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Zivilcourage in der Kirche?

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Gibt es aus der Sicht Roms heute in der Kirche nicht Friedenszeiten, sondern Notzeiten? Erklärt das den gegenwärtigen Kirchenkurs, aber auch den im neuen Bühlmann-Buch artikulierten Widerstand dagegen?

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Gibt es aus der Sicht Roms heute in der Kirche nicht Friedenszeiten, sondern Notzeiten? Erklärt das den gegenwärtigen Kirchenkurs, aber auch den im neuen Bühlmann-Buch artikulierten Widerstand dagegen?

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Et hat recherchiert, dokumentiert und analysiert: der Missionswissenschaftler Walbert Bühlmann, der einen Teil seiner Zeit meditativ in einem Schweizer Kapuzinerkloster verbringt, den anderen Teil hingegen reist und bestbesuchte Vorträge hält. Bühlmann steht für kritische Loyalität, eine Tugend, die in der gegenwärtigen Kirchenstunde Goldes wert ist, sowohl für die Kirche wie für die Kirchenmitglieder selbst. Wer diese Tugend nicht hat, wird der andrängenden Versuchung zur Resignation und zum inneren oder äußeren Kirchenrückzug nicht leicht widerstehen.

Gewiß werden jetzt Vertreter des „anderen Lagers" einwenden, daß die Kritiker selbst schuld sind. Sie werden zum Opfer ihrer eigenen Unzufriedenheit. Hätten sie mehr Vertrauen, daß Gott durch die gegebenen Hirten für die Herde ohnedies das Richtige für die Zukunft bewirkt, brauchten sie weder zu kritisieren und schon gar nicht zu widerstehen.

Aber ist es wirklich so einfach? Zumindest am Anfang der Kirchengeschichte war es, wie Bühlmann sehr deutlich macht, nicht so (2. Kapitel). Da tritt Paulus dem Petrus offen entgegen, „weil er sich ins Unrecht gesetzt hatte" (Gal 2,11). Welch aufregende Nachricht für heute: Es ist möglich, daß der unfehlbare Papst in wichtigen Entscheidungen (wie der Beschneidung und der Auferlegung der Last des jüdischen Gesetzes) Unrecht hat und daß andere apostolische Nachfolger diesem päpstlichen Unrecht „offen entgegentreten", und das noch dazu mit Erfolg. Denn wir, die Heidenchristen, müßten uns sonst immer noch beschneiden lassen und das jüdische Gesetz befolgen, um Hoffnung auf Rettung zu haben.

Auf diesem dramatischen Hintergrund analysiert Bühlmann die kirchenpolitischen Entscheidungen des heutigen „Petrus", besonders jene, die sich vordergründig auf die römische Personalpolitik, hintergründig aber auf die Vision von Kirche und ihre Art, in der heutigen Welt zu leben und zu wirken, beziehen. Dabei entführt er -mit gekonnten Details - die Leser in ein kirchliches Gruselkabinett, das nur noch durch die Aussage eines Insiders aus der Schweiz gekrönt hätte werden können, dem im Zuge der Vorstellungen der Schweizer Bischofskonferenz in Rom rund um den Fall Haas glaubhaft mitgeteilt wurde, daß Rom nicht zuletzt deshalb Haas nicht abberufen könne, weil sonst weitere 46 Bischöfe in der Welt zurückgezogen werden müßten: zumindest würden andere unzufriedene Ortskirchen Morgenluft wittern und ihren Unmut auch so wirksam und öffentlich vorbringen, wie die aus dem Aufstand gegen die Habsburger geborenen Eidgenossen.

Vielleicht trifft aber Bühlmann an einer sensiblen Stelle seiner Analysen den Nagel nicht ganz genau auf den Kopf. Denn so wie ich die Lage einschätze, wissen die Verantwortlichen in Rom sehr wohl, daß man gegen das Volk auf die Dauer nicht regieren kann. So hat der Vatikan in den letzten Jahren des Husak-Regimes in der damaligen CSSR, als von diesem Friedenspriester als Bischofskandidaten vorgeschlagen wurden, dies ausdrücklich zurückgewiesen mit der Feststellung: Es sei unvorstellbar. Bischöfe zu ernennen, die das Volk nicht annehmen kann. In Friedenszeiten gilt somit diese Regel durchaus. Doch sieht vieles danach aus, daß aus der Sicht Roms es heute eben nicht Friedenszeiten gibt, sondern Notzeiten. Und da müßte eben, so wie auch sonst im politischen Leben, der Notstand ausgerufen werden. Von Kriegsrecht zu reden wäre freilich unangemessen, obgleich in Fachkreisen manchmal auch mit dem Begriff des „Bürgerkriegs" gespielt wurde. Und wie kleine Horden von ganz normalen Katholiken aus verschwörerischen Kirchen-rettungskonventikeln ins kriegerische Horn blasen, könnte man meinen, daß eine Art von kirchlichem Bürgerkrieg auch schon ausgebrochen sei.

