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Zeugen alter Spielkultur

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Bis Mitte Dezember können „Spielbücher und -graphiken des 16. bis 18. Jahrhunderts" im Mozarteum in Salzburg besichtigt werden.

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Bis Mitte Dezember können „Spielbücher und -graphiken des 16. bis 18. Jahrhunderts" im Mozarteum in Salzburg besichtigt werden.

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Kein Fernseh-Abend ohne TV-Spiel, Massenandrang bei Spielfesten, und in den immer zahlreicheren „Spiel weiten", Biesenspielwarenmessen, Managerspiele, Spielen als anerkanntes pädagogisches Konzept. Weltweit Milliardenausgaben für Spiele und Spielzeug, wie etwa für die 900 Millionen bis heute produzierten Barbie-Puppen, Milliardeneinnahmen für die Spiel-casinos, Lottospiele ... All dies spricht dafür, daß sich der „spielende Mensch" aller Alters- und sozialen Gruppen täglich neues Terrain erobert.

Teilweise handelt es sich um eine „Zurückeroberung". Denn Spielen war zu verschiedenen Zeiten der Menschheitsgeschichte wichtiger Teil des sozialen Lebens. Ein Indiz dafür ist etwa, daß in der Frühzeit des Buchdrucks die neue Möglichkeit zur massenhaften Vervielfältigung geschriebener Texte sofort auch für die Herstellung zahlreicher Spielbücher genützt wurde.

Eine Schau von 45 derartigen Druckwerken, ergänzt durch zahlreiche graphische Darstellungen zum Thema Spiel, alles aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, ist bis Mitte Dezember in der Hochschule für Musik und darstellende Kunst „Mozarteum" Salzburg zu sehen. Alle Exponate sind im Besitz des seit 1991 bestehenden Instituts für Spielforschung und Spielpädagogik, das von Günther G. Bauer - „Ich bin selbst ein homo ludens" - geleitet wird.

Die Zahl der alten Spielbücher und -graphiken, die Mitarbeiter des Instituts durch unermüdliche Suche und mit viel Glück in Antiquariaten, Buchläden, auf Flohmärkten und in privaten Sammlungen europaweit auftreiben konnten, ist zwar noch nicht groß. Dennoch handelt es sich dabei um einen kostbaren und seltenen Schatz, der keineswegs nur für Kulturhistoriker interessant ist. Auch für die rund 100 „Spiele-Erfinder" in Europa, die landauf-landab für die großen Spiele-Hersteller ständig auf der Suche nach neuen (alten) Spielideen unterwegs sind, stellen die vor Generationen benützten Bücher mit Spielanleitungen, -be-schreibungen oder -regelsammlun-gen eine rare Fundgrube dar.

Für Günther Bauer sind die Spielbücher „Zeugen einer untergegangenen Spielkultur, welche zu gewissen Zeiten eine überraschend umfangreiche Dimension angenommen hatte". Die meisten dieser Bücher landeten jedoch ebenso wie die Spielmittel - Karten, Bretter, Steine, Würfel ... - irgendwann einmal im Feuer. Entweder weil sie schon allzu

abgenutzt, weil sie aus üer Mode gekommen oder weil sie überhaupt verboten worden waren. So kommt es, daß Spielbücher zwar in für die Entstehungszeit ansehnlichen Auflagen gedruckt wurden, heute aber etwa so selten sind wie Zauberbücher oder alchimistische Literatur.

Der spielende Mensch hat proportional zur fürs Spielen aufgewendeten Zeit also relativ wenige Spuren hinterlassen. Doch auch die wenigen zeigen, was Spielen alles bedeutet hat, gerade auch für die beispielsweise im 16. Jahrhundert noch schmale Schicht der gebildeten Stände, die Spielbücher überhaupt lesen konnten.

