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Zeuge Goebbels

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Glaubt man den spärlichen Hinweisen in ihren Memoiren, hatten die deutschen Theaterleute mit Hitler nichts im Sinn. Mußten eben mitwirken an den Propagandafilmen. Und Minister Goebbels die Hand drücken bei offiziellen Anlässen, deren es so viele gab.

1987 erschienen die handschriftlichen Goebbels-Tagebücher, soweit sie sichergestellt wurden und Herausgeberin Elke Fröhlich die schwierige Handschrift entziffern konnte. Dazu ein Register. Und nun filzte das In-Magazin der deutschen Mimenwelt, „Theater heute“, die vier dicken B ände nach Stellen Uber das Theater. Man könnte manches gegen solch indiskretes Vorgehen einwenden - hätten Deutsche und Österreicher und so viele ihrer „Kulturschaffenden“ die Kurve von einem (im letzteren Fall umworbenen und gehätschelten) Dasein im NS-Reich zum weniger „glanzvollen“ Alltag der Nachkriegszeit nicht gar so glatt gekratzt.

So aber ist das Ergebnis Material zu einem Kapitel Zeitgeschichte, über das man nach dem Krieg wohlweislich eilig hinwegschwieg, auch

nach dem Krieg hat man sie ja gebraucht, die Mimen. Und es liefert die Erklärung für „Entgleisungen“, die keine sind, sondern erkennen lassen, wo tatsächlich der Zugfährt.

Ein Prachtstück dieser Art war Klaus-Jürgen Wussows Interview-Spruch von den Schauspielern aus der Zeit des Dritten Reiches, die er nach dem Krieg noch habe kennenlernen dürfen: „Da war dieser Anstand, diese Sauberkeit, die heute dem Theater fehlt“. Natürlich zitiert „Theater heute“ nichtdieöster-reichischen Primärquellen, „Basta“, wo das erschien, oder die FURCHE, die es kommentierte, sondern die „Basta“ und FURCHE zitierende „Frankfurter Allgemeine“.

Wir interpretierten Wussows sauberen Spruch als Indiz für die Anpassungsbereitschaft der Publikumslieblinge (FURCHE 46/1985). Die Memoiren-Zitate in „Theater heute“ beweisen, daß oft mehr dahinter steckt: Pure Nostalgie. Beliebte Schauspieler waren Großverdiener und durften sich in der Gunst Goebbels', Goerings, Hitlers sonnen, die genau wußten, welch wertvolles Propagandainstrument ihre Teegesellschaften für die Künstler waren.

Gustav Knuth wärmte die Erinnerung an seine Berliner Jahre von 1936bis 1945 auch 1974 „nochheute das Herz“. Freilich: Derselbe Gustav Knuth ging 1941 zum Begräbnis des Schauspielers Joachim Gottschalk, der mit seiner jüdischenFrau Selbstmord begangen hatte - obwohl die Teilnahme für unerwünscht erklärt worden war.

Inder Erinnerung von Karl Schön-böck ist das NS-Berlin auch noch 1988 „eigentlich ein einziges Ensemble“, dessen „Zusammengehörigkeitsgefühl... trotz Konkurrenzkampf und persönlichem Karrierestreben, trotz Neid und Mißgunst alle verband, die dort lebten und arbeiteten“ und bei der vielen Arbeit vergaßen, den Gruß eines Ver-

femten zu erwidern. Ihresgleichen verdankt Schwarzwald-Doktor Wussow wohl sein Bild der NS-Zeit.Nach dem Krieg mußten neue Rollen gelernt werden, die NS-Zeit verblaßte zur Erinnerung an eine der vielen, die man gespielt hatte. Nun aber lassen diese Tagebücher erkennen, wie eifrig man sich um die Gunst des Ministers bemühte. Wie manche intrigierten. Wie sie sich bei ihm beschwerten, wenn ihre Rollen nicht gut genug waren. Wie oft er intervenierte. Neue Fragen tauchen auf.

