnen: Trotz des gelungenen Vertragsabschlusses mit der Europäischen Gemeinschaft hängt der außenpolitische Himmel Österreichs nicht voller Geigen, sondern vielmehr voller Probleme.

Werbung
Werbung
Werbung

Denn just zu einem Zeitpunkt, zu dem man den Erfolg bei der europäischen Integration in vollen Zügen genießen wollte, sammeln sich am Horizont Gewitterwolken: Der Kärntner „Ortstafelkrieg“ droht außenpolitische Konsequenzen zu naben, das Verhältnis zur CSSR ist getrübt, Moskau sucht — trotz einer freundlichen EWG-Note an österreich — noch immer nach einem Prügelknaben, Ostberlin drängt immer mehr auf eine Anerkennung und nicht zuletzt bringt die europäische Sicherheitskonferenz für den neutralen Staat eine Fülle neuer Probleme.

Während Außenminister Kirchschläger als möglicher Bundespräsidentschaftsnachfolger genannt wird, gärt es in Kärnten: Das im Parlament beschlossene Ortstafelgesetz, mit dem ein Teil des Staatsvertrages erfüllt werden sollte, könnte nicht nur innen-, sondern auch außenpolitische Konsequenzen nach sich ziehen. Die slowenische Minderheit will sogar ihr Recht auf internationaler Ebene suchen. Während sich Bundeskanzler Kreisky auf die „schweigende Mehrheit“ beruft und Kirch-schläger schweigt, fürchtet der ÖVP-Außenpolitlker Karasek, daß der durch das SP-Gesetz provozierte „Ortstafelkrieg“ „Österreich auch außenpolitisch in ein schiefes Licht bringt“. In diesem Zusammenhang verweist der frühere Raab-Sekretär darauf, daß „in diesen Fragen einst eine Art gemeinsamer Außenpolitik betrieben wurde“, die jetzt die Regierung „in selbstherrlicher Verkennung der Tragweite ihres Vorgehens“ verlassen habe.

Nicht zuletzt aber findet die parlamentarische Opposition auch jenes „Haar in der Suppe“, das sich nicht lange hinwegleugnen läßt: Seit Amtsantritt der Regierung Kreisky ist das österreichisch-jugoslawische Verhältnis getrübt — nicht nur jetzt durch den Konflikt in Kärnten, sondern schon vorher durch dunkle Anschuldigungen und Erklärungen über Ustascha-Gruppen in Österreich. Und bis heute hat die Transparenz der Regierung noch nicht soweit gereicht, daß auch die Bevölkerung Klarheit über den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe bekommen hätte.

Nach wie vor ist auch das österreichische Verhältnis mit der CSSR nach dem Grenzzwischenfall in Dra-senhefen gespannt: Nachdem der österreichische Außenminister zwar anfänglich recht kräftig auf den Tisch der öffentlichen Meinung geschlagen hat, ist es heute aber immer noch unklar, ■ ob die warnenden Worte jenseits der Grenze auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Sieht man davon ab, daß Dr. Kirchschläger bei seinem letzten New-York-Aufenthalt diesbezügliche Gespräche geführt hat, über deren Inhalt er sich vorderhand noch ausschweigt, steht.nur fest, daß der Gekidnappte bis zum heutigen Tag — trotz aller Forderungen — vom Prager Regime festgehalten wird; er ist frei, allerdings in der CSSR, meint Kirchschläger lakonisch.

Trotz des freundlichen Österreich-Sowjetischen Notenwechsels in der EWG-Frage steht noch immer die

Moskau-Rute im Fenster: Zwar vermißt man im Moskauer Schreiben jene verbale Aggressivität früherer Noten — beispielsweise Generalangriffe gegen die EWG oder die NATO —, trotzdem sollte man nicht übersehen, daß Österreich der einzige neutrale Staat ist, der sich mit sowjetischen Bedenken herumschlagen muß. Die Russen dokumentierten mit ihren Worten ihre Abneigung gegen jede “neue Gruppen- und Blockbildung in Europa.

Nicht der Osten, vielmehr die skandinavischen Staaten drängen auf eine Anerkennung der DDR, wobei auch Ost-Berlin mit erhobenem Zeigefinger auf eine Änderung des Verhältnisses hinweist. Nachdem nun auch die Schweiz 'bereits eine Handelsvertretung mit konsularischen Funktionen mit Ost-Berlin aufrecht erhält, wird bei allen Gesprächen mit Österreich eine diesbezügliche „Verbesserung“ amigeregt. „Grünes Licht“ für eine Anerkennung dürfte aber der Abschluß des Grundvertrages sein, der die bisherige .“'Argumentation, eine Anerkennung sei dann möglich, wenn beide deutschen Staaten in die UNO aufgenommen werden, überholt.

Die innerdeutschen Verhandlungen dürften aber auch den Werdegang der europäischen Sicherheitskonferenz maßgeblich beeinflussen, deren Vorbereitungskonierenz am 22. November in Helsinki über die Bühne gehen soll. Aufgabe dieser multinationalen Tagung ist es, die Prozedur und die Tagesordnung vorzubereiten. Während London und Washington dem Unternehmen noch relativ abwartend gegenüberstehen, versucht Moskau die Idee nur auf die wirtschaftlich-technische Basis zu reduzieren. Österreich spielt in diesem Konzert nur eine untergeordnete Rolle. Immerhin ist es aber Bundeskanzler Kreisky gelungen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, als er für die Sicherheitskonferenz auch die Behandlung der Nahostfrage zur Diskussion stellte. Das Echo aus dem arabischen Raum war dementsprechend bejahend und lebhaft, vor allem deshalb, weil man sich dabei propagandistische Effekte erhofft. Israel hingegen reagierte auf diesen Vorschlag eher negativ. Karasek und die ÖVP wollen, daß Österreich einen Tagesordnungspunkt unterstützt, der die Freizügigkeit von Menschen, Ideen und Meinungen behandelt. Gespräche mit den Oststaaten haben bereits eine gewisse Diskussionsbereitschaft erkennen lassen, Kirchschläger, als Außenminister konnte sich jedoch noch nicht dafür erwärmen.

Der österreichische Weg „nach Europa“ ist also mit etlichen Stolpersteinen gepflastert. Nicht zuletzt aber wird der Ruf Österreichs in nächster Zeit davon abhängen, wie es sich mit den Meinen Problemen herumschlägt. Von einer Insel der Seligen kann allerdings keine Rede sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung