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Zu billige Doktorhüte ?

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Dreimal Bildungspolitik: Was hat es auf sich mit den Klagen, daß im Schul- und Hochschulbereich das Niveau ständig sinke und daß aus den Pflichtschulen halbe Analphabeten herauskommen?

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Dreimal Bildungspolitik: Was hat es auf sich mit den Klagen, daß im Schul- und Hochschulbereich das Niveau ständig sinke und daß aus den Pflichtschulen halbe Analphabeten herauskommen?

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Als der Vorsitzende der Rektorenkonferenz Hans Tuppy kürzlich vor dem zunehmenden Leistungsabfall und Niveauverlust an Österreichs Universitäten warnte, hat er vielen aus dem Herzen gesprochen. Aber er wurde deshalb auch heftig angegriffen, zunächst von Funktionären der Hochschülerschaft und der Assistentenkonferenz, die sich vor allem als Standesvertreter zu Wort meldeten, dann auch vom Klagen-furter Universitätskollegium. Nach deren Ansicht sind die Zustände — wie es ein Assistentenvertreter formulierte — „eigentlieh ganz ordentlich*'. Sind sie das wirklich?

Pauschalaussagen sind immer angreifbar. Die Zustände können an verschiedenen Universitäten und Fakultäten sehr unterschiedlich sein, und sie sind es mit Sicherheit in verschiedenen Studienrichtungen. Aber mit diesem selbstverständlichen Vorbehalt wird man Rektor Tuppy durchaus beipflichten müssen. Das Niveau der Ausbildung ist zumindest in den Studienrichtungen, die heute den größten Zulauf haben, gefährdet, und was wichtiger ist: die Weichen sind vielfach so gestellt, daß sich die Zustände fast zwangsläufig verschlechtern müssen, wenn dem nicht entgegengesteuert wird.

Besonders verhängnisvoll ist das Mißverhältnis, das heute zwischen der Zahl der Lehrer und der Studierenden besteht. Die meisten Universitäten sind zu Massenanstalten geworden. An der Universität Wien zum Beispiel hat sich die Zahl der Inskribierten seit 1970 verdreifacht — der Lehrkörper ist nicht im selben Maß mitgewachsen; den über 50.000

Studenten stehen heute rund 400 Professoren und etwa dreimal so viele Assistenten gegenüber, die in der Lehre eingesetzt werden können. Die Folge: Der Lehrkörper ist mit Lehrveranstaltungen, Prüfungen, Verwaltungsagenden und — besonders seit dem UOG — mit Sitzungen derart ausgelastet, daß für eine wirkliche Betreuung der Studenten kaum noch Zeit bleibt. Daß darunter auch die Forschung leidet, sei nur am Rande erwähnt.

Anderseits hat der Modetrend zum Studium viele Menschen an die Universität geführt, die der Betreuung besonders bedürften. Wie eine Untersuchung aus dem Jahr 1980 zeigt, sind bei zahlreichen Studienanfängern gerade jene Eigenschaften verkümmert, auf die es bei einem erfolgreichen Studium ankäme: die Fähigkeit, Probleme zu erkennen und selbständig zu denken und zu lernen, die Gabe, methodisch zu arbeiten und sich richtig zu artikulieren. Man müßte versuchen, ihnen eine Starthilfe zu geben, aber das geht nicht in der Masse, sondern nur im kleinen Kreis, und dazu sind oft weder die persönlichen noch die räumlichen Voraussetzungen gegeben. So bleibt meist nur die Hoffnung, daß sich der Tüchtige durchsetzen wird.

Gibt es hier einen Ausweg? Dienstposten lassen sich nicht beliebig vermehren. Im Ausland hat man sich überwiegend für einen „numerus clausus" entschieden, d. h. man beschränkt den Zugang zur Universität, um nach Möglichkeit sicherzustellen, daß nur wirklich Begabte studieren und daß sie dies unter günstigen Verhältnissen tun können. Österreich hat diesen Weg bisher aus guten Gründen vermieden.

Aber der freie Zugang zur Universität hat dann eben auch seinen Preis: die Ausfallsquote ist in Österreich besonders hoch, und das kann auch nicht anders sein. Soll das Niveau der Ausbildung erhalten bleiben, so muß die Selektion an der Universität nachgeholt werden. Wollte man darauf verzichten, so würde der Massenbetrieb zwar zu einer Massenproduktion von Absolventen führen, aber sie wären dann kaum noch tauglich, ihre Aufgaben in der Gesellschaft zu erfüllen.

Genau bei dieser notwendigen Selektion setzen die Schwierigkeiten ein. Von der Hochschülerschaft kann man füglich nicht erwarten, daß sie darauf verzichtet, für Erleichterungen einzutreten. Das zuständige Ministerium neigt dazu, dem Druck der Masse nachzugeben. Die Auflösung der ehemals kommissioneilen Prüfung in viele Einzelprüfungen, die bis zu viermal wiederholt werden dürfen, die freie Prüf erwähl, die den Trend zum „leichtesten" Prüfer bestätigt und dazu geführt hat, daß manche nicht mehr das Fach, sondern den Prüfer studieren, die Abschaffung aller Fristen, die den Studenten nötigen würden, sich beizeiten einer Leistungskontrolle zu stellen — all das und vieles andere hat dazu beigetragen, daß das Studium tatsächlich „billiger" geworden ist.

Dazu kommt auf seiten des Lehrkörpers, was Tuppy als „stillen Verlust an Kampfwillen" bezeichnet hat: Es ist für einen Prüfer nicht leicht, auf dem als richtig erkannten Leistungsstandard zu beharren, wenn das um eine extrem hohe Durchfallsquote erkauft wird. Die Versuchung ist groß, es schließlich doch billiger zu geben.

Mangelnde Selektion bedeutet an der Massenuniversität notwendig Leistungsabfall und Niveauverlust — daran ist leider nicht zu rütteln. Hoffen wir, daß alle Verantwortlichen — vor allem auch die Politiker — daraus die erforderlichen Konsequenzen ziehen.

Der Autor ist o. Univ.-Prof. am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien.

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