Da wären die Eintragungen, wonach im Herbst 1937 in Paris Goebbels-Sendbote Heinz Hilpert mit Marlene Dietrich über deren Rückkehr verhandelt haben soll. Ob sie tatsächlich mit dem Gedanken spielte? Ob Hilpert die unverblümte Abfuhr, von der in den Dietrich-Erinnerungen die Rede ist, als halbe Zusage verstand?

Interessanter wäre: Warum hat derselbe Hilpert, der bald darauf das Theater in der Josef stadt übernahm und nach 1945 Direktor in Göttingen wurde, Goebbels am 21. Februar 1940 von einer kommunistischen Zelle im Deutschen Theater berichtet? Mußte er, war die Sache schon aufgeflogen? (1944 wurde er selbst denunziert und in die Rüstungsfabrik abkommandiert.)

Goebbels einen Tag später.: „Kriminaler Spahn berichtet über die kommunistische Zelle im Deutschen Theater. Die war nur klein und betraf eigentlich das Theater überhaupt nicht. Ich gebe Hilpert genaue Verhaltensmaßregeln, damit der Verdacht und die Depression vom Ensemble genommen wird.“

Gespenstische Episode: „Sie muß Farbe bekennen. Dir Jude, sagt sie, ist längst abgemeldet. Ich halte ihr auch die Unmöglichkeit eines solchen Zustandes vor. Sie sieht das ein. Ganz... große Pläne hat sie“ schreibt Goebbels am 1. Oktober 1935 in sein Tagebuch. 1988 im Burgtheater fällt dieselbe Marianne Hoppe am Ende von Thomas Bernhards „Heldenplatz“ als Witwe des jüdischen Professors, gepeinigt vom Nazilärm des Jahres 1938, den nur sie hört, mit dem Kopf auf den Tisch.

Das große Vergessen des Theaters ist nur im Zusammenhang mit dem generellen großen Vergessenwollen der Nachkriegszeit verständlich. Diesem entsprossen auch die Rechtsprobleme bei der jüngsten und größten Goebbels-Edition. Niemand kann dessen Tagebücher oder Reden publizieren, ohne sich mit dem Schweizer Privatbankier Francois Genoud zu einigen oder einen langen, teuren Prozeß zu riskieren. Genoud ist Sympathisant verflossener Nazigrößen, Förderer antiisraelischer Aktivitäten und finanzierte die Verteidigung des Massenmörders Klaus Barbie.

1954, die Vergeßlichkeit hatte Hochkonjunktur, übertrug der in Berlin gerichtlich eingesetzte Verwalter des Goebbels-Nachlasses im Einverständnis mit Familienmitgliedern des Propagandaministers Genoud die literarischen Urheber-und Verwertungsrechte, ohne sich um den von den Alliierten ausgesprochenen Verfall von NS-Vermögen zu kümmern. Seltsame Urteile verfestigten die Situation - obwohl Goebbels selbst die Rechte an den Tagebüchern dem NS-Zentralver-lag Eher übertragen und dafür kassiert hatte (wodurch sie nach dem Krieg an den bayerischen Staat Ubergingen) und ein Teil dienstlichen Charakter hat und als behördliches Schriftgut gelten müßte.

Niemand will mit Genoud prozessieren. Auch der Stiftungsrat des Münchner Institutes für Zeitgeschichte scheute das Risiko. Genoud verlangte kein Geld, sondern finanzierte die jahrelange Herausgeberarbeit in bescheidenstem Umfang mit - und wird sein Geschäft mit Taschenbuch- und sonstigen Zweitrechten machen. Dafür ist die DDR verärgert und sperrt den Zugang zu Teilen der Tagebücher, die sie besitzt.

Wenigstens beharrt Genoud nicht mehr auf dem Abdruck eigener Vor-und Nachbemerkungen. 1971 erschienen die Reden Goebbels' mit einem Hinweis auf dessen „absoluten Emst und musterhafte Aufrichtigkeit“ und einem Ausfall gegen den damaligen Herausgeber Helmut Heiber, ebenfalls vom Münchner Institut für Zeitgeschichte, daß „die Füße derjenigen, welche die Zeitgeschichtler der Art Heibers hinaustragen werden, schon vor der Türe stehen“, aus Genouds Feder.

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