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Zu gut verpackt

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Spricht man heute über Verpackung, so kommen ganz andere Ansichten zutage als vor 20 bis 25 Jahren, denn inzwischen ist die Verpackung immer mehr ge- worden, und das Problem, wohin mit dem gebrauchten Verpackungs- material, steht im Vordergrund.

Wozu soll eigentlich Verpackung dienen? Es sind vier Zwecke, die die Verpackung; von Lebensmitteln heute erfüllen soll.

• Schutz der Ware: Die Verpak- kung soll die Qualität der Ware von der Herstellung über Lagerung, Verarbeitung, Transport und Feil- halten bis zum Verbraucher erhal- ten. Erhaltung der Qualität der Ware umfaßt sowohl den Schutz vor mikrobieller Verunreinigung und Verderb wie auch Verlust an ernährungsphysiologischem Wert und Beibehaltung des ursprüngli- chen Geruchs, Geschmacks und Aussehens.

• Rationelle Handhabung: Die Verpackung ist ein wesentlicher Faktor im heutigen Warenver- teilungssystem. Hiezu ist die leich- te und rasche Abpackung, die raum- sparende Stapelbarkeit, die einfa- che Lagerung und Transportierbar- keit zu zählen. Ohne geeignete Verpackung wären viele verderbli- che Lebensmittel in der heutigen Verteilung weder produzierbar noch dem Käufer anbietbar.

• Information der Verbraucher: Verpackung und Verbraucherin- formation haben eine interessante Wechselbeziehung. Die Dauer der Verwendbarkeit bei bestimmten Lagerungsbedingungen ist gesetz- lich bei verpackten Lebensmitteln zu deklarieren, weil der Verbrau- cher, aber auch der Verkäufer durch die Packung meistens gehindert ist, die unverminderte Genußtauglich- keit der Ware zu erkennen. Bei un- verpackten Lebensmitteln erübrigt sich diese Deklaration.

Andererseits hat man sich aber darangewöhnt, die Verpackung als Medium der Information des Ver- brauchers zu verwenden. Was könn- te diesem Zweck besser dienen als die Verpackung? Kein Plakat oder Werbespot kann die ständige Prä- senz der gesetzlich vorgeschriebe- nen Kennzeichnung, der Zusam- mensetzung, der Zusatzstoffe, La- gerungsbedingungen und Haltbar- keitsdaten aber auch der Warnhin- weise oder Gebrauchsanweisung auf der Verpackung ersetzen.

• Werbung: Die Verpackung er- setzt in der Selbstbedienung das Informationsgespräch mit dem Verkäufer und schafft eine Kom- munikation zwischen Hersteller und Käufer. Verpackungen sind selbstverständlich nach den Ge- sichtspunkten der Werbung gestal- tet. Nicht nur Werbesprüche, son- dern die ganze Gestaltung der Ver- packung soll bei den Menschen einen Impuls auslösen, diese Ware besitzen zu wollen. Sprüche, Wap- pen, Siegel und Formen vermitteln den Eindruck von Adel, Tradition und Exklusivität, Portionsgrößen kommen Verbraucherwünschen entgegen, Tragegriffe sorgen für Bequemlichkeit, Wiederverschließ- barkeit von Milchflaschen für gute Lagerung und Verwendbarkeit.

Der Zusammenhang zwischen Verpackung und unserem Wirt- schaftssystem ist offensichtlich. Die Verpackung dient der Perso- nalersparnis beim Handel und ist Voraussetzung für das Super- marktsystem.

Die bloße Papierverwendung bei der Verpackung ist auf Salz, Zuk- ker, Mehl, Teigwaren und der- gleichen zurückgegangen. Die Kombination von Papier mit Fo- lien, Styropor und dergleichen ist hingegen stark angestiegen. Die Kunststoffverwendung ist nicht mehr bloß auf Folien beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf elastische und harte Gefäße, oft auch in Verbindung mit Metallen, die ihrerseits wieder kunststoff- beschichtet werden. Da ist zuvor- derst zu prüfen, ob Kunststoffe giftige Anteile enthalten, wie beim Polyvinylchlorid (PVC), das Vi- nylchlorid oder giftige Weich- macher enthalten kann, die in Lebensmittel übergehen können, wie Phthalate. Grundsätzlich sol- len von der Packung keine ge- sundheitsschädlichen oder auch andere Stoffe übergehen, ausge- nommen gesundheitlich, geruchlich und geschmacklich unbedenkliche Anteile, die technisch unvermeid- bar sind.

