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Zitate

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Ist es eine Alterserscheinung? Ein Überbleibsel aus Uralten Zeiten, da die allgemeine Bildung zum Teil daraus bestand, daß einem im rechten Augenblick das rechte Wort aus dem „Wallenstein“ einftel? In jedem Fall ist es eine Schwäche, derer ich mich schuldig bekenne. Wenn alle Stricke reißen, hilft ein Zitat einem aus der Not, oder - da es nicht ohne Zitat geht - denn eben, wo Begriffe fehlen, stellt ein Zitat zur rechten Zeit sich ein.

Doch meine Kunden, die ja leider zumeist jüngeren Generationen angehören, denken anders. Sie kennen die Zitate nicht, auf die man sich so sicher zu stützen glaubt, und meinen, solche Verstiegenheiten seien heute doch schon überlebt.

Einmal war es Schiller, der sich vermeintlich zur rechten Zeit einstellte, und ich schrieb bescheiden: „In meines Nichts durchbohrendem Gefühl.“ Dei^ Redakteur, in diesem Fall die Redaktrice, hatte Wichtigeres im Kopf als den „Don Carlos“, fand die Wendung geschraubt und machte mit sicherer Hand daraus: „In dem Nichts meines durchbohrenden Gefühls.“ Noch immer - und das ist Jahre her -sinne ich darüber nach, was das Wort in dieser Form bedeutet. Da ich sehr redakteurgläubig bin, kann ich nicht annehmen, daß es zu einem Unsinn geworden ist; und so dürfte Schiller sich eben geirrt oder verschrieben haben.

Abermals mußte Schiller herhalten, als ein Reklametext zu schreiben war. Es galt, gewissermaßen eine Skala dessen aufzustellen, was man der Angebeteten, der Gattin, der Freundin schenkt. Und da war das Lied von der Glocke, nicht also etwas allzu Ausgefallenes, das ich zitierte. „Das Schönste sucht er auf den Fluren“, schrieb iph entzückt, um dann auf handfestere Geschenkartikel übergehen zu können.

Doch der Chef des Hauses fand wohl, Fluren sei zu unbestimmt, zu vage, und - Schiller hin oder her - so schrieb er statt dessen: „Das Schönste sucht er unter Blumen …" Wer unter den Lesern eines Inserates weiß schon, daß sich die gestrichenen Fluren auf „errötend folgt er ihren Spuren“ reimen sollten, während sich auf „Blumen“ höchstens die posthumen Muhmen reimen, die ich keinesfalls verwenden würde, seit der Duden dem Wort „posthum“ mit frevler Hand das „h“ entrissen hat und da die Orthographiereform eines Tages mit den Muhmen dasselbe tun will.

Das nächste Mal war es der Setzer einer ganz großen Zeitung, dem mein Zitieren wider den Strich ging, und der Zitierte war diesmal Goetne. Zugute halten muß ich dem Setzer, daß das Zitat kompliziert war, und daß ich es für meine Bedürfnisse ein wenig umgeformt hatte. Auch ging es diesmal nicht um den „Don Carlos“ und um das „Lied von der Glocke“, sondern um den erheblich ferner liegenden „Schwager Kronos“, darin eine schöne Stelle lautet:

Töne, Schwager, ins Horn,

Rassle den schallenden Trab!

Die zweite Zeile war es, die mir in den Kram paßte, als ich die Zeit „rasselnd den schallenden Trab“ vorüberjagen sah, hörte, spürte. Dem Setzer war das Wort „rasseln“ in transitiver Benützung offenbar noch nicht vor die Augen gekommen und so machte er aus „rasselnd den“ kurz entschlossen „rasselnden“, dahinter er ein Komma setzte, um es mit dem „schallenden“ zu koordinieren. Und dann brauchte er

nur noch aus „Trab“ den Genitiv „Trabs“ zu machen, um in mühsamer Arbeit zu „rasselnden, schallenden Trabs“ zu gelangen, was immerhin einen Sinn ergab, wenngleich nicht jenen, den Goethe - und in weiter Entfernung auchdch - den Worten zugedacht hatte.

Der Lektor eines großen literarischen Verlags sollte eigentlich den berühmtesten Monolog der Weltliteratur kennen, der da mit den Worten beginnt: „Sein oder Nichtsein …“ Dennoch sei ihm vergeben, daß er ihn nicht kannte. Bildung ist Für den Lektorenberuf ganz gewiß erwünscht, aber Sprachgefühl ist noch wichtiger.

Der Schauplatz ist ein reizendes Skizzenbuch einer Amerikanerin. Sie ei zählt, wie sie immer wieder vor ihren Kindern die Waffen streckt, und illustriert das in einer Parenthese: „So macht Mutterschaft Feige aus uns allen!“ Der Lektor, nicht eben von Bildung beschwert, erkannte nicht, daß „Mutterschaft“ an Stelle von „Gewissen“ gesetzt worden war, und daß die ganze Zeile dem „Hamlet“ entnommen ist. Er hat aber nicht einmal gemerkt, daß er es mit einem Zitat zu tun hatte, obgleich das kaum zu verkennen ist; ferner hat er nicht gemerkt, daß „Feige aus uns allen“ das Ende eines Blankverses ist und ein großartiges Ende dazu. Und darum korrigierte er nicht mich, sondern Schlegel und schrieb:

„So macht Mutterschaft uns zu Feiglingen!“

Vielleicht hat der Lektor die Lücken in seiner Bildung unterdessen gestopft und bei dieser Gelegenheit auch etwas vom „Übermut der Ämter“ entdeckt!

Schließlich wäre noch ein Zusammenstoß zwischen Goethe und einem Verbesserer zu melden, der diesmal ein Verleger war. In dem Klappentext zu dem Buch über ein sehr weit von uns hausendes Volk schrieb ich, es handle sich bei diesem Volk schließlich um Menschen, wie wir es sind, zu leiden, zu weinen, zu genießen und zu freuen sich. Wie stolz war ich darauf, daß mir das passende Zitat aus dem „Prometheus“ eingefallen war! Und wie verzweifelt lief ich die senkrechte Wand meines Zimmers hinauf, als ich lesen mußte: ,;Zu leiden, zu weinen, zu genießen und sich zu freuen!" Dem Verleger war Prometheus Hekuba, und „zu freuen sich“ klang ihm falsch in den Ohren. Das will ein Übersetzer sein und weiß nicht, wie die Worte zu stehen haben, dachte er und vergriff sich nicht an mir, sondern wie einst der Geier an dem armen Prometheus.

Doch das war mir eine Lehre: Zitate sind eben aus der Mode. Wer kennt noch das „Lied von der Glocke“, wer den „Don Carlos“, wer den „Prometheus“? Vom „Schwager Kronos“ gar nicht zu sprechen, der seine eigenen Kinder fraß und uns unversehens in den Orkus kutschiert. Nein, kein Zitat mehr, so lockend die „Braut von Messina“ oder der „Wilhelm Teil“ auch winken mögen!

Aber ich bekenne, daß es mir nicht leicht fallen wird, auf das Zitieren zu verzichten - beinahe hätte ich hinzugefügt: „Hab ich doch meine Freude dran!“

Aus „DER JUNGE HERR VON ANNO DAZUMAL", Verlag Steinhausen, München 1981

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