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Zu den Wurzeln

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FURCHE: Was bezweckt die Veranstaltung „Antisemitismus — ein leidernoch aktuelles Thema"?

KURT SCHUBERT: Wir wollen keine emotionale Bewegung auslösen, sondern reflektiert sprechen, weil man über Dinge nur reden kann, wenn man auch ihre Voraussetzungen kennt. Fragen über den Antisemitismus der letzten 50 oder 100 Jahre scheinen uns nicht ausreichend, weil man auf die Wurzeln zurückgehen muß.

FURCHE: Und die Emotion?

SCHUBERT: Sie ist das, was uns zum Thema zu bringen hat. Wer heute nicht betroffen ist von dem, was dem Judentum auch im Lauf der christlichen Geschichte angetan wurde, kann überhaupt nicht mitsprechen. Viele unserer Zuhörer werden Lehrer sein, wir haben an die Wiener AHS-Schu-len Plakate geschickt.

FURCHE: Vor dem Krieg war der Antisemitismus auf Hochschulboden gewaltig. Und heute?

SCHUBERT: Zu uns ins Institut für Judaistik kommen in der Regel Studenten, die vom Judentum mehr wissen wollen, also von vorneherein von antisemitischen Tendenzen so gut wie frei sind. Außerhalb des Instituts bin ich in erster Linie in kirchlichen Zusammenhängen tätig, zu meinen Vorträgen kommen gerade jene Mitchristen, die dasselbe spüren wie ich.

FURCHE: Aber sind nicht Ihre Studenten als wandelnde Seismographen auf der Universität unterwegs?

SCHUBERT: Richtig, aber da genügt mir der Portier, der mir sagt, daß unsere Plakate abgerissen wurden. Wir wissen, daß es Kräfte gibt, die militant verhindern wollen beziehungsweise bekämpfen, was wir tun. Noch sind sie eine quantite negligeable, Gott sei Dank.

FURCHE:Können Sie abschätzen, ob der akademische Antisemitismus zu- oder abnimmt oder „nur" aus einer Latenzphase heraustritt?

SCHUBERT: Meine Erfahrung ist die, daß er trotz der Ereignisse des letzten Jahres im Zusammenhang mit der Präsidentenwahl im Abnehmen begriffen ist.

FURCHE: Können Sie das Um-frageergebnis bestätigen, daß Personen mit höherer Bildung in geringerem Maß zum Antisemitismus neigen und in höherem Maß den Juden positiv gegenüberstehen?

SCHUBERT: Das ist heute sicher in hohem Maß richtig. Nur glaube ich rücht, daß Befragungen dieser Art immer ein hundertprozentig stichhaltiges Ergebnis bringen. Ich habe sehr persönliche Kriterien. Da war zum Beispiel dieses beschämende Ereignis, daß in einem Haus mit rein jüdischer Bewohnerschaft eine Bombe explodiert ist. Am nächsten Tag höre ich im „Morgenjournal" die Stimme eines Wieners, der sagt: „Wir haben ja drauf warten können, daß etwas passiert, weil es wohnen ja lauter Juden drirmen". Hier zeigt sich kein militanter Antisemitismus, sondern die Haltung all jener, die weggeschaut haben, als ihre Nachbarn deportiert wurden. Das ist für mich erschütternd. Aber dann wurde ich in die benachbarte Pfarre Sankt Leopold eingeladen, und wenn vor zwei, drei Jahren 30 oder 40 Leute da waren, wenn ich über Judentum gesprochen habe, waren es jetzt auf einmal 150 oder 200. Das Interesse von Christen ist erwacht, etwas zu tun,

FURCHE: Gibt es in der Kirche — ich meine nicht die Hierarchie — einen nennenswerten harten Kern von christlich oder katho lisch motiviertem Antisemitismus?

SCHUBERT: Einen großen sicher nicht, aber wenn man ihn in viele Brösel aufteilt, ist er sehr weit gestreut.

FURCHE: Sie haben schon vor langer Zeit eine ähnliche Reihe von Vorträgen veranstaltet. Hat sie etwas bewirkt?

SCHUBERT: Meines Erachtens ja. In der Wiener Diözesansynode wurde schärfer als in allen anderen kirchlichen Erklärungen der Antisemitismus verurteilt. Im Handbuch steht: Wir Christen sind beauftragt, jeder Regung des Antisemitismus sofort an Ort und Stelle entgegenzuwirken. Wir haben lange und mühsam an diesem Text gearbeitet. Er war das einzige Papier der Synode oder doch eines von ganz wenigen, das ohne Gegenstimme mit nur vier Enthaltungen angenommen wurde, was doch zeigt, daß die Arbeit, die wir geleistet haben, gefruchtet hat.

FURCHE: Sieht man, daß dem Antisemitismus sehr wohl mitEr-folg entgegengewirkt werden kann, wird natürlich die Schuld katholischer Kreise noch viel größer, die um die Jahrhundertwende und in der Zwischenkriegszeit den Antisemitismus geschürt haben.

SCHUBERT: Ja, und politisch

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