Spielen diente schon damals nicht nur dem Zeitvertreib, sondern auch dem Lernen. So ist das älteste gezeigte Spielbuch eine Sammlung von Anleitungen zu pädagogischen Spielen, die der Erziehung junger Adeliger dienten. Es ist in italieni-

scner Spracne gescnrieben und in Bologna gedruckt. Ebenfalls aus dem italienischen Baum und ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert stammen zwei weitere kostbare Bände. Einer erzählt von schachspielenden Göttern des Olymp. Der andere ist eine Übersetzung aus dem Spanischen. Der „Vater der Schachliteratur", der Geistliche Buy Lopez de Sigura, forscht darin nach den Ursprüngen des Spiels und gibt Spieltips, beispielsweise für erfolgversprechende Eröffnungszüge

Ein besonderes Gustostückerl der kleinen Kollektion ist ein aus dem Französischen ins Italienische übertragenes Wappenbuch samt Spielkarten, mit dem erklärten Ziel, adeligen Jünglingen auf spielerische Art Wappenkunde, Geographie, Familien- und Landesgeschichte beizubringen. „Denn das Spiel ist Schule, damit Schule Spiel war", steht da im Epigramm zum Wappenkartenspiel zu lesen. Eine Erkenntnis, die sich moderne Pädagogen als neue Errungenschaft ihres Fachs wieder auf die Fahnen zu heften pflegen!

Spielideen wurden also auch damals schon, wie die wenigen Beispiele zeigen, von Land zu Land weitergegeben. Spielbücher wurden im-

mer wieder nachgedruckt, neu zusammengestellt, dem Zeitgeist angepaßt, auf die Bedürfnisse verschiedener Bevölkerungsschichten abgestimmt.

Die Autoren bleiben dabei meist im Hintergrund. Vor allem wenn Anleitungen zu verbotenen Glücksspielen publiziert wurden, war das auch besser so. Denn gegen diese ging die Obrigkeit immer wieder mit strengen Verboten und empfindlichen Strafen vor. Bis zu 1.000 Gulden (zirka 350.000 Schilling) mußten Hasardspieler und Spiellokalbesitzer in der Mozartzeit zahlen. Man wollte damit die hohen Spielschulden verhindern, die - so ist belegt - in manchen Fällen bis zu 20.000 Gulden (heute sieben Millionen Schilling) ausmachen konnten.

Die alten Spielbücher zeigen uns also viele Facetten zwischen dem Spiel als Lebensschule und existenzzerstörendem Suchtmittel, zwischen anspruchsvoller Spielkunst, die etwa in den zahlreichen Schachbüchern gelehrt wurde, und dem vergnüglich-derben Zeitvertreib für die Menge. Sie zeigen auch, wie vielfältig die Spiele waren: Anleitungen zur „Vertreibung der langen Weile in Winterabenden", vorzugsweise für „Gesellschaften beiderley Geschlechts" schlössen beispielsweise neben den gängigen Karten- und Brettspielen auch lockere Pfänderund Tanzspiele, Scharaden, Los- und Orakelspiele, Kunststücke und Gaukeltricks ganz selbstverständlich mit ein.

Interessante Einblicke in das soziale Umfeld von Spielern oder beispielsweise auch in die Produktion von Spielmitteln erlauben die in der Ausstellung gezeigten historischen Graphiken. Da gibt es etwa den Kupferstich von der Kartenmacher -werkstatt, der in der großen Ency-klopedie von Diderot und D'Alem-bert (Mitte 18. Jahrhundert) enthalten ist. Er zeigt alle Stationen im Entstehungsprozeß einer Spielkarte. Dies versucht auch „Der Kartenmacher", ein mit den für die Kartenherstellung notwendigen Geräten ausgestatteter Herr, um 1730 von Martin Engelbrecht in Augsburg geschaffen.

100 Jahre zuvor hat der Niederländer Jacob Cats Spielende aller Altersgruppen dargestellt: Kinder mit Puppen, Windrädern, Drachen, aber auch ein elegantes Paar, das im Garten Federball spielt.

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