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Zerrspiegel mit Sprüngen
Dieses Buch hält in doppelter Hinsicht nicht, was sein Titel verspricht. Erstens befassen sich die Kapitel eins und zwei überhaupt nicht direkt mit Literatur; das Kapitel drei bleibt den Themen Kulturkritik und Zeitkritik vorbehalten (Beispiele von Autoren werden wenigstens erwähnt); nur die Kapitel vier und fünf behandeln wirklich und direkt Literatur. Im ersten Kapitel geht es nur um politische Parteien und um Parteipropaganda. Noch ärger ist die Art, in der der Autor mit den Begriffen „Kontinuität“ und „Vergangenheitsbewältigung“ umgeht. Kontinuität wird nicht im allgemeinen Sinn auf jene geistige Traditionsbewußtheit bezogen, welche in der österreichischen Literatur durch viele Jahrhunderte stärker ausgeprägt war als etwa in der deutschen, sondern auf das tagespolitische Problem der Kontinuität der Nazi-Literatur reduziert und wenn es an einem literarischen Beispiel im weitesten Sinn europäischer Kulturtradition aufscheint, als „Bollwerk-Mentalität“ abqualifiziert.
Die Auflistung österreichischer NS-Autoren, die an sich interessant hätte sein können, umfaßt 151 Namen und enthält, selbst wenn man zweit- und drittrangige Autoren einberechnet, höchstens zu einem Drittel Namen, die nicht nur schlechten journalistischen Eintagewert besitzen. Zudem ist die Liste auf solcher Grundlage erstellt, daß sie zwar den KZ-Häftling Friedrich von Gagern und die Exilautorin Paula Ludwig einschließt, dafür aber den illegalen Parteigenossen Heimito von Doderer außer acht läßt.
Die eigentlichen literarischen Kapitel vier und fünf befassen sich mit dem Thema „Vergangenheitsbewältigung“, worunter der Autor die Befassung der österreichischen Literatur nach 1945 mit der Geschichte der Jahre 1934-45 versteht. Er bespricht fünfzehn Romane, nennt noch einige Titel und konzediert, daß es noch ein paar weitere Titel geben könnte. Er klagt die österreichische Literatur an, daß sie nicht so tüchtig und brav wie die deutsche sei. Das haben wir vor 19 3 8 schon einmal mit umgekehrtem Vorzeichen gehabt. Die Anklage geht aber zumeist nach hinten los. So etwa, wenn er Erika Mitt er er mit ihrem Roman „Alle unsere Spiele“ in eine Fußnote verweist und sie fälschlich als ehemalige NS-Auto-rin verleumdet. Oder wenn er klagt, daß die österreichischen Exilautoren vernachlässigt werden, aber die großen Exilromane der „Vergangenheitsbewältigung“ wie etwa H. G. Adlers „Panorama“, Hermann Brochs „Die Schuldlosen“, Man es Sperbers „Wie eine Träne im Ozean“, Friedrich Torbergs „Hier bin ich, mein Vater“ mit keinem einzigen Wort erwähnt.
Seine Auswahl der fünfzehn besprochenen Romane konzentriert sich mit wenigen Ausnahmen überhaupt auf die literarisch zweitrangigen. Die vergangenheitsbewälti-genden Romane von Otto F. Beer, Heimito von Doderer, Jeannie Ebner, Wolfgang Georg Fischer, Friedrich Heer, Robert Neumann, Alexander Sacher-Masoch, György Se-bestyeh, Adrienne Thomas und Ilse Tieisch scheint er nicht zu kennen. Er nennt zwar den Namen Herbert Eisenreich, nicht aber dessen „Abgelegte Zeit“, den Namen Gerhard Fritsch, nicht aber dessen „Fasching“, den Namen Alois Vogel, nicht aber dessen „Totale Verdunkelung“. Die große klassische Anthologie der Vergangenheitsbe-wältiguhg durch die österreichische Lyrik, Rudolf Feimayers „Dein Herz ist Deine Heimat“ wird mit keinem Wort erwähnt und die Dramatik bleibt vollends ein fortgestoßenes Stiefkind. Von den politischen Erinnerungsbüchern von Franz Theodor Csokor bis Artur Rosenberg hat der Autor offenkundig niemals gehört.
Obwohl das eigentliche Spezialgebiet des Autors Parteifotos und Parteiplakate zu sein scheinen, gelingt es ihm sogar hier, bei einer Bildbeschriftung das Wiener Parlament mit dem Justizpalast zu verwechseln. Auf dem Gebiet der Literatur ist aber das Ausmaß seiner Kenntnislosigkeit, Naivität und Konfusion so groß, daß das Buch leider mehr schadet als nützt.
Der Autor ist Professor für Germanistik an der Universität New York.
KONTINUITÄT UND VERCANGENHEITS-BEWÄLTIGUNG1N DER ÖSTERREICHISCHEN LITERATUR NACH 1945. Von Joseph McVeigh. Wilhelm Braumüller Verlag, Wien 1989.264 Sei-tan, öS 380^
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