Die Kernfrage lautet meiner Ansicht nach nicht, ob Rom denn die konziliaren Spielregeln nicht kennt. Tatsache ist, daß man das Konzil sehr wohl kennt, daß aber zur Zeit jene Minderheit am Ruder ist, die die konservativen Anteile der konziliaren Kompromißformeln politisch durchsetzt. Die Folge sind dann jene Ismen, die Bühlmann beklagt (4. Kapitel), nämlich Zentralismus. Legalismus und Konservativismus, die Ausdruck eines - wie Bühlmann diagnostiziert - vorkonziliaren Kirchenbildes sind, in Wahrheit aber eher die Folgen der wachsenden Bürokratisierung der Welt-Kirche darstellen. Die Hauptfrage aber ist, ob es in vielen Ortskirchen tatsächlich einen pastoralen Notstand gibt und daher ein diesem Notstand verantwortliches Handeln Roms geradezu Pflicht ist. Sobald nämlich ein Haus brennt, ist es Pflicht der Feuerwehr, auszurücken und zu löschen. Es ist dann nicht zu erwarten, daß der Feuerwehrkommandant . sich zuvor mit den Leuten im brennenden Haus zu Konsultationen trifft, was denn nun zu tun sei und ob er der richtige Feuerwehrhauptmann ist. Kurz: Brennt es wirklich?

Wer hier ein einfaches Ja oder Nein zusammenbringt, wird Unrecht behalten. Es gibt ja - was nicht überrascht - in Zeiten raschen soziokultu-rellen Wandels immer Übergangskrisen. Das betrifft - um bei Europa zu bleiben - sowohl die Gesellschaften des Westens wie des Ostens. Es gibt zudem kulturelle Stimmungen in West und Ost, die dem Evangelium keineswegs freundlich sind. Ebenso wenig ist es richtig, aus der Sicht gläubiger Theologie die moderne Welt einfach als gottlos und permissiv zu verteufeln und manchen Ortskirchen nachzusagen, daß sie durch ihre Offenheit den weltlichen Teufeleien die Kirchentore fahrlässig geöffnet haben, was zur inneren Aushöhlung dieser Ortskirchen geführt habe.

Wie kann man zumal die „Erste Welt" (wie im Schreiben Johannes Pauls II. „Christi fideles laici", Nummer 34, nachzulesen) ungemildert sä-kularistisch und permissiv nennen, wenn es in ihr lediglich fünf Prozent gibt, die sich ausdrücklich als Atheisten bekennen? Gewiß, die anderen 95 Prozent sind nicht astreine Christen. Es gibt unter ihnen Gottsucher, Zweifler, Deisten und wahre Liebhaber Gottes. Aber Atheisten sind sie wirklich nicht. Warum richtet man sich aber gedanklich die Welt so böse her, wenn sie es tatsächlich nicht ist? Warum reden 1992 die Kirchenführer immer noch von Säkularisierung, wo die religionssoziologische Vorhut schon seit 1973 (P. L. Berger, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft) dieses Verstehensmodell aufgegeben hat? Offenbar ist es für den Entwurf kirchlichen Handelns einfach zu denken, daß die Welt böse ist und daher den Dienst der guten Kirche braucht. Dann ist Evangelisierungskampagne angesagt, die undialogisch jene aus dem Untergang des Strom der modernen Welt rettet, die ohne uns sicher untergehen würden.

Im Grunde ist eine solche einfache Sicht der Dinge nicht nur fachlich unhaltbar, menschlich ungerecht, sondern auch theologisch höchst fragwürdig. Sie leugnet in der Totalver-teufelung der Welt, daß Gott unbeirrbar treu (Dtn 32,4) zu seiner Welt hält: Auch Europa ist nicht gottverlassen (Kardinal Martini, 1989). Sie übersieht jenes Wirken des Heiligen Geistes in der Welt, das auch ohne uns Christen (Gott sei Dank) geschieht und dem wir manchmal mehr im Weg stehen als dienen. Tatsache ist, daß die moderne Welt nicht nur gut ist. Aber sie ist mit Sicherheit nicht so schlecht, wie die konservativen Kirchenkreise heute meinen. Vor allem aber ist die Erste Welt keineswegs verdorbener als die Zweite. Beide haben ihre Vorzüge und ihre Schattenseiten. Wie nützlich wäre es, sich im guten zusammenzutun und einander in sympathischer Kritik zu helfen, die Schatten anzunehmen und nach Möglichkeit kleiner zu machen.

Bühlmann hat schon recht, wenn er für einen solchen Weg eine Vision für die Kirche verlangt, die er sich als List des Heiligen Geistes erhofft. Er hält die derzeitige Phase für ein durchaus unerwünschtes und doch nicht nutzloses kirchenhistorisches Zwischenspiel. Hätte es Zukunft, so scheint Bühlmann zu denken, dann hätte die Kirche keine Zukunft. Solange aber diese Phase andauert, braucht es Widerstandskraft. Mit eidgenössischer Hartnäckigkeit möchte er die ganze Weltkirche in die Schweizer Kirchenschule schicken, wo man Christenmut und Zivilcourage lernen könne. Freilich, die Situation der Schweiz ist einmalig. Wo in aller Welt sind die Bischöfe so sehr wie in der Schweiz finanziell vom Volk und seinen Gremien abhängig? Wo gibt es zudem soviel Erfahrung in der Weigerung, in einem demütigenden Sinn „untertänig" sein zu sollen, also widerspruchslos allein deshalb zu gehorchen, weil eben die Autorität entschieden hat?

Vielen wird das Buch von Bühlmann gefallen. Andere werden es wie jene Welt verteufeln, der auch Bühlmann ihrer Meinung nach zu sehr verfallen ist. Gut wäre es, wenn es in seiner geballten Analyse und seinem gläubigen Zorn auch unter den Nachdenklichen in den Kirchenleitungen gelesen würde. Aber wozu lesen, wenn man die Macht hat?

ZIVILCOURAGE IN DER KIRCHE. Von Walbert Biihlmann. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln 1992. 176 Seiten, öS 178,-. Der Autor der Rezension ist Ordinarius für Pastoraltheologie an der Universität Wien.

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