6928647-1982_21_01.jpg
Digital In Arbeit

Ziel sei der Konsens

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist kein Zufall, daß sich das Unbehagen in der Gesellschaft am deutlichsten im Bereich der Politik manifestiert. Die an der Nahtstelle von Politik und Wirtschaft angesiedelten Skandale, die in der letzten Zeit aufgedeckt wurden, mögen dazu beigetragen haben. Ich bin aber überzeugt, daß es sich bei diesen Erscheinungen — so sehr sie auch die öffentliche Diskussion beherrschen — um seltene Ausnahmen handelt.

Das Wissen, daß es sich um Ausnahmen handelt, entbindet freilich nicht von der Verpflichtung, alles daranzusetzen, solchen ernsten Erscheinungen entgegenzuwirken. Einer Koalition der Anständigen — und das ist die übergroße Mehrheit der Bürger in diesem Lande — müßte es gelingen, die „Sümpfe und sauren Wiesen”, von denen das Staatsoberhaupt sprach, trockenzulegen.

Die Ursache des Unbehagens liegt allerdings tiefer. Viele Menschen stoßen sich am politischen Stil, der sich, der Medienwirksamkeit zuliebe, auch in unserem Lande eingebürgert hat. Allzu oft wird der politische Gegner grundsätzlich diskreditiert. Jede Initiative, die von ihm kommt, wird grundsätzlich abgetan.

Gleichzeitig reklamiert man alle positiven Entwicklungen wie selbstverständlich für die eigene Gruppe. Ebenso weigert man sich beharrlich, eigene Irrtümer und Fehlleistungen einzugestehen. Ein solcher Stil politischer Auseinandersetzungen in der Demokratie trägt nicht zur Glaubwürdigkeit des politischen Lebens bei.

Eng mit diesem Problem hängt auch die Frage des Einsatzes politischer Macht zusammen. In der Demokratie entscheidet die Mehrheit. Das ist gut und richtig so. Doch die Reife einer demokratischen Gesellschaft zeigt sich auch darin, in welchem Maß in ihr auch die berechtigten Anliegen der Minderheit zur Geltung kommen. Das Ziel einer guten Politik sollte es stets sein, zu einem möglichst breiten Konsens zu gelangen, in dem man neben den eigenen legitimen Anliegen auch jenen des anderen Rechnung zu tragen sucht.

Erst wenn man sich loyal um einen solchen Konsens bemüht hat und eine Einigung trotzdem ausbleibt, muß die Mehrheit im Parlament entscheiden. Dasselbe gut für den Landtag oder den Gemeinderat. Aber selbst in einem solchen Mehrheitsbeschluß sollte noch auf die gerechtfertigten Anliegen der Minderheit Bedacht genommen werden.

Ein weiterer Grund für das Unbehagen vieler in unserem Lande gegenüber dem Bereich der Politik ist das Empfinden, nicht mehr Subjekt, sondern nur mehr Objekt des politischen Handelns zu sein. Es sind vor allem junge Menschen, die ihre politische Mitbestimmung nicht auf des Recht reduzieren wollen, alle vier Jahre wählen zu gehen. Sie haben ein waches Bewußtsein dafür, daß der eigentliche Souverän der Republik das Volk ist und daß die Aufgabe der politischen Parteien in der Demokratie vor allem in der Meinungsbildung besteht, nicht aber im Aufbau eines allzu umfassenden Machtapparates.

Viele. Staatsbürger wünschen sich mehr Möglichkeiten der politischen Partizipation, vor allem in ihrem überschaubaren Lebensbereich. Man muß dem Bürger die Gewißheit geben, daß seine Meinung und seine Anliegen von den politischen Entscheidungsträgern auch ernst genommen werden. Der Bürger muß die Gelegenheit haben, in richtigem Ausmaß mit den Instrumenten der direkten Demokratie unmittelbaren Einfluß auf politische Willensbildung nehmen zu können.

Die politischen Entscheidungsträger sollen ihrerseits sorgfältig ihre Motive und Gründe prüfen, wenn sie politische Willenskundgebungen der Bevölkerung, etwa bei Bürgerinitiativen oder Volksbegehren, mit Mehrheit zurückweisen können... Hier müßte die moralische Verpflichtung zum Tragen kommen, sich zu bemühen, wenigstens einem Teil der vorgebrachten Anliegen zu entsprechen, besonders dann, wenn solche Anliegen und Wünsche quer durch die Parteien gehen.

Der Wert der Toleranz ist für eine demokratische Gesellschaft unersetzlich. Es gehört sicher zu den guten Entwicklungen der Zweiten Republik, daß es im Bereich der Toleranz einen erfreulichen Fortschritt gegeben hat. Nach den bitteren Erfahrungen der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts kam ein Prozeß der Versöhnung in Gang, der allerdings stets gefährdet ist. Wer auf Zwischentöne hört, gewinnt den Eindruck, daß das Gemeinsame in den letzten Jahren zu stark iri den Hintergrundgetreten ist. Er gewinnt den Eindruck, daß mitunter wieder geistige Barrikaden aufgerichtet werden...

Teilauszug aus einem Referat, das der Erz-bischof von Wien am 17. Mai vor dem österreichischen Bankenverband hielt

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung