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Zu den Geldtrogen

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Der Dualismus von Staat und Gesellschaft galt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als verfassungsprägendes Kennzeichen. Heute, so heißt es immer wieder, sei diese Auffassung überholt. Einerseits sei im demokratischen System die Gesellschaft im Staat aufgegangen, anderseits habe der Bereich der Gesellschaft und derjenige des Staates im Hinblick auf die expansive Aufgabenvermehrung des sozialen Verteiler- und Versorgungsstaates und in Anbetracht des korrespondierenden Hineinwachsens der Gesellschaft, etwa der Verbände, in „öffentliche Aufgaben“ eine so enge Verflechtung und Integrierung mit öffentlicher Daseinsvorsorge hervorgebracht, daß das Muster des vorigen Jahrhunderts schlechthin obsolet geworden sei.

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Der Dualismus von Staat und Gesellschaft galt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als verfassungsprägendes Kennzeichen. Heute, so heißt es immer wieder, sei diese Auffassung überholt. Einerseits sei im demokratischen System die Gesellschaft im Staat aufgegangen, anderseits habe der Bereich der Gesellschaft und derjenige des Staates im Hinblick auf die expansive Aufgabenvermehrung des sozialen Verteiler- und Versorgungsstaates und in Anbetracht des korrespondierenden Hineinwachsens der Gesellschaft, etwa der Verbände, in „öffentliche Aufgaben“ eine so enge Verflechtung und Integrierung mit öffentlicher Daseinsvorsorge hervorgebracht, daß das Muster des vorigen Jahrhunderts schlechthin obsolet geworden sei.

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Politologen und Verfassungswissenschaftler sehen darin eine „schleichende Verstaatlichung der Gesellschaft“ bzw. eine „schleichende Ver-gesellschaftlichung des Staates“. Beide Entwicklungen seien sehr bedenklich, weil dadurch die freiheitlich-parlamentarische Demokratie ad absurdum geführt werde.

Dieses Dilemma offenbart sich etwa in der Rechtssprechung des Verfassungsgerichts in der Bundesrepublik Deutschland zum Verbot der staatlichen Parteienfinanzierung. Seinerzeit wurde vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden, daß die politischen Parteien zum Bereich der Gesellschaft und nicht des Staates zu rechnen seien und deshalb um ihrer FreJhei'tssicherung willen eine staatliche Parteienfinanzierung verboten sei, eine Erstattung der Wahltoaimpfkosten aus staatlichen Budgetmitteln dagegen erlaubt.

Im Verlauf seiner Rede am SPÖ-Parteitag stellte Bundeskanzler Kreisky eine staatliche Finanzierung der Parteien zur Diskussion. Dagegen lehnte er eine gesetzliche Verankerung der Parteien ab, weil dadurch, wie er sagte, eine zu große Abhängigkeit der Parteien vom Staat auch gesetzlich festgelegt würde. In einer Fernsehdiskussion, an der auch Finanzminister Androsch teilnahm, präzisierte Bundeskanzler Kreisky seine Vorstellungen. Da seitens der Industrie eine Parteienfinanzierung der ÖVP und der FPÖ (man spricht von einem Schlüssel 80:20, der zu Zeiten der SPÖ-Minderheitsregierunig — als die FPÖ die SPÖ im Parlament fast regelmäßig im Junktim-Verfahren unterstützte — sogar 70:30 betragen haben soll) durch Steuerabzugsposten stattfände, sei hier die SPÖ, deren Organisation vor allem aus Mitgliedsbeiträgen finanziell gespeist werde, klar benachteiligt. Finanzminister Androsch ergänzte, daß auf diese Weise dem Staat jährlich 40 bis 50 Millionen Schilling verloren gingen, die man doch besser gleich für eine gesetzlich verankerte staatliche Finanzierung der Parteien einsetzen sollte. Dabei würde auf jede Partei pro Wähler 10 Schilling im Jahr entfallen. Im übrigen gibt es für dieses Modell ein Vorbild im Bundesland Wien, wo die Parteien pro Wähler jährlich 10 Schilling erstattet erhalten.

