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ZIVILDIENER ALS KONFLIKTSCHLICHTER

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Im Sommer 1991 erschreckte der Slowenienkrieg Österreich. Unter dem Jubel pragmatisierter österreichischer Offiziere wurde damals eine in ihren Augen existen-zielle Bedrohung von unserem Land abgewendet: die Debatte über ein „Bundesheer light”. Sie meinen, ein Heer mit 34.000 Mann zu benötigen, obwohl an den Karawanken 5.000 Mann schon zu viel waren.

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Im Sommer 1991 erschreckte der Slowenienkrieg Österreich. Unter dem Jubel pragmatisierter österreichischer Offiziere wurde damals eine in ihren Augen existen-zielle Bedrohung von unserem Land abgewendet: die Debatte über ein „Bundesheer light”. Sie meinen, ein Heer mit 34.000 Mann zu benötigen, obwohl an den Karawanken 5.000 Mann schon zu viel waren.

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Kurze Zeit später beweist Slowenien das Gegenteil: wenn Ungarn zur Demokratie und Slowenien zur Unabhängigkeit gelangt sind, sind Österreichs Grenzen objektiv weniger bedroht als vor 1991, und auch noch so aggressive Serben müßten in der Krajina ihre Nordgrenze erkennen.

Trotz der „Revolutionen” von 1989 entstehen heute im „neuen Europa” uralte Blöcke. Hier hat die ÖVP ihr Herz entdeckt: gegen die angeblich drohende Gefahr (von wem?) muß Zuflucht in einem Militärbündnis gesucht werden. Und wenn den Österreichern die EG nicht gefällt, so wird sie uns wenigstens als sicherheitspolitisch notwendig erklärt. Die Opferung der Neutralität wird aber von ÖVP, FPÖ und Liberalem Forum mit einer bemerkenswerten Doppelzüngigkeit betrieben:

□ Zunächst geht man davon aus, daß eine gegenüber 1955 veränderte Lage in Europa die Neutralität überflüssig mache. Dabei wird übersehen, daß zwar der Warschauer Pakt zerfallen, aber an seine Stelle eine Unzahl von Konfliktherden getreten ist, die bereits zu erneuter Blockbildung führen: russische Militärs und Nationalisten lehnen sich gegen Boris Jelzin auf und wollen die Abrüstungs verträge kündigen. Was geschieht im Fall eines ukrainisch-russischen Krieges oder einer Situation, in der Weißrußland, die Ukraine, Rußland und Kasachstan ein neues Atommächtebündnis bilden? Wer sagt uns, daß das reiche, sich abschottende Westeuropa nicht rasch in einen neuen Gegensatz zu dieser Macht geraten wird?

□ Zum zweiten wird aber in Österreich gleichzeitig mit dem Anschluß an den großen Bruder WEU so getan, als ob ein starkes Bundesheer auf neue militärische Aufgaben vorbereitet werden müßte. Dafür unterbreitet Verteidigungsminister Fasslabend unter dem Beifall Jörg Haiders ein gigantisches Beschaffungspaket von Kampfflugzeugen über Boden-Luft-, Boden-Boden- und Luft-Luft-Raketen, Radpanzern, neuer Artillerie-Bewaffnung und spricht von einer Katastrophe für Österreich, wenn nicht mindestens 34.000 Wehrmänner pro Jahr zur Verfügung stünden. Damit verbunden wird eine Kampagne gegen Zivildiener ins Leben gerufen, so als müßte Österreich einen Dritten Weltkrieg gewinnen.

Neutralität beibehalten

In einem derart hysterischen politischen Klima tut ein ruhiger Kopf not. Die österreichische Neutralität steht zweifellos vor einer veränderten Situation, jedoch gibt es heute mehr Gründe für ihre Beibehaltung als vor fünf Jahren. Wir sollten nicht vergessen, daß Neutralität die Voraussetzung für Österreichs wichtige UN-Rolle und sogar Vermittlung im Nahost-Konflikt war. Daran hat sich nach 1989 prinzipiell nichts geändert. Sicherheit in Mitteleuropa, das heißt friedliche Verständigung und konsequentes Arbeiten gegen alle Blockbildung. Der Graben quer durch Europa soll nicht vertieft, sondern abgebaut werden.

Die Teilnahme an einem europäischen Sicherheitssystem kann gerade von dieser Warte aus mit mehr Überblick und weniger Panik betrachtet werden: für Österreich ist die europäische Sicherheit und alles, was dieser Sicherheit nützt, wichtig. Wenn also ein wirkliches europäisches Sicherheitssystem - am besten als Teilorganisation der UNO, wie in der UN-Satzung vorgesehen - entsteht, können wir das nur begrüßen. So ein System wäre auch für die Nicht-EG-Länder offen. Die WEU ist aber alles andere als das, sondern NATO-ab-hängig und nicht handlungsfähig, wie in Bosnien sichtbar wurde.

Viel wichtiger ist die Aufgabe, unsere östlichen Nachbarn in ein Friedens-Vertragswerk einzubinden: Eine Aufgabe für Neutralitätspolitik. Solange dieser Graben nicht verschwunden ist, bedarf es neutraler, vermittelnder Länder. In Europa haben sich aufgrund des nicht bewältigten Jugoslawien-Konfliktes vor allem die Armeen blamiert. Wir müssen damit rechnen, daß noch weitere solche Kriege entstehen, die allesamt nicht „militärisch gelöst” werden können. So wie in Bosnien könnte es bald zwischen Adria und Aralsee ein Dutzend von Konflikten geben, die - wie in Bosnien - nur mit einer Million UNO-

Soldaten (oder europäischen Super-truppen) niedergeknüppelt werden könnten, um den Preis von wieder einer Million Opfern. Wer würde diesen Preis zahlen? Etwa die Anhänger einer „militärischen Lösung”?

Kein Bedarf an mehr Armeen

Europa hat keinen Bedarf an mehr Armeen, aber einen riesigen Bedarf an Konfliktprävention, Streitschlichtungseinheiten oder Blauhelmen, die man heute im Kosovo und vor fünf Jahren in Bosnien hätte stationieren können, als es noch nicht zu spät war.

Österreich hat eine Tradition im Vermitteln, und kann der europäischen Sicherheit viel geben. Zivildiener könnten dabei eine entscheidende Aufgabe übernehmen: die Heranbildung von nichtbewaffneten Friedenseinheiten und Konfliktschlichtern, die, lange vor einem heißen Ausbruch, in einer Konfliktzone zum Einsatz kommen. Der europäischen Sicherheit wäre damit mehr gedient als mit dem Beitritt zu Bündnissen. „Innenpolitische” Konflikte zwischen Rechtsextremen und Ausländern wären das bedeutendste „Exerzierfeld” für Konfliktschlichtungseinheiten. Täglich beweist die Polizei in Deutschland und auch schon bei uns ihr Scheitern vor diesen Konflikten.

Die gescheiterten Generäle Westeuropas haben keinen Grund, über nichtmilitärische Bemühungen zu lachen. Ebensowenig müssen wir Zivildiener dauernd um die Abschaffung eines Bundesheeres kämpfen. Eine minimale Absicherung der österreichischen Bundesgrenze stellt kein Problem dar, so lange sie streng defensiv ausgerichtet ist und einer politischen Kontrolle unterliegt. Und natürlich: solange sie nicht gegen zivile Flüchtlinge aufgeboten wird.

Der Autor ist Wehrsprecher der Grünen im Nationalrat.

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