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Zu schön, um wahr zu sein"

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Der Kulturkalender hatte den Stichtag angezeigt: Ab 31. März 1982 feiert Österreich seinen großen Komponisten Joseph Haydn. Fest folgt auf Fest.

Datumgemäß ist in Sachen Haydn-Renaissance also alles in Ordnung. Wir zeigen, daß wir uns seines Werts wohl bewußt sind und daß wir in den Archiven, Bibliotheken, Gedenkstätten alles an Kostbarkeiten auszugraben imstande waren. Nur daß Haydn, der da plötzlich wieder zum Liebkind der Nation aufstieg, besser verstanden werden wird als bisher, das läßt sich nicht voraussagen.

Staatsoper und Volksoper werden sicher keines seiner Opernwerke im Repertoire haben, die Konzertveranstalter werden die gleichen Symphonien wie bisher als Einspielstücke der Orchester ansetzen, die Archive werden ihre Kostbarkeiten — von der Partitur der „Schöpfung" bis zu Haydns Locken — wieder in den Tresoren ruhen lassen. Und Wissenschafter, die ihr ganzes Leben der Erforschung Haydns und seines Schaffens gewidmet haben — wie der Bostoner Musikologe Harold C. Robbins Landon —, werden weiterhin an der Aufarbeitung des Haydn-Werks und seiner Rezeption werken, ohne daß Osterreich sie dabei besonders stören oder fördern oder ehren wird.

Denn die Zahl derer, die hierzulande der Haydn-Forschung einigermaßen starke Impulse vermittelten, ist ebenso klein (aber wenigstens höchst elitär), wie die staatliche Förderung zur Erschließung des Werkes Haydns fürs breite Publikum bescheiden ist.

Da hielt man sich nur zu gern ans liebenswerte Klischeebild vom „Papa Haydn", dem gutmütigen, strebsamen Herrn des musikalischen Haushalts der Fürsten Esterhäzy, der über 10Ö Symphonien, mehr als 100 Trios, an die sieben Dutzend Streichquartette, über 50 Klaviersonaten, 14 Messen, 13 große Opern, Singspiele, über alle Zeiten hinausragende Oratorien wie die „Schöpfung" und zahllose andere Werke komponierte. Und der mit seinem patriotischen „Gott erhalte" für Kaiser Franz zum gefeierten Liebling des österreichischen Kaiserstaates wurde.

Was immer wieder tradiert wurde und wird, ist das „Schönbild" Haydns, das keinen Kratzer hat. Und haben soll. Das Bild des alten Meisters, der von der Verehrung und Liebe aller zutiefst gerührt wurde und zum Beispiel schrieb: „Mein lieber Sohn! Deine wahrhaft kindlichen Äußerungen sowie jene sämtlicher Glieder der Hochfürstlichen Esterhäzyschen Kapelle zu meinem Namensfest haben mir die heißesten Tränen ausgepreßt. Ich danke Dir und Allen mit gerührtem Herzen, und ersuche Dich, sämtlichen Gliedern in meinem Namen zu melden, daß ich sie alle als meine lieben Kinder ansehe, die ich bitte, mit ihrem alten, schwachen Vater Geduld und Nachsicht zu haben!"

Nicht dem jungen Haydn, der um 1740 nach Wien kommt und sich dank seiner Wendigkeit und seines Geschicks zuerst beim Grafen Morzin, dann bei Fürst Paul Anton Esterhäzy gut bezahlte Compositeur-Stellen schuf, galt das Interesse des Publikums, sondern fast immer dem gefeierten alten Mann, dem Wien, Paris und London zu Füßen lagen, der es wirklich geschafft hatte und 1791 als Hausbesitzer schreiben konnte:

„Wie süß schmeckt doch eine gewisse freyheit. Ich hatte einen guten Fürsten, mußte aber zu Zeiten von niedrigen Seelen abhangen, ich seufzte oft um Erlösung, nun habe ich sie einigermaßen ..."

1808 hatte man den 76jährigen noch mit allem Pomp geehrt. Fürst Trauttmansdorff lud in den Festsaal der Aula der Alten Universität. Antonio Salieri dirigierte Haydns Oratorium „Die Schöpfung". Unter Trompetenfanfaren und tumultuösem Applaus wurde Haydn in den Saal getragen. Alle wollten den „Vater der Symphonie und des Streichquartetts" — was er eigentlich gar nicht war — ehren.

Haydn und Salieri umarmten und küßten einander. Beethoven weinte vor Rührung, beugte sich nieder und küßte die Hand seines einstigen Lehrers. Und als die Stelle „und es ward Licht" gekommen war, hob Haydn zitternd die Arme zum Himmel, als wollte er „zum Vater der Weltharmonien beten".

Im Mai 1809 war es dann soweit: Napoleons Armee rückte gerade gegen die Mariahilfer Linie vor, um Wien zu stürmen. Vom Li-nienwall krachten Kartätschenschüsse, daß die Tür im Schlafzimmer Haydns aufsprang und die Fenster klirrten. Der schwerkranke Greis schrie auf, zitterte am ganzen Körper, sammelte sich noch einmal: „Kinder, fürchtet euch nicht, denn wo Haydn ist, kann nichts geschehen."

Das waren die Geschichten, die Wien schätzte. Sie haben Haydn wirklich populär und zum „Papa Haydn" gemacht Sie haben für mehr als 170 Jahre das Klischeebild geprägt, das freilich mit dem ungeheuer ehrgeizigen, zielstrebig an seinem Erfolg arbeitenden Komponisten relativ wenig zu tun hatte.

Wo immer Haydn als Composi-teur angestellt war, beim Grafen Morzin oder die 40 Jahre lang bei den Esterhäzys, stets erwies er sich eigentlich nicht als der „liebe, gütige Kollege und Papa", sondern als Erfolgsmensch, der in der Konkurrenz mit seinen Kollegen sich als kluger Taktiker erwies, der launische Fürstlichkeiten für sich einzunehmen verstand und der ein ausgeprägtes Fingerspitzengefühl für sparsames Wirtschaften und Hausbesitz entwik-kelte.

Haydn war sein Leben lang kein „schlampertes Genie", kein von Leidenschaften Getriebener, der wie zum Beispiel Mozart am Spieltisch verlor, was er verdiente. Er war ein kühler Rechner, ein Konstrukteur seines Erfolges, der an sich glaubte. Gerade das hat ihm ein Publikum, das sich am liebsten an romantischen Geschichten von verwilderten Genies berauschte, stets ein wenig übel genommen.

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