Was die finanzielle Situation der beiden Großparteien betrifft, sind weder SPÖ noch ÖVP frei von Sorgen. Der „reichen“ SPÖ kommt, was Finanzreferent Hillinger am Parteitag so eindrucksvoll beklagte, die sozialistische Alleinregierung sehr teuer. Dies hätte zu einem finanziellen Substanzverlust geführt, eine Situation, die sich angesichts der herannahenden Wahlen nur noch weiter verschlimmern müßte. Dennoch dürfte die SPÖ im Vergleich zur ÖVP finanziell recht gut dastehen: sie kassiert jährlich etwa 100 Millionen Schilling an Mitgliedsbeiträgen und sie dürfte aus den partei- bzw. gewerkschaftseigenen Unternehmen recht ansehnliche Zuwendungen, wie immer diese deklariert werden, erhalten. Dagegen ist die als „Kapitali-sten“-Partei verteufelte ÖVP vergleichsweise arm. Allein ihre Bundesleitung verschlingt jährlich an die 12 Millionen Schilling und nicht immer soll der jeweilige Generalsekretär wissen, wie er die Gehälter für die Parteiangestellten aufbringen soll. Am Beginn dieses Jahres wurden in der Bundesparteileitung der ÖVP sogar personelle Einsparunigen vorgenommen, um die Kosten ein wenig zu reduzieren. Die FPÖ ist nicht nur die kleinste, sondern gewiß auch die ärmste Partei, die dann und wann Zuschüsse aus Kreisen der Industrie erhält.

Vor diesem tristen Finanzhintergrund ist es verständlich, daß alle drei Parteien an einer staatlichen Parteienfinanzierung höchst interessiert sind. Ob dazu freilich das Modell Kreiskys geeignet ist, muß bezweifelt werden, denn es ist darauf angelegt, bislang den beiden „armen“ Parteien gewährte finanzielle Brosamen auch auf die SPÖ,also die ungleich reichste Partei, zu verteilen. Damit könnte der Parteiobmann zweifellos die finanzielle Situation seiner Partei ein wenig verbessern, die der beiden anderen Parteien wird dagegen zweifellos insgesamt verschlechtert, wenn man unterstellt, daß Kreise der Industrie in den nächsten Jahren nicht bedeutend mehr Geld für die Bestreitung der Parteienfinanzierung aufwenden.

Und wie ist das mit der Parteien-verankerung in der Bundesverfassung? Kreiskys Hinweis, daß dadurch die Parteien noch stärker vom Staat abhängig gemacht würden, ist nicht ernstzunehmen, wenn er die Tatsache, daß Geld doch wohl auch und vielfach stärker abhängig macht, ignoriert.

Nun sind die Finanzschwierigkei-ten aller Parteien zu groß, als daß man sie immer wieder nur aufgreifen darf, ohne den ernsten Willen zu einer grundlegenden Änderung zu haben. Es ist anzunehmen, daß heute die Bevölkerung mehr denn je zuvor Verständnis für die finanziellen Schwierigkeiten der Parteien aufbringen dürfte, was Sperrfeuer gegen die staatliche Parteienfinanzierung ausschließen sollte. Unabhängig von einer solchen staatlichen Parteienmitfinanzierung sollte es aber den Interessenvertretungen weiter gestattet sein, Mittel für die Mitfinanzierung von Parteien als steuerliche Abzugspost zu behandeln. Angesichts der starken wirtschaftlichen Position der SPÖ läuft dies ohnedies eher auf eine Chancengleichheit hinaus und würde nicht eklatant das freie Entscheidungsrecht der Interessenvertretungen beschneiden, die ja letztlich über das Geld ihrer Mitglieder autonom entscheiden sollten.

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