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Zu neuen Horizonten

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Ein Erlebnis hat die französische Nation zu Beginn des Frühlings auf das Tiefste aufgewühlt und der Besuch des Papstes zwang nicht nur die Katholiken, Rechenschaft darüber abzulegen, welche Aufgabe die Kirche in der modernen Industriegesellschaft zu spielen hat.

Zahlreiche Beobachter der französischen Innenpolitik machten es sich leicht, als es darum ging, die Folgen dieser Visite in Paris und Lisieux zu analysieren. So hieß es vereinfacht, Frankreichs Kirche stehe seit langem in einer Krise und der Heilige Geist in der Gestalt des Papstes würde mit einer Handbewegung die Heilung dieses Körpers vornehmen.

■ Seitdem am Beginn dieses Jahrhunderts eine streng laizistische Regierung die absolute Trennung zwischen Kirche und Staat vorgenommen hat - nur in Elsass-Lothringen gilt auch heute noch das Napoleonische Konkordat - kam es häufig zu schweren Konflikten zwischen der ältesten Tochter der Kirche und der Republik. Es dauerte lange, sehr lange, bis auf Wunsch des Vatikans zwischen der staatlichen und der kirchlichen Gewalt ein halbwegs vernünftiges Verhältnis hergestellt wurde.

Welcher Kirche begegnete Johannes Paul IL, der als Papst gekommen war und sich als Missionar zeigte - gemäß des berühmten Titels Abbe Godins, der am Höhepunkt des Zweiten Weltkrieges dank eines kleinen Buches eine Sensation erzeugte, da er von Frankreich als einem Missionsland sprach?

Während der hohe Klerus nach dem Zusammenbruch der Dritten Republik im Jahre 1940 die Regierung Marschall Petains unterstützte, schloß sich der mittlere und niedere Klerus sehr oft der Widerstandsbewegung an. Weiters wird auch darauf hingewiesen, daß es nicht etwa die Kommunisten waren, die sofort gegen die Besatzungstruppen aufstanden, sondern die Katholiken, die auf die ideologischen Traditionen der christlich-demokratischen Gesellschaftsphilosophen des 19. Jh. zurück-griffen und sich eine Partei schufen, die gleich nach dem Krieg in der Lage war, den moralischen und materiellen Aufbau des Landes in die Wege zu leiten.

So war es die Resistance, die noch immer bestehende antiklerikale Bewegungen in den historischen Winkel trieb, wo sie bis auf den heutigen Tag angesiedelt sind.

Frankreichs Kirche hatte nach dem Zweiten Weltkrieg mit einigen schwerwiegenden Problemen zu kämpfen. Es waren die weit über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannten Theologen und Philosophen, die das Zweite Vatikanische Konzil vorbereiteten und aktiv an den Diskussionen teilnahmen. Bei einigen gewagten Experimenten, etwa dem Einsatz von Arbeiterpriestern, kam es zu ernsten Spannungen zwischen Paris und Rom und erst in unseren Tagen hat der amtierende Papst die Einrichtung von Arbeiterpriestern vorbehaltlos kautioniert.

Ohne Zweifel haben das Zweite Vatikanische Konzil, sowie die Ereignisse Mai/Juni 1968 in Frankreich dazu beigetragen, Vorurteile zu beseitigen, Ballast aus früheren Jahrhunderten abzuwerfen und jene Visionen zu definieren, die für die Kirche im Jahre 2000 Gültigkeit beanspruchen können.

Aber die Kirche Frankreichs trat nicht geschlossen in diesen historischen Kampf ein. Zwei große Tendenzen stritten um die Seele einer Institution, die trotz aller Gleichgültigkeit der Zeitgenossen sich mit Recht als die bedeutendste moralische Kraft unseres Jahrhunderts präsentiert. Prophezeite nicht etwa der große Kulturphilosoph Mal-raux, daß das 21. Jahrhundert ein religiöses sein werde oder es würde nicht bestehen.

Grob gesprochen teilte sich Frankreichs Kirche in zwei große Flügel: den Konservativen, wie er teilweise durch den Bischof Lefebvre inkarniert ist, und den linken sozialistischen Teil wie den Gläubigen dieser Richtung, die ihre erste Aufgabe darin sehen, politisch zu wirken. Sie bekannten sich ursprünglich zur extremen Linken und jetzt immer mehr zur Sozialistischen Partei.

Eine Besonderheit, die den Kirchenmännern viel Sorge bereitet, ist die Tatsache, daß die traditionelle Kirchengemeinde immer weniger attraktiv wird und durch Basisgruppen ersetzt wird, die in gewissem Ausmaß den Zellen der Kommunistischen Partei gleichen. Es handelt sich dabei um spontan erstandene Organisationen, die oft nicht lange Bestand haben, aber doch zahlreiche Christen verpflichten, sich nicht nur mit politischen, sondern auch mit pa-storalen Problemen zu beschäftigen.

Wenn also der große Rummel, der Frankreich materiell und geistig Mitte Juli bis Ende August ergreift, vorbei ist, werden die ersten großen Diskussionen einsetzen, die sich mit den Folgen der Papstreise beschäftigen und neue Horizonte suchen, die im letzten nichts anderes sind, als jene Botschaft, die vor 2000 Jahren zum ersten Mal verkündet wurde.

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