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Zielsetzung über das Diesseits hinaus

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In „Quadragesimo anno” sagt Pius XI:. „Ursprung, Träger und Ziel aller Politik ist der Mensch.” Nach Johannes XXIII. muß der Mensch der Träger, Schöpfer und das Ziel aller gesellschaftlichen Einrichtungen sein, und zwar der Mensch, sofern er von Natur aus auf Mitsein angelegt und zu einer höheren Ordnung berufen ist, die über die Natur ganz und gar hinausgeht. Dieses oberste Prinzip trägt und schützt die unantastbare Würde der menschlichen Person (Mater et magistral Die Mitte aller Politik muß nach christlicher Auffassung also der Mensch sein. Das Menschenbüd, das hinter jedem politischen Handeln in Staat und Gesellschaft steht, ist also von grundlegender Bedeutung.

Der Mensch existiert in seiner Individual- und Sozialnatur, in seinem Eigen- und Mitsein in der Gesellschaft. Dies bedeutet einerseits Eigenständigkeit und persönliche Freiheit, anderseits aber auch Gebundenheit an die Gemeinschaft, ohne die er nicht zur vollen Selbstentfaltung seiner Persönlichkeit kommen kann. Jeder Mensch hat Anspruch auf Selbstbestimmung und Freiheit, er ist aber auch verpflichtet, seinen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohls zu erreichen.

Eigenständigkeit und Gesellschaftsbezogenheit gehören also zum Wesen des Menschen, der nur in dieser doppelten Existenzweise sich selbst verwirklichen und zu einem erfüllten Leben kommen kann. Weder die Indi- •vidual- noch die Sozialnatur des Menschen darf überbewertet oder gar verabsolutiert werden. Der Liberalismus in seinen verschiedenen Spielarten hat die Individualnatur überbewertet. Dies führt zu einer Uberbetonung der Freiheitsrechte des einzelnen, so daß die Verantwortung gegenüber den Mitmenschen und der Gesellschaft in den Hintergrund trat.

Der dabei verkündete Humanismus führte zumeist zur Unmenschlichkeit Der Sozialismus hingegen nahm zumeist auf die Individualnatur zuwenig Rücksicht und übertrieb die Natur des Menschen als, Gemeinschaftswesen. Dabei blieb die soviel gepriesene Freiheit des Menschen auf der Strecke. Der Kollektivismus fuhrt zu einem dirigistischen Staat, in dem dem einzelnen Staatsbürger kaum noch die Möglichkeit zur Selbstentfaltung bleibt.

Die Sozialnatur des Menschen verpflichtet zum Beitrag für das Gemeinwohl und verbietet, bloß an den eigenen Nutzen zu denken. Person und Gesellschaft sind aneinander gebunden und zum gegenseitigen Dienst sowie zur gegenseitigen Förderung verpflichtet Das Gemeinwohl setzt dem Menschen Schranken, sich hem mungslos und ohne Rücksicht auf die anderen Glieder der Gesellschaft zu entfalten. Die Interessen der einzelnen Gruppen müssen aufeinander abgestimmt und mit dem Gemeinwohl in Einklang gebracht werden.

Die Freiheit des Menschen ist durch kollektivistische und zentralistische Tendenzen in der heutigen Gesellschaft besonders bedroht. Der Raum zur Entfaltung der persönlichen Initiative wird immer enger, das Eingreifen der staatlichen Gewalt in die verschiedenen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens immer häufiger. Die Freiheit des Menschen darf jedoch nach der Katholischen Soziallehre nicht mehr eingeschränkt werden als dies das Gemeinwohl unbedingt erforderlich macht. Das Prinzip der Subsidiarität dient also der Wahrung der legitimen Freiheit des einzelnen. Was der einzelne aus eigener Kraft zu leisten vermag, soll nicht eine größere Gemeinschaft oder der Staat tun.

In der partnerschaftlichen Gesellschaft soll es eine Aufgabenteilung geben, um die Freiheit und Selbstverantwortlichkeit der Person zu fördern. Die Gesellschaft soll nur Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Das Leben muß „von unten” wachsen und darf nicht „von oben” organisiert werden. Das Subsidiaritätsprinzip wendet sich gegen die immer stärker wachsende Zentralisierung der Macht beim Staat und verlangt deren Dezentralisierung. Der Kollektivismus, der in totalitären Staaten zur höchsten Machtkonzentration führt und auch durch den Sozialismus verschiedener Prägung gefördert wird, führt letztlich zum Verlust oder wenigstens zu einer starken Einschränkung der persönlichen Freiheit.

Gott hat den Menschen nach seinem Ebenbüd geschaffen und ihm eine über diese sichtbare Welt hinausreichende Zielsetzung gegehen. Der Mensch kann in dieser Weltzeit nicht seine Vollendung erreichen und sie letztlich nur in Gott finden. Er hat darum auch wegen seiner Bestimmung eine besondere Würde, die die bedingungslose Ehrfurcht vor dem Leben miteinschließt. Der über die materielle Existenz hinausragende Sinn des Lebens muß auch in der Auffassung vom Gemeinwohl seinen Niederschlag finden. Gesellschaft und Staat müssen daher auch mithelfen, jene Voraussetzungen zu schaffen, die auch die Entfaltung des Glaubenslebens ermöglichen und fördern.

Im Gefolge der Aufklärung und des weltanschaulichen Liberalismus haben der Marxismus und auch andere sozialistische Bewegungen die Idee vom uneingeschränkten Fortschritt übernommen, nach der der Mensch aus der Kraft seiner Vernunft allein eine Zukunft mit unbegrenzten Möglichkeiten schaffen kann. Dieser Zukunftsglaube ist mit einem Humanismus ohne Gott verbunden. Nach dieser Auffassung vollendet sich das Leben schon in dieser Welt. Die messia- nische Erwartung, die diesen Bewegungen eigen ist, findet schon in der sichtbaren Welt ihre letzte Erfüllung. Für sie gibt es keine Welt jenseits des irdischen Lebens, die einen Bezug zur Gestaltung der Gesellschaft hätte. Das Menschenbüd, das hinter dieser Auffassung steht, unterscheidet sich wesentlich vom christlichen Menschenbild.

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