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Zu Ende gedichtet

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Berthold Viertel war schon vierundsechzig, als er — Anfang 1949 — aus der amerikanischen Emigration in seine Vaterstadt Wien, ans Burgtheater heimkehrte. In seinem Leben war es auf und ab gegangen - „mehr ab”, sagte er manchmal. Es war immer dramatisch gewesen in seinem Leben — auch jetzt, als wieder der Kampfessturm um ihn blies. Kampf gegen Zeitungsleute, die ihn politisch nicht einordnen konnten, gegen Burgtheaterchefs, die zugunsten von gewonnenen Probenabenden Vorstellungen absagen sollten, Kampf gegen das Mittelmaß der Schauspieler, gegen den altersschwachen Lift in der Opern-Pension, die widerspenstigen Schnürschuhe, gegen die Zuk-kerkrankheit und seine Lust auf Süßigkeiten, gegen das Kettenrauchen und für unterdrückte Kollegen, gegen die Geldnot, den Zionismus, die Phantasielosigkeit, gegen den Kalten Krieg und seinen postfaschistischen Kommunistenhaß, gegen die Verfallserscheinungen des Körpers, das Alter, das Rauchverbot auf den Bühnen.

Nur an den Abenden seiner Premieren zog dann für ein paar Stunden eine glückliche Ruhe ein, das heitere Einverständnis mit einem unvergleichlichen künstlerischen Ergebnis, das sogleich dem

Burgtheater einverleibt wurde. Das einte die eben noch Neidvollen, Mißgünstigen, das Mittelmaß und das Publikum. Jene, die gerade noch vehement gegen den Mißliebigen, Uneinordenbaren geschrieben hatten, jubelten über das „Wunder des Theaters”. In den gleichen Blättern, die zwei Tage zuvor (und nachher wieder) gegen den „Krypto-Bolschewi-sten” Berthold Viertel ihre wilden Attacken ritten und ihn zur baldigen Emigration — nach Rußland, wo er hingehört, oder nach Amerika, woher er eben gekommen war, aufforderten...

Er war lange nicht in Wien gewesen, vorher. Stationen seiner Lebensreise nach Anfängen als Schriftsteller, Dramaturg und Regisseur in Wien (noch vor dem Ersten Weltkrieg) waren Prag (als Kritiker für das „Tagblatt”), Dresden (Regisseur, bald Oberspielleiter), Berlin, Düsseldorf, wieder Berlin (bei Max Reinhardt), und Direktor einer eigenen Truppe. Dann kamen seine berühmt gewordenen Stummfilme „Abenteuer eines Zehn-Mark-Scheins”, „Die Perücke”, und bald auch Hollywood, wo er Drehbücher schrieb und auch Filme inszenierte. Aber er konnte dort nicht wirklich Fuß fassen, die Ehe war schwierig, er schrieb, schrieb in Deutsch und Englisch, pendelte nach England, zurück,nach Amerika, rastlos wieder zurück nach England.

Er gehörte zu jenen, die in den wichtigsten Jahren ihres Lebens zu kurz gekommen waren: da waren zwei Kriege, Faschismus, Inflation, Emigration - das hatte Jahre zerstört. So waren die letzten fünf Lebensjahre für den schweren, eher kleinen Mann mit dem gedrungenen Körper und dem gewaltigen, grauhaarigen Löwenkopf, für den heimatlosen Linken aus der Ecke des jüdischen Bürgertums künstlerisch doch noch Ernte, Genugtuung, Wiedergutmachung im besten Sinn. „Die Glasmenagerie”, „Kronbraut”, „Endstation Sehnsucht”, „Die Ratten”, „Othello”, „Die Möwe” seien als bedeutendste Inszenierungen in Burg- und Akademietheater zwischen 1949 und 1953 genannt.

Im September 1949 war ich ganz junger Student der Theaterwissenschaft, aber ich wußte, seit ich Viertels Inszenierung der „Glasmenagerie” gesehen hatte, daß ich nur zu ihm als Assistent wollte. Aber viele wollten das. Nur ich war so beharrlich, daß er schließlich gar nicht anders konnte, als mich zumindest probeweise als „Regiebuberl” mitzunehmen, zur „Kronbraut”. Im Zimmer 35 der Wiener Musikakademie war Leseprobe angesagt. Ich durfte dabeisein. Ich war so aufgeregt, daß ich 45 Minuten zu früh dran war. Der nächste, der kam, war auch viel zu früh dran - und ebenfalls aufgeregt. Es war - viele hielten ihn damals für den größten deutschen Schauspieler -Werner Krauss.

Er sollte den Amtmann in dem Strindberg-Märchenspjel spielen. Viertel hatte vorher lange mit sich gerungen. Werner Krauss war eine der großen Galionsfigu-ren der nationalsozialistischen Theaterpolitik gewesen, hatte den antisemitischen Hetzfilm „Jud Süß” gedreht. Aber er schien Viertel eben der bestmögliche Darsteller dieser Rolle zu sein. Bertolt Brecht, der pragmatische Fuchs, bei dem Viertel nachgefragt hatte, „erlaubte”, Krauss zu besetzen. Es war ein dramatischer, beinahe theaterhistorischer Augenblick, als Viertel, zu spät kommend - Hedwig Bleibtreu, Käthe Gold, Curd Jürgens, Maria Eis und all die anderen Mitarbeiter hatten sich längst um den langen Tisch gesetzt - das Zimmer 35 betrat, auf Werner Krauss zuging und ihm die Hand gab.

Dann begannen unvergeßliche Proben, durch vier Jahre konnte ich Viertel begleiten, jenes auf der Bühne „Zu-Ende-Dichten” des Stücks, wie er es nannte, miterleben und dazu beitragen. Das Rauchverbot erwies sich als wichtiger Helfer: Viertel, der starke Raucher, zog sich alle zwanzig Minuten mit uns „auf ein Zigaretterl” in eine Schauspielergarderobe zurück, und in diesen „Viertel-Stunden” erzählte er von den Menschen des Stücks, ihrer Geschichte, ihren Beziehungen, von dem Land, in dem es spielte, von den politischen Verhältnissen, erzählte und erzählte...

Eitz Kortner, der Lebens-reund und -feind schon in den Wiener Anfangsjahren, hat einmal gesagt, das Theater sei Viertels unerfüllte Liebe gewesen, eine Geliebte, die sich ihm, dem Dichter, im letzten doch immer versagt habe, Viertel habe das Theater stets umkreist, ohne je wirklich ins Zentrum zu gelangen. Ein hartes Urteil. Liebe, die sich versagt, kann dem Liebenden Kräfte geben und nehmen. Sie verbrennt auch. Zu früh -1953 schon - ist Berthold Viertel gestorben.

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