Der mögliche Übergang von Stoffen hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab: Weißblech- dosen, das Ausgangsmaterial von Konservendosen für Fisch, Fleisch, Gemüse und Obst, können vom Füllgut korrodiert werden und durch das Eisen einen metallischen Geschmack dem Lebensmittel ver- leihen. Die Dosen werden daher innen mit einer Lackschicht aus Epoxid- oder Acrylharz überzogen, dasselbe gilt für Aluminiumdosen. Die Geschmacksschwelle liegt für Eisen bei Bier niedriger als bei Orangensaft. Zinn hellt die Farbe von Lebensmitteln auf, man kann es aber auch schmecken. Läßt man Lebensmittel in der geöffneten Weißblechdose stehen, steigt der Zinngehalt auf das Vielfache an. Veränderungen der Warenbe- schaffenheit durch Verpackung sind vielfältig, dadurch wird auch die Qualität und Haltbarkeit von Lebensmitteln oder die Erkenn- barkeit gewohnter Verderbniser- scheinungen beeinflußt.

Lebensmittel werden steril oder keimarm in Verpackungen gefüllt, sie können aber auch nachträglich durch Erhitzung, wie bei der Voll- konserve, keimarm gemacht wer- den.

Je sauerstoffärmer die Atmo- sphäre in der Packung und im Le- bensmittel ist, desto rascher wer- den die aeroben Keime den Saue- rstoff verbraucht haben und für Anaerobier und fakultative Anae- robier günstige Lebensbedingungen schaffen. Damit ändert sich aber die Verderbsart auch hinsichtlich der auftretenden Geruchs- und Geschmacksabweichungen und des Aussehens. Der Verbraucher, der offenen Verderb kennt, ist noch immer nicht gewohnt, Verderbsfor- men in sauerstoffarmem Milieu ohne weiteres zu erkennen. Daraus ergibt sich auch immer wieder die Unsicherheit von Verbrauchern mit verpackten Lebensmitteln.

Daß sich manche Lebensmittel zum Verpacken oder doch zu- mindest über längere Zeit nicht eignen, ist zwar Fachleuten be- kannt, trotzdem wird aus ver- kaufstechnischem Nutzen immer wieder dagegen verstoßen. Salami und Produkte mit Reifungsbelag sind hier zu nennen. Sie brauchen Luftzutritt, ansonsten stirbt der Reif ungsbelag ab und die Ware wird alsbald unansehnlich, ölig und ranzig. Andere Lebensmittel wer- den im Plastiksackerl an der Ober- fläche feucht, schwitzen, Salzkri- stalle werden aufgelöst und Schim- melbildung wird gefördert.

Natürlich ist durch die Verpak- kung die Vielfalt der vorfabrizierten Waren ungeheuer gestiegen. Erst die Verpackung hat das industriel- le Vorfabrizieren ermöglicht, gleichzeitig mußten aber um das zu ermöglichen, die Zusammensetzun- gen geändert und Surrogate und qualitäts verändernde Technologien angewendet werden. Das verpack- te Fertigprodukt im Regal des Su- permarktes gleicht daher häufig nicht dem gastronomisch oder zu Hause in der Küche hergestellten Produkt, und es sind beileibe nicht immer preisliche Gründe dafür ver- antwortlich, sondern vielfach tech- nologische.

Damit ist aber auch ein wesent- licher Einfluß, wenn man so will, der Verpackung über die Zwänge der Herstellung verpackter la- gerfähiger Waren auf die Verbrau- chergewohnheiten und eindeutig nicht immer zum Nutzen der Ver- braucher gegeben.

Viele Verirrungen im Lebensmit- telverkehr gehen auf das Konto der Verpackung. Da sind einmal Mo- gelpackungen zu erwähnen, die die Ware von winziger Größe attraktiv und großartig und vor allem preis- angemessen erscheinen lassen soll. Welche Enttäuschung, wenn man das gute Stück dann zu Hause aus- packt, eine Hülle nach der anderen fällt, bis man endlich zu des Pudels Kern kommt. Meist sind es aber keine Lebensmittel, sondern Kos- metika und andere Waren, die so angeboten werden.

Bei verschiedenen Lebensmitteln wird die primitivste Verpackung mit einem Haltbarkeitssafe ver- wechselt und es werden Haltbar- keitsfristen aufgedruckt, bei denen der Inhalt schon in der halben Zeit verdorben ist. Wem nützt das? Dem Verbraucher bestimmt nicht, dem Hersteller und Verpacker auch nicht, nur dem Handel, der sich möglichst wenig um die Waren im Regal kümmern will und sensible Produkte genauso wie Seife und Waschpulver verkaufen möchte.

Der Autor ist Leiter der Lebensmitteluntersu- chungsanstalt der Stadt Wien. Der Beitrag ist ein Auszugaus seinem Referatbeim Umweltschutz- svmposium der Lebensmittelindustrie am 15/ 16. Mai 